Darum gehts
Winterthur. Stadion Schützenwiese. Es ist sechs Tage vor dem EM-Start. Die Nati absolviert gegen Tschechien die Hauptprobe vor dem Heim-Turnier. Bereits ernst gilt es für Calvin Stettler (30) und Rachel Rinast (34), die seit 2023 für SRF zusammen die Nati-Spiele der Frauen kommentieren.
Während Kommentator Stettler nach Bekanntgabe der Aufstellungen eine Stunde vor dem Spiel an seinem Kommentatorenplatz sitzt und – mit Kopfhörern auf – konzentriert die akribisch vorbereiteten Grafiken und Info-Boxen zu jeder tschechischen Spielerin richtig auf seinem Laptop sortiert, mischt sich Expertin Rinast unter die Leute. Hier ein kurzer Schwatz mit einer ehemaligen Nati-Kollegin, da eine Umarmung mit einer Freundin, dort ein Hallo mit einem Bekannten aus der Fussball-Bubble.
Seit gut zwei Jahren sitzen die beiden während der Nati-Spiele vor dem SRF-Mikrofon. An der WM in Neuseeland haben Stettler und Rinast ihre Turnier-Premiere und sorgen mit ihrer erfrischenden und direkten Art für einen willkommenen Mehrwert für die TV-Zuschauer. Neben dem Analysieren des Geschehens auf dem Platz diskutieren sie auch mal über Schweizer Käsesorten, die Musik von Gölä oder denken sich einen Wrestlingnamen für Coumba Sow aus. Bei den meisten Zuschauern kommt es gut an.
Klare Rollenverteilung
«Wir sind uns bewusst, dass es manchmal eine Gratwanderung ist», sagt Stettler. «Aber nur weil wir gut drauf sind, heisst das nicht, dass wir nicht kritisch sind und uns keine Gedanken machen würden, wie wir wirken. Wir sind auch gegenseitig sehr selbstkritisch.» Während Stettler der Mann für die Fakten und Storys rund um das Spiel ist (Rinast: «Ein Historiker und Zahlen-Nerd»), hat die Expertin an seiner Seite mehr Raum für taktische Analysen und Aktionen, die ihr im Spiel auffallen. Dabei kann sie ihre Erfahrung von 48 Länderspielen und drei Endrunden-Teilnahmen mit der Nati einbringen.
Wenn man den beiden zuhört, spürt man, dass sie sich gegenseitig schätzen und mögen. «Rachel ist sehr eloquent. Und sie ist frech, im positiven Sinn, denn sie getraut sich, auch einmal etwas zu sagen, das erstaunt oder überrascht», sagt Stettler. «Ray», wie er sie nennt, sei ein sehr emotionaler Mensch und teile diese Emotionen auch vor dem Mikrofon. «Sie ist empathisch, wenn es jemandem nicht so gut läuft, kann aber auch eine abfeiern, wenn sie liefert.» Rinast schätzt an ihrem Kollegen «die positive Art und den Mix aus Freundschaft und Professionalität». Kann er auch manchmal nerven? «Vielleicht nervt er mich eines Tages damit, dass er nicht nervig ist», sagt sie mit einem Schmunzeln. «Aber dass er mich natürlich noch nie in Hamburg besucht hat, ärgert mich schon.»
Nervosität vor dem Anpfiff
Vor dem Mikrofon sind die beiden ein eingespieltes Team. Eine Geheimsprache haben sie nicht. «Aber wir haben eine sehr intensive Gestik und Mimik», sagt Rinast. Zwischendurch kann es dabei auch einmal zu einem Klapps auf die Schulter des anderen kommen. «Oder jemand zeigt mit dem Arm auf das Spielfeld, um dem Sprechenden zu signalisieren, dass wir uns wieder auf das Geschehen auf dem Platz fokussieren sollten», so Stettler.
Auch wenn die beiden inzwischen eine gewisse Routine entwickelt haben, die Anspannung am Spieltag spüren beide. «Es ist eine andere Nervosität als früher als Spielerin. Aber häufig verfliegt diese mit dem Anpfiff, dann schalte ich in den Performance-Modus, das war schon als Spielerin so.» Für Stettler ist es eine positive Anspannung, die er bereits während des ganzen Tages verspürt. «Aber ich liebe das Gefühl.» Wichtig sei das Energiemanagement, wenn die Spiele, wie an der EM, erst um 21 Uhr angepfiffen würden. Auch das SRF-Kommentatoren-Duo muss dann seine Höchstleistung abliefern. «Wir tragen eine grosse Verantwortung», sagt Stettler. «Aber natürlich ist es ein grosses Privileg, die Frauen-Nati zu kommentieren – an der Heim-EM sowieso.»