Auch Sydney Schertenleib (18) erlebt am Sonntag in Bern einen aufwühlenden Abend. Ihr erstes EM-Spiel von Beginn an, ihr erster Skorerpunkt, der erste Sieg. Und das vor den Augen ihrer Familie und ihrer Verwandten aus den USA, die während der EM zu Besuch sind. «Meine kleinen Cousinen waren auch da, was das Ganze noch spezieller gemacht hat», so Schertenleib.
Dementsprechend ist es für sie nicht ganz einfach, die Emotionen unter Kontrolle zu haben. Vor dem Spiel versucht sie, cool zu bleiben, den gewohnten Ablauf zu haben und sich nicht allzu fest unter Druck zu setzen. Nach dem Spiel sei es ein «Gedankenkarussell» gewesen. Sie habe Mühe gehabt, auch Stunden nach dem Schlusspfiff Schlaf zu finden. «Vor 4 Uhr morgens bin ich nicht eingeschlafen.» Aber das sei immer so, egal ob sie gut oder schlecht gespielt bzw. gewonnen oder verloren habe.
Auch für die Zürcherin sind es emotionale Tage. Die Jüngste im Schweizer Team, deren Stern in der Debüt-Saison bei Barcelona so richtig aufgegangen ist, schmort gegen Norwegen eine Stunde auf der Bank. Erst gegen Island darf sie von Beginn weg ran. «Pia hat sehr offen mit mir kommuniziert und gesagt, was der Grund ist. Ich habe nicht gut genug trainiert. Und das ist korrekt, da muss ich ehrlich sein.»
Doch Schertenleib zeigt eine Reaktion im Training und kämpft sich zurück in die Startelf. Wie das ganze Team hat aber auch sie zu Beginn gegen die rustikal einsteigenden Isländerinnen einen schweren Stand. Wenn sie am Ball ist, gelingt ihr nicht allzu viel. Und wenn sie sich einmal durchsetzen kann, stimmt das Timing nicht. «Ich kann bessere Entscheide treffen. Aber ich glaube, insgesamt habe ich eine gute Leistung gezeigt.»
Denn dass die Nati gewinnt, liegt auch an Schertenleib. Als sie Reuteler vor dem 1:0 den Ball perfekt getimt in den Lauf spielt, lässt sie ihre Klasse aufblitzen. Ein genialer Moment, der zeigt, weshalb ganz Europa von ihr schwärmt. Trotzdem bleibt Schertenleib demütig. «Ich bin froh, dass ich ein bisschen jünger bin, denn vor 15 oder 20 Jahren wäre so etwas in der Schweiz nicht möglich gewesen. Ich bin glücklich und sehr dankbar, dass ich das erleben darf.»