Darum gehts
Es ist ein Tag im Oktober 2022, an den Gemma Grainger (42) nur sehr ungern zurückdenkt. 120 Minuten sind im entscheidenden Playoff-Spiel zwischen der Schweiz und Wales gespielt, als Fabienne Humm (38) die Nati Sekunden vor Abpfiff doch noch an die WM 2023 schiesst – und den walisischen Traum von der ersten Teilnahme an einem grossen Turnier platzen lässt. «Ich werde diesen Tag in Zürich nie mehr vergessen. Das war ein herzzerreissender Moment», erinnert sich die damalige Wales-Trainerin.
Heute steht Grainger an der Seitenlinie des Schweizer Gruppengegners Norwegen. Anfang 2024 wurde die Frau aus Middlesbrough mit der Herkulesaufgabe betraut, den einstigen Frauenfussball-Giganten zurück in die Erfolgsspur zu bringen. Norwegen, einst ein grosser Frauenfussball-Pionier, ist von etlichen anderen Nationen ein- und überholt worden. In der aktuellen Weltrangliste liegen die Skandinavierinnen nur noch auf Platz 16 – hinter Ländern wie Island, Dänemark oder Nordkorea.
Europameister 1987 und 1993, Weltmeister 1995 und Olympiasieger 2000 – alles Erfolge, die weit zurückliegen. Mehr als zwei EM-Halbfinals schauten in den vergangenen 25 Jahren nicht mehr heraus. Besonders enttäuschend verliefen die vergangenen beiden Turniere. An der EM vor drei Jahren setzte es im Gruppenspiel gegen die Gastgeberinnen England eine 0:8-Klatschte. Ein Resultat, gleichbedeutend mit der höchsten Niederlage in der Geschichte der EM und des norwegischen Nationalteams.
Teaminterner Ärger während WM 2023
Ein Jahr später sorgten in Australien und Neuseeland nicht nur die erneut enttäuschenden sportlichen Resultate für Schlagzeilen. Nach nur einem Punkt aus den ersten zwei Gruppenspielen legte sich Superstar Caroline Graham Hansen (30) öffentlich mit Trainerin Hege Riise (55) an. «Ich fühle mich, als wäre ich ein Jahr lang mit Füssen getreten worden. Man hat mir keinen Respekt entgegengebracht», polterte Graham Hansen, nachdem Riise die Barcelona-Angreiferin im Gruppenspiel gegen die Schweiz (0:0) auf die Bank gesetzt hatte.
Die Nebengeräusche während des WM-Turniers sind auch Grainger nicht verborgen geblieben. Als sie nach der WM die Nachfolge von Riise antritt, legt sie deshalb grossen Wert auf einen sauberen Neustart. «Ich habe den Spielerinnen gesagt, dass ich nichts von dem wissen möchte, was zuvor gewesen ist», sagt die Engländerin im Blick-Interview. «Meine Mentalität als Trainerin ist es, immer nach vorne zu schauen. Auf und neben dem Platz.»
Revanche gegen die Nati winkt
Trotz ihres vergleichsweise jungen Alters blickt Grainger bereits auf eine über 20-jährige Trainerinnenlaufbahn zurück. Schon mit 18 steht sie das erste Mal an der Seitenlinie. Obwohl sie selbst auch Fussball spielt, wird ihr schnell klar, dass sie als Trainerin Karriere machen möchte. Sie schlägt darum auch ein lukratives College-Angebot aus den USA aus. «Ich habe mein ganzes Leben dem Coachen gewidmet. Das ist meine grosse Leidenschaft», sagt Grainger. Mit 28 trainierte sie das Women's-Premier-League-Team von Leeds United, später arbeitet sie bei den verschiedenen U-Nationalmannschaften Englands, bevor sie 2021 das Nationalteam von Wales übernimmt.
Nun soll Grainger in ihrem ersten grossen Turnier Norwegen zurück in die Erfolgsspur bringen. Den Grundstein dafür kann sie bereits am Mittwoch im ersten Gruppenspiel gegen die Schweiz legen. Und sich damit auch gleich noch für die schmerzvolle Niederlage vor drei Jahren revanchieren.