Bergsteiger Egloff über Risiko
«Du musst dem Teufel sagen: ‹Ich höre nicht auf dich!›»

Karl Egloff lebt für die Berge. Als Speed-Climber hat er Rekorde gebrochen, doch für ihn geht es nicht um Zahlen, sondern um Leidenschaft, Freiheit und Momente der Stille. Nächstes Jahr will er die Seven Summits abschliessen, dann rückt die Familie in den Vordergrund.
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Karl Egloff ist bereit für die Höhe. «Ich bin draussen zu Hause.»
Foto: zVg
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Joël HahnRedaktor Sport

Karl Egloff (44) spricht leise, wenn er von den Bergen erzählt. Fast ehrfürchtig. Und doch ist da dieser unerschütterliche Wille, der ihn immer wieder hinaufzieht, dorthin, wo die Luft dünn und Gedanken klar werden. «Ich beschreibe mich als einen Menschen, der draussen zu Hause ist», sagt er. Einer, der sich unwohl fühlt zwischen Beton und Hektik und aufblüht, wenn sich vor ihm Fels, Eis und Stille auftun. «Das ist für mich ganz klar mein Leben.»

Blick trifft den Extrembergsteiger zum Ende eines denkwürdigen Berg-Jahres. Egloff selber sorgte mit seinem gescheiterten Versuch, ohne zusätzlichen Sauerstoff den Mount Everest zu bezwingen, für viel Aufmerksamkeit. Aber auch der tragische Tod von Ex-Biathletin Laura Dahlmeier (†31) im Himalaya-Gebiet bewegte enorm. 

Zwischen Kindheitstraum und innerem Kompass

Die unstillbare Leidenschaft für die unbarmherzigen Berge – bei Egloff liegt der Ursprung seiner Passion in der Kindheit. Sein Vater nahm ihn früh mit in die Berge. Während andere Kinder Fussballbilder sammelten, schmückten Himalaya-Poster sein Zimmer. Die Berge wurden zu seinem Sehnsuchtsort, zu etwas, das ihn prägte und lenkte, lange bevor er verstand, was Bergsteigen wirklich bedeutet. Heute treibt ihn dieser innere Kompass bis an die äussersten Grenzen.

Zum Drama um Dahlmeier möchte Egloff sich nicht äussern – keine Bewertung, keine Fernanalyse. Doch wenn er über Risiko spricht, über Vorbereitung und über das, was am Berg zählt, wird klar, wie er grundsätzlich denkt. «Es ist schwierig zu sagen, was im Kopf der anderen passiert», sagt er. Topfit zu sein, reiche nicht, entscheidend seien jene «Flugstunden am Berg», die man nicht überspringen könne. Viele würden heute zu früh zu hoch greifen, sich zu sehr auf Prognosen verlassen. «Es kann so schnell ändern, so schnell zu einer beängstigenden Situation kommen.»

Egloff weiss, wovon er spricht. Er erzählt von jener Nacht, als ihn auf einem Gletscher unvermittelt eine Spalte verschluckte. Die Drohne filmte oben weiter, er war längst allein, im Dunkeln, ohne Handschuhe, ohne Steigeisen. «Ich schlug den Kopf, den Ellbogen, die Hände an … und plötzlich war ich einfach drin.» Mit purer Kraft stemmte er sich wieder hinaus.

Ein Restrisiko bleibt am Berg immer

«Als ich aus diesem Kamin rauskam, dachte ich: Ich bin schon ein Dummkopf. Das hätte so schiefgehen können.» Für ihn war das ein Mahnmal, dass auch extreme Erfahrung keine Garantie bietet. Ein Restrisiko bleibt.

Diese Erlebnisse prägen seine Haltung. Kritisiert wurde er schon oft dafür, mit grossem Rucksack unterwegs zu sein oder einen Partner mit Sauerstoff dabeizuhaben, selbst bei Speed-Projekten. Für ihn ist es schlicht Konsequenz. «Es geht um meine Leistung, aber auch um meine Sicherheit. Ich bin vielleicht etwas oldschool, aber ich habe immer Plan B, Plan C und Plan D.» In seinem Rucksack liegen zusätzliche Handschuhe, Hosen, Material zur Selbstrettung.

In den Bergen findet Egloff bis heute eine Ruhe, die ihm sonst kaum etwas geben kann. Wenn er im Basislager sitzt, in einem Zelt auf über 7000 Metern und den ganzen Tag nichts tut ausser schauen, denken und atmen, fühlt er sich angekommen. «In der Stadt kann ich das nicht mehr. Am Berg schon.»

Alleine unterwegs zu sein, bedeutet für ihn nicht Freiheit ohne Grenzen, sondern maximale Wachsamkeit. «Du hast so viel Respekt, wenn du alleine bist. Du musst alles kalkulieren, jedes Lüftchen, jede Entscheidung.»

«Ich freue mich, wieder nach Hause zu gehen»
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Egloff nach Versuch am Everest:«Ich freue mich, wieder nach Hause zu gehen»

Zwischen Risiko, Vernunft und Verantwortung

Kurz vor einem Versuch wie am Mount Everest beginnt in ihm ein innerer Dialog, fast ein Streitgespräch. Ehrgeiz gegen Vernunft. «Der Teufel sagt dir: Gib Gas. Und du musst ihm sagen: Ich höre nicht auf dich.» Früher hätte er vielleicht weitergezogen, koste es, was es wolle. Heute denkt er pragmatischer. «Mit vierzig weisst du: Heute ist einfach nicht der Tag.» Der abgebrochene Everest-Rekordversuch war für ihn deshalb kein Scheitern, sondern ein Zeichen von Reife, ein bewusstes Innehalten statt blindem Durchziehen.

Trotz aller Faszination für Extreme gibt es einen Fixpunkt, der stärker ist als jeder Gipfel: seine Familie. «Sie ist mein Nordpol.» Seine Frau versteht seine Leidenschaft, doch die Sorgen begleiten jede Expedition, besonders auch seine Kinder machen sich Gedanken. «Mein neunjähriger Sohn sagt manchmal: Alle in der Schule sagen, das ist zu riskant.»

Was sind die Seven Summits?

Die Seven Summits sind die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, eine der ultimativen Herausforderungen im Bergsteigen. Sie reichen vom Mount Everest in Asien über den Aconcagua in Südamerika bis zum Mount Vinson in der Antarktis. Wer alle sieben Gipfel besteigt, zählt zu den weltweit wenigen, die diese extreme Kombination aus Höhe, Technik und Ausdauer gemeistert haben.

Die Seven Summits im Überblick:

  • Asien: Mount Everest (8848 m) – Nepal, China
  • Südamerika: Aconcagua (6961 m) – Argentinien
  • Nordamerika: Denali / Mount McKinley (6194 m) – USA, Alaska
  • Afrika: Kilimandscharo (5895 m) – Tansania
  • Europa: Elbrus (5642 m) – Russland
  • Australien/Ozeanien: Carstensz-Pyramide / Puncak Jaya (4884 m) – Indonesien, Papua
  • Antarktis: Mount Vinson (4892 m) – Antarktis

Die Seven Summits sind die jeweils höchsten Berge der sieben Kontinente, eine der ultimativen Herausforderungen im Bergsteigen. Sie reichen vom Mount Everest in Asien über den Aconcagua in Südamerika bis zum Mount Vinson in der Antarktis. Wer alle sieben Gipfel besteigt, zählt zu den weltweit wenigen, die diese extreme Kombination aus Höhe, Technik und Ausdauer gemeistert haben.

Die Seven Summits im Überblick:

  • Asien: Mount Everest (8848 m) – Nepal, China
  • Südamerika: Aconcagua (6961 m) – Argentinien
  • Nordamerika: Denali / Mount McKinley (6194 m) – USA, Alaska
  • Afrika: Kilimandscharo (5895 m) – Tansania
  • Europa: Elbrus (5642 m) – Russland
  • Australien/Ozeanien: Carstensz-Pyramide / Puncak Jaya (4884 m) – Indonesien, Papua
  • Antarktis: Mount Vinson (4892 m) – Antarktis

Leidenschaft statt Checkliste

Egloff sieht sich nicht als Zahlenjäger. Wenn nur nicht diese sieben Monumente wären. Noch fehlen ihm drei Gipfel zur Vollendung der «Seven Summits», und genau dieses Ziel will er sich im Jahr 2026 erfüllen. «Das möchte ich noch fertig machen», sagt er ruhig, fast sachlich. Doch zwischen den Zeilen wird spürbar: Danach wird sich etwas verändern. «Jetzt bist du 44, aber gib es noch mal», sagt er sich selbst. Und gleichzeitig weiss er, dass diese Phase nicht ewig dauern kann. Dass dann wohl Schluss sein wird mit den ganz grossen Projekten.

Die Berge werden bleiben, aber vielleicht nicht mehr in dieser Radikalität. «Irgendwann ist einfach gut», sagt er. Dann wird der Fokus noch stärker auf der Familie liegen, auf dem Alltag, auf einem anderen Rhythmus des Lebens.

Bis dahin bleibt Karl Egloff unaufhaltsam – schon seine Mutter sagte ihm, dass ihn niemand stoppen kann. Oder wie er selbst sagt: «Ich habe Angst, alt zu werden, ohne das gemacht zu haben, was mich wirklich erfüllt.»

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