Egal, mit wem man sich über den zukünftigen Nati-Trainer Jan Cadieux (45) unterhält, es fällt immer das Wort «akribisch». «Er ist detailbesessen, zieht seine Sachen durch», beschreibt ihn Marc Gautschi (42), Sportchef bei Cadieux’ letztem Arbeitgeber Servette. «Er ist der ‹Mister Seriös›, immer top vorbereitet», sagt Trainerlegende Chris McSorley (63), der über viele Jahre mit Cadieux zu tun hatte. «Er ist ein Arbeitstier, das immer einen Plan haben möchte», beschreibt ihn Sébastien Reuille (44), der Cadieux als Mitspieler und Trainer erlebt hat.
Reuille war Teammanager der Ticino Rockets, die von 2017 bis 2019 die erste Station von Cadieux als Trainer auf Profistufe war. Dabei fiel Reuille auf, welchen Wandel Cadieux vollzogen hatte: «Als Spieler war er eher ruhig und zurückgezogen. Doch als Trainer war Jan nicht mehr die gleiche Person – er ging als feuriger Leader voraus.»
Ein einfach zu coachender Spieler
Der Spieler Cadieux machte eine schöne, aber keine spektakuläre Karriere. Er trat in Schweizer Junioren-Auswahlen in Erscheinung, aber schaffte es nie in die A-Nati. Er spielte drei Jahre in Lugano, acht Saisons für Servette und zum Schluss noch zwei Jahre in Fribourg, ehe der Stürmer 2013 abtrat. Während der langen Episode in Genf war stets McSorley sein Trainer. «Jan war ein einfach zu coachender Spieler. Er kam jeden Tag und gab das Maximum für das Team, ich musste mir nie Sorgen um ihn machen», sagt der Kanadier zur langen Zusammenarbeit.
Nach seiner Spielerkarriere stieg Cadieux als Nachwuchstrainer bei Fribourg ein, zog dann aber 2017 zu den Ticino Rockets weiter. Der Job bei den Prügelknaben der Swiss League war schwierig. «Fast täglich kamen und gingen Spieler. Jan musste ständig umdisponieren, aber er hat das super gemeistert», erinnert sich Reuille. Bei den zahlreichen langen Gesprächen mit Cadieux hat er immer wieder gestaunt: «Er weiss so viel über Hockey, kennt jeden Spieler in unseren Ligen in- und auswendig. Jan atmet nicht nur Hockey, er isst und schläft es auch noch.»
Der Meisterstreich mit Genf
Nach den zwei Jahren in Biasca suchte Cadieux eine neue, grössere Herausforderung. Er meldete sich in Genf bei McSorley, dieser – inzwischen nur noch Sportchef und nicht mehr Trainer – hatte sofort ein Gehör dafür und verhalf ihm zum Job als Assistenztrainer. «Das war ein sehr einfacher Entscheid, denn es fühlte sich so natürlich an, dass er nach Genf zurückkehrte.» Ein Jahr später endete dann die 19-jährige Schaffenszeit von McSorley – mit Schimpf und Schande wurde er damals fortgejagt. Sein Nachfolger als Sportchef wurde Gautschi.
Und dieser beförderte Cadieux nach der Entlassung des damaligen Trainers Patrick Emond (60) im November 2021 zum Headcoach. Cadieux und Gautschi führten den Klub in zuvor unbekannte Höhen, 2023 wurden die Genfer erstmals Meister, 2024 gewannen sie auch noch die Champions League. In der Romandie wurde Cadieux dadurch als neuer Schweizer Startrainer abgefeiert, während er in der Deutschschweiz nie diese Würdigung erhielt, die ihm aufgrund dieser Erfolge eigentlich zugestanden hätte.
Gautschis schwierigster Entscheid
Dabei ist der Sohn des legendären Paul-André Cadieux (1947 - 2024) in Davos geboren, mitunter in Chur, Bern und Langnau aufgewachsen und bezeichnet Deutsch als seine Muttersprache. Das Sprachtalent denkt und träumt aber in Französisch und spricht daheim ausschliesslich Italienisch, da seine Frau Tessinerin ist. «Ich trage alle Landesteile in meinem Herzen und bin stolzer Schweizer», hat Cadieux diese Woche versichert.
Doch zurück nach Genf. Da bekam Cadieux in seiner dritten Saison Probleme und wurde nach Weihnachten 2024 entlassen. Gautschi bezeichnet dies als den schwierigsten Tag, den er als Sportchef bis heute erlebt hat, denn sie seien sich sehr nahegestanden: «Aber wir wissen auch beide, wie dieses Business funktioniert.» Cadieux sagt im Rückblick: «Im Jahr, in dem ich entlassen wurde, habe ich noch mehr gelernt als im Jahr, in dem wir den Titel gewonnen haben.»
Launisch? Cholerisch?
Rund um seinen Abgang in Genf waren auch negativere Stimmen über ihn zu hören. Etwa, dass er sehr launisch sei und zuweilen auch cholerisch werden könne. Wie kennen seine Weggefährten diese Seite von Cadieux? «Ich bin ja auch nicht gerade ein Absolvent der Charme-Schule», sagt McSorley mit einem Grinsen, «aber ich finde, dass Jan berechenbar ist. Gewinnt er, geht es ihm gut. Gewinnt er nicht, ist er unnahbarer. Aber es ist bei den meisten Trainern so, dass man ihre Laune der Tabelle ansieht.» Zudem sei Cadieux noch immer ein sehr junger Trainer, der sich in einem laufenden Entwicklungsprozess befinde.
Gautschi sagt zu diesem Thema: «Grundsätzlich gibt es bei einem Coach, der immer aufs Gaspedal drückt, weil er das Maximum herausholen will, eine grössere Reibung, als bei einem Feel-Good-Coach, der immer gute Laune verbreitet und hofft, dass es auf diese Weise funktioniert.» Auch Reuille nimmt Cadieux in Schutz: «Als Trainer sollte man schon etwas hässig sein, wenn es nicht läuft.» Der ehemalige Lugano-Stürmer und heutige Experte bei Tele Ticino glaubt zudem, dass die Voraussetzungen bei der Nati, wo man diesen permanenten täglichen Kontakt nicht habe, ohnehin anders seien.
«Er wird alle überraschen»
Alle drei freuen sich darüber, dass Cadieux diese Chance erhält, und sind überzeugt, dass er der Richtige ist für die Fischer-Nachfolge. Ihr Weggefährte hat auch schon Erfahrung darin, aus dem Schatten anderer zu treten – in Genf hallte bis zum Meistertitel stets noch der Name von «Messias» McSorley nach. Und dieser findet: «Jan hat sich da grossartig geschlagen und bewiesen, dass er in grosse Schuhe schlüpfen kann.»
McSorley, heute Mehrheitsaktionär und Trainer bei Sierre, glaubt auch, dass Cadieux «den Charakter und die Persönlichkeit hat, um mit dem nationalen Druck, der nun auf ihn zukommt, umgehen zu können». Vom Naturell her sei der zukünftige Nati-Coach im Vergleich zu Fischer ein eher introvertierter Mensch, sagt Gautschi, aber er findet, dass Cadieux trotzdem auf diese grosse Bühne passe: «Jedes Podiumsgespräch und jedes Fernsehinterview von ihm während seiner Zeit bei uns war interessant. Viele werden Jan erst jetzt richtig kennenlernen – er wird sie überraschen.»
