Darum gehts
Keiner aus dem den Aufstieg ins Visier nehmenden Quintett La Chaux-de-Fonds, Sierre, Visp, Basel oder Olten sitzt in der Swiss League auf dem Leaderthron. Sondern der bescheidener operierende HC Thurgau, der von seinem Budget eher dem Mittelfeld zugeordnet wird. «Es ist zwar lediglich eine Momentaufnahme, aber damit haben auch wir nicht gerechnet», staunt CEO Christian Bannwart (40).
Es fällt schon länger auf: Im Thurgau wird vorzügliche Arbeit geleistet. Seit der Saison 2021/22 schaffte es der in Weinfelden beheimatete Verein als Aussenseiter dreimal in die Playoff-Halbfinals, aktuell hat er noch ein Brikett nachgelegt und zuletzt zehn Siege in Folge aneinandergereiht, inklusive Cup sind es sogar zwölf. Thurgau ist die Mannschaft der Stunde im Schweizer Eishockey.
Zu kleines Stadion – Aufstieg nicht möglich
Und dies, obwohl ihr Grenzen gesetzt sind. Ein Aufstieg ist kein Thema und darf auch keines sein. Mit einer Kapazität von 2880 Zuschauern erfüllt der Klub aus der Bodensee-Region mit seiner Eishalle Güttingersreuti die Infrastruktur-Bedingungen der National League nicht, da ist eine Mindestkapazität für 5000 Fans vorgeschrieben. Was Bannwart zwar einerseits schade findet, aber gleichzeitig wird im Hintergrund auch daran gearbeitet, dass Thurgau eines Tages gross träumen kann: «Es gibt Pläne, aber ein konkretes Projekt liegt noch nicht auf dem Tisch.»
Das bedeutet aber nicht, dass man beim Nordostschweizer Hockeyklub, der für einen ganzen Kanton steht, keine Ambitionen hat. «Wir waren noch nie in einem Playoff-Final. Dies wäre schon mal noch ein Ziel», führt Bannwart aus. Aber längst nicht das einzige. Dick auf die Fahne geschrieben hat man sich auch – mit dem ganzen Staff, um Headcoach Anders Olsson (50) und Sportchef Patrick Brändli (30) –, vor allem mit den jungen Spielern intensiv zu arbeiten, sodass diese dereinst auch in der National League bestehen können. Thurgau soll ein Sprungbrett sein.
34 verschiedene Spieler diese Saison
Aktuell gibt es Partnerschaften mit Fribourg und Kloten. Aber weil sich Thurgau einen guten Ruf erarbeitet hat, werden nicht nur deren Überschuss mit Perspektiven, sondern auch Spieler aus anderen Vereinen wie etwa Zugs Mischa Geisser (19) oder der bei Bern derzeit nicht benötigte Goalie Christof von Burg (24) gerne vorübergehend nach Weinfelden geschickt.
Schon 34 verschiedene Spieler wurden in dieser Saison bei Thurgau eingesetzt. Derweil sich ihr Ausländer-Duo Daniel Ljunggren (31) und Victor Backman (34) mit B-Lizenzen auch schon in der National League zeigen konnte, als dort Not am Mann war. Ljunggren bei Fribourg, Backman in Kloten. In der Thurgauer Garderobe herrscht daher fast schon ein Kommen und Gehen wie an einem Bahnhof.
Ein harter Kern für die Strategie
Und trotzdem schafft es Thurgau, als Einheit aufzutreten. «Das ist eine Herausforderung und nur möglich, weil unsere sportliche Leitung proaktiv kommuniziert und wir einen harten Kern an Führungsspielern haben, die stets bei uns sind. Sie sind auch diejenigen, die sich der dazustossenden Spieler annehmen und unsere Strategie mittragen», erklärt Bannwart dazu.
Einer aus diesem harten Kern ist Captain Dominic Hobi (34). Der gebürtige Prättigauer und ehemalige HCD-Junior spielt seit 2019 für Thurgau. «Es ist ein familiärer Klub, was mir sehr zusagt. Gemeinsam haben wir uns in den letzten Jahren permanent entwickelt», sagt der Stürmer. Auf und neben dem Eis. Er erzählt von der Errichtung des neuen Kraftraums und dem Umbau der Garderobe, wo die Mannschaft jeweils mitangepackt habe, was geholfen habe, ein spezielles Wir-Gefühl zu entwickeln.
«In Thurgau noch nie Neid erlebt»
Hobis persönliches Ziel ist es, in seiner Karriere nochmals Meister zu werden. So wie er das 2012 mit Langenthal geschafft hat. Aber auch bei den anderen seien die Ambitionen auch ohne Thurgaus Aufstiegsmöglichkeit gross: «Viele von uns haben noch nichts gewonnen, und für die Jungen ist es so, dass die Scouts vor allem in den entscheidenden Spielen hinschauen.» Wenn sich ein Mitspieler dann in der National League zeigen dürfe oder dort sogar einen Vertrag erhalte, würden ihm dies die anderen gönnen: «Ich habe bei Thurgau noch nie Neid erlebt.»
Der HC Thurgau hat im schwierigen Umfeld der Swiss League seinen Platz gefunden. Die Zuschauerzahlen sind in den letzten zwei Jahren jeweils um 20 Prozent gestiegen, und man schreibt schwarze Zahlen. Der sportliche Erfolg ist dabei ein wesentlicher Faktor, aber längst nicht der einzige. «Wir sind bodenständig, aber wollen den Leuten auch neben dem Eis etwas bieten und der Place to be im Thurgau sein», sagt Bannwart, der selbst Thurgauer ist, vor drei Jahren die Geschäftsführung beim HCT übernommen hat und zuvor sieben Jahre für den Sportvermarkter Infront tätig war. Um dieses Ziel zu erreichen, wird hinter den Kulissen gewirbelt und auch mal der Fantasie freien Lauf gelassen.
Der Geniestreich mit dem Whirlpool
So wie in den letzten Playoffs, als man mit einem Sponsor auf die verrückte Idee kam, einen Whirlpool im Stadion zu platzieren, von dem aus Wettbewerbsgewinner in Badehose und Bikini das Spiel verfolgen konnten. Die wie eine Kalberei anmutende Aktion wurde zum viralen Hit. Es gab über sieben Millionen Views des entsprechenden Videos auf Social Media, der HC Thurgau wurde in die ganze Welt hinausgetragen. Ein Geniestreich.
Zweifellos finden sie auch beim HC Ajoie genial, was der HC Thurgau aktuell leistet. Denn dass dieser in der Swiss League bis zum Schluss durchstartet, ist für den chronischen Tabellenletzten der National League womöglich die einzige realistische Chance, dass er im Frühling um eine Ligaqualifikation herumkommt. Eine solche dürften die Thurgauer im Fall des Titels als nicht aufstiegsberechtigtes Team nicht bestreiten.