Darum gehts
Das Stahlwerk in Emmenbrücke LU steht vor einer äusserst ungewissen Zukunft. Nach Recherchen hat der Konzern im ersten Halbjahr einen hohen zweistelligen Millionenverlust eingefahren. Das zehrt an den ohnehin knappen Reserven des Unternehmens, das sich offenbar nur noch dank der Unterstützung des Amag-Erben Martin Haefner (71) über Wasser halten kann. Dieser wiederum steht unter Druck der Banken, die Swiss Steel Kredite gewährt haben. Spekulationen kommentieren wir nicht, sagt eine Sprecherin.
Seit sich Swiss Steel von der Börse zurückgezogen hat, dringen kaum mehr Informationen über den Zustand der Geschäfte an die Öffentlichkeit. Einen Halbjahresbericht muss das Unternehmen nicht mehr veröffentlichen, und auch sonst gibt sich der Konzern zunehmend zugeknöpft: Selbst eine wichtige Personalie im Verwaltungsrat hat das Unternehmen nicht mehr kommuniziert.
Jens Alder (68), der lange Zeit als Präsident die Verantwortung trug und sich im Frühjahr noch als Vizepräsident wiederwählen liess, ist mittlerweile aus dem Gremium ausgeschieden – kommentarlos. Auf der Website ist sein Name bereits gelöscht, eine Mitteilung dazu blieb aus. Eine Sprecherin wollte sich zu den Gründen nicht äussern.
Swiss Steel hat sich die Probleme zu einem beträchtlichen Teil selbst zuzuschreiben. Viel zu lange hielt die Konzernleitung an der Hoffnung fest, die europäische Stahlnachfrage werde sich erholen. Der Abbau von Überkapazitäten und der Verkauf von defizitären Werken wurden zu spät eingeleitet. Gleichzeitig versäumte es das Management, neue Absatzmärkte zu erschliessen – etwa als Zulieferer für die boomende Rüstungsindustrie.
Doch jetzt wird es noch ungemütlicher: Die EU hat diese Woche angekündigt, ihre Importzölle auf Stahl drastisch zu verschärfen. Das zollfreie Kontingent für Stahlimporte in die EU wird halbiert, gleichzeitig steigt der Zoll auf 50 Prozent. Zwar richten sich die Massnahmen gegen Billigimporte aus Indien und China, doch weil die Schweiz nicht Mitglied der Zollunion ist, trifft die Regelung auch Schweizer Exporteure.
Kollateralschaden für die Schweiz
«Wir haben die Entwicklungen rund um die EU-Safeguards im Stahlsektor aufmerksam verfolgt. Die am Dienstag veröffentlichten Details werden nun sorgfältig analysiert», sagt eine Swiss-Steel-Sprecherin zum Zollhammer aus Brüssel. Für eine abschliessende Bewertung sei es jedoch noch zu früh, da die entscheidende Frage der zukünftigen Länderkontingente derzeit offenbleibe. Der Verband Swissmem ist alarmiert und fordert Gespräche zwischen Bern und Brüssel, um den Schaden zu begrenzen. Ob sie etwas bringen, ist allerdings fraglich. Die Schweiz ist nicht Teil des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und kann daher nicht von Ausnahmeregelungen profitieren. Unterschiedliche Zollsätze je nach Land sind kaum vereinbar mit dem Welthandelsrecht.
Besonders hart trifft es das Werk in Emmenbrücke, das den Grossteil seiner Produktion ins Ausland liefert. «Autohersteller sind auf die Spezialstähle aus der Schweiz angewiesen. Doch dieser Schutz wird nicht ewig währen. Andere Anbieter werden in die Lücke springen», sagt ein Branchenkenner.
Mit der Einführung der EU-Zölle geschieht nun, wovor Ökonomen bereits seit Monaten gewarnt hatten: Nach den USA sichern auch andere Wirtschaftsräume ihre Industrien zunehmend mit Schutzzöllen ab. Für eine offene Volkswirtschaft wie die Schweiz ist dies die schlimmstmögliche Wendung. Die Zölle lösen kein einziges strukturelles Problem. Die bestehenden Überkapazitäten bleiben bestehen, und Europa wird es mit dieser Politik kaum schaffen, die dringend notwendige Senkung der Stückkosten zu erreichen, um international wettbewerbsfähig zu bleiben. Leidtragende werden letztlich die Konsumenten sein – sie müssen künftig für viele Produkte mehr bezahlen, unter anderem für Automobile made in Germany.
Erwacht die Politik?
Auf kantonaler Ebene dürfte der Druck zunehmen. Der Luzerner Kantonsrat befasste sich Anfang September mit der Zukunft des Stahlwerks in Emmenbrücke. Vertreter von SP und Grünen forderten, der Kanton solle prüfen, wie der Standort und das Know-how der 650 Mitarbeitenden gesichert werden können. Eine direkte Finanzhilfe lehnte die Regierung jedoch ab. Man wolle sich darauf konzentrieren, die Rahmenbedingungen zu verbessern und Kurzarbeitsprogramme zu unterstützen. Geht es so weiter, wird es nicht bei Kurzarbeit bleiben.