Coronakritische Autoren erobern die Bestseller-Listen
Orell Füssli & Co. fordern Prüfstelle für Bücher

Coronaskeptische Autoren erobern die Bestsellerlisten. Schweizer Buchhändler profitieren davon, ohne sich um die Inhalte zu kümmern. Ganz wohl ist ihnen dabei aber nicht.
Publiziert: 31.10.2021 um 01:19 Uhr
Thomas Schlittler

Papier dürfte seine besten Zeiten hinter sich haben. Doch geduldig ist es wie eh und je.

Hochkonjunktur haben derzeit coronaskeptische Bücher. Manche verharmlosen Covid-19, andere verbreiten Falschinformationen über die Impfung oder sehen die Pandemie als grosses Komplott von Big Pharma, Journalisten, Politikern und Virologen.

«Corona dient nur als Vorwand, das staatliche Gewaltmonopol gegen Menschen und Menschenrechte in Stellung zu bringen und alles niederzuwalzen und zu unterdrücken, was sich totaler Kontrolle nicht freiwillig unterwirft», heisst es auf dem Cover des Buches «Das Corona-Dossier».

Corona-skeptische Bücher haben Hochkonjunktur – und Schweizer Buchhändler wie Ex Libris und Orell Füssli profitieren davon.
Foto: Thomas Meier
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Nicht minder dramatisch der Teaser von «Falsche Pandemien»: «Wir erleben zurzeit ein immenses Verbrechen gegen die Menschheit», schreibt Wolfgang Wodarg (74) darin. Der einstige deutsche Bundestagsabgeordnete der SPD ist überzeugt, dass «Corona-Profiteure» nicht die Sorge um Umwelt und Gesundheit antreibt, sondern «ihre kranke Gier nach Reichtum, Monopolen und Macht». Er erkennt einen «Putsch von oben, gesteuert von Impfmafia und Techno-Elite».

Publikationen dieser Art gab es schon immer. Was heute anders ist: Die Empfänglichkeit für solcherlei Weltanschauungen hat stark zugenommen. Die genannten Bücher wurden zehntausendfach verkauft, schafften es gar auf die «Spiegel»-Bestsellerliste.

Fragwürdige Auslagen

Schweizer Buchhändler wie Ex Libris und Orell Füssli profitieren von diesem Boom. Wer in ihren Onlineshops nach «Corona» sucht, stösst auf mehr als tausend Buchvorschläge; viele davon richten sich offenkundig an Corona-Skeptiker. Auch in den Läden liegen die fragwürdigen Schriften teilweise auf.

Wie gross die Umsätze mit solchen Titeln sind, wollen die Unternehmen nicht verraten. «Zu Verkaufszahlen geben wir grundsätzlich keine Auskunft», sagt ein Sprecher der Orell Füssli Thalia AG. Man sei sich aber bewusst, dass bestimmte Werke umstritten seien. «Wir schliessen jedoch grundsätzlich keine Bücher aufgrund ihrer Inhalte, Titel oder persönlichen Meinungen der Autoren aus unserem Sortiment aus.»

Bei Ex Libris klingt es ähnlich. Das führt zu einer kuriosen Situation: Während Facebook, Instagram und Twitter aktiv versuchen, die Verbreitung von «Fake News» zu unterbinden, haben «alternative Fakten» auf Papier nichts zu befürchten.

Ex Libris und Orell Füssli sortieren einzig gerichtlich verbotene Bücher aus, die wegen rassistischer, menschenverachtender oder gewaltverherrlichender Inhalte auf dem Index der deutschen Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften geführt sind.

Ganz glücklich aber sind die Buchhändler mit dem Status quo auch nicht. «Die Situation ist für uns unbefriedigend», so der Sprecher von Orell Füssli. Die Branchenriesen haben zwar nicht das Ziel, dass in Zukunft mehr Bücher verboten werden. Sie wollen aber nicht mehr darüber diskutieren müssen, welche Bücher sie verkaufen sollen und dürfen. Aus diesem Grund pochen sie darauf, dass in der Schweiz – analog zu Deutschland – eine Ombudsstelle geschaffen wird, die den Umgang mit umstrittenen Büchern klar regelt.

Federführend dabei ist der Schweizer Buchhändler- und Verleger-Verband (SBVV). Tanja Messerli (51) sagt zu SonntagsBlick: «Wir versuchen auf Initiative der grössten Buchhändler seit diesem Jahr, eine solche Stelle beim Bund anzuregen.» Die SBVV-Geschäftsführerin betont jedoch, dass dieses Engagement auf das grosse Wachstum des Onlinehandels und rassistische sowie faschistische Inhalte zurückzuführen sei. «Die Diskussion wurde nicht durch Corona initiiert.»
Nichtsdestotrotz: Angesichts der fragwürdigen Corona-Bestseller scheinen sich die grossen Buchhändler wieder verstärkt mit diesem Thema auseinanderzusetzen.

«Rechtliche Situation abwägen»

Ob, wann und in welcher Form es eine solche Ombudsstelle in der Schweiz geben wird, steht in den Sternen. Laut Messerli habe es bereits erste Kontakte zu Parlamentariern und Ansprechpartnern in der Verwaltung gegeben: «Grundsätzlich werden wir gehört, aber die rechtliche Situation muss natürlich genau abgewogen werden.»

Den Beteiligten ist klar: Eine Stelle, die Bücher verbieten kann, ist mehr als heikel. Die Meinungsfreiheit ist fundamentaler Bestandteil für eine funktionierende Demokratie. Jede noch so kleine Einschränkung will wohlüberlegt sein.

Wenn jemand öffentlich behauptet, dass Covid-19 von Microsoft-Gründer Bill Gates (66) in die Welt gesetzt wurde, um die gesamte Menschheit durchimpfen zu können, dann ist das zwar eindeutig absurd – aber ist es auch eine Gefahr für Gesellschaft und Demokratie? Wohl kaum.

Verschwörungstheoretiker können also beruhigt sein: Sie werden ihre seltsamen Thesen mit Sicherheit auch dann weiterverbreiten dürfen, wenn eine Schweizer Prüfstelle für Bücher eingeführt wird.

Es stellt sich sogar die Frage, ob eine Zensurbehörde für die führenden Corona-Skeptiker nicht ein Geschenk wäre. Schliesslich ist die grosse Ironie dieser Pandemie, dass genau jene, die am lautesten über das Virus und die Massnahmen dagegen wettern, mitunter am stärksten von Covid-19 profitieren.

In ein paar Jahren werden sie vermutlich sehnsüchtig an die Corona-Zeit zurückdenken. An eine Zeit, in der sie und ihre Verschwörungstheorien so viel Gehör erhielten wie niemals sonst.

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