Über eine Woche ist die Naturkatastrophe von Blatten VS mittlerweile her. Der Birchgletscher rutschte in die Tiefe. Und auch jetzt dominiert noch immer der riesige Schuttkegel das Lötschental. Millionen Kubikmeter Material liegen von einer Bergflanke zur anderen.
Jetzt stellt sich die Frage, wie man künftig mit dem dominanten Schuttkegel leben soll. Was ist nun technisch überhaupt möglich, um die Talsperre zu durchbrechen? Blick sprach mit Linard Cantieni, einem ausgewiesenen Experten, über Baumassnahmen. Er ist ETH-Professor für Untertagebau. So viel vorweg: Die Mischung aus Stein, Eis, Wasser, Staub und Schlamm hat es in sich, wie der Professor klarstellt. Cantieni ist der einzige Experte, der sich zu dem Problem zu äussern wagt. Alle grossen Baufirmen wie Implenia, Frutiger, Porr und Lombardi winken ab.
Der ETH-Professor sagt: «Eine erste Einschätzung ist schwierig, da noch sehr wenig über die Beschaffenheit des Schuttkegels bekannt ist.» Doch eines ist bereits klar: Ein Tunnel mitten durch den Kegel, wie das schon von verschiedenen Seiten gefordert wird, ergebe keinen Sinn. «Bereits die Erstellung wäre sehr anspruchsvoll und durch das Schmelzen des Eises im Schutt würde sich der Tunnel ungleichmässig setzen – und bald nicht mehr befahrbar sein», sagt Cantieni.
«Bleibt es noch über Jahre kritisch?»
Ausschlaggebend für die Wahl einer technischen Lösung seien jetzt eine Analyse und eine Strategie. «Entscheidend ist dabei, wie sich die Situation am Berg entwickelt. Bleibt es noch über Jahre kritisch? Oder stabilisiert sich der Hang oberhalb des Tals?», so der Experte.
Falls das Nesthorn instabil bleibt, könnte man gemäss Linard Cantieni einen «Umfahrungstunnel um den Schuttkegel in einer der beiden Flanken des Tals im Berg bauen», um das Gebiet hinter dem Kegel zu erschliessen. «Dieser wäre dann, je nach Lage der Portale und Linienführung mindestens vier bis fünf Kilometer lang und der Bau entsprechend zeit- und kostenintensiv», sagt der ETH-Professor.
Seit Donnerstag ist eine neue Analyse öffentlich einsehbar, die mithilfe von Daten von Swisstopo erstellt wurde. Zum ersten Mal ist präzise zu sehen: Der Schuttkegel ist maximal knapp über 35 Meter hoch. An vielen Stellen deckt er den Talboden auch mit nur 20 Metern zu. Auf der Grafik, die auf der Analyse eines Geo-Visual-Design-Studenten der Hochschule München, Simeon Schmauss, beruht, sind Höhenunterschiede von vor und nach dem Bergsturz zu sehen.
Lohne sich, Randa-Massnahmen zu studieren
Dies bedeutet, dass der Schuttkegel von Blatten höhenmässig mit jenem des Bergsturzes von Randa VS von 1991 zu vergleichen ist. «Es lohnt sich, die Massnahmen von damals zu studieren», sagt Linard Cantieni. «In Randa grub man für das Wasser einen bis zu 20 Meter tiefen Kanal. Für den Verkehr baute man eine Hilfsstrasse.» Eine Zufahrtsstrasse führt noch heute über Gestein, 34 Jahre nach dem verheerenden Bergsturz.
Zur Erinnerung: In Randa donnerten damals 33 Millionen Kubikmeter Gestein ins Tal. Grosse Teile des Weilers Lerch, die Hauptstrasse nach Zermatt und die Strecke der Brig-Visp-Zermatt-Bahn wurden verschüttet. Der Bach Vispa wurde gestaut.
Ob ähnliche Massnahmen für Blatten technisch machbar wären, muss noch analysiert werden. «Die Situation am Berg muss dafür stabil werden und bleiben», sagt Linard Cantieni. Und weiter: «Den Schuttkegel von Blatten muss man zuerst für eine geeignete Linienführung des Kanals erkunden.»