Darum gehts
- Überschuldetes Paar kämpft um Existenz und hofft auf politische Lösung
- Scham und Vorurteile erschweren den Umgang mit finanzieller Notlage
- Paar rief beim Betreibungsamt an und drohte, sich selbst anzuzünden
Es ist ein kleiner Satz, der einem Mantra gleicht und den sie oft wiederholen. «Wenigstens lieben wir uns.» Susana (31) und Xavier N'daka* (37) sitzen nebeneinander im Wohnzimmer ihrer schmucklosen Wohnung in einer Gemeinde im Umland der Stadt Neuenburg und sind voller Zärtlichkeit füreinander. Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihren beiden kleinen Kindern erzählen. «Das Schönste, was mir je im Leben passiert ist», sagt Mutter Susana. «Ihretwegen kämpfe und lebe ich noch», haucht Vater Xavier sanft.
Er ist wie seine Lebensgefährtin seit Jahren überschuldet. Er verzweifelte so sehr, dass er beim Betreibungsamt anrief und drohte, sich selbst anzuzünden. Der Grund für Xaviers tiefe Verzweiflung an jenem Tag: Teure Reparaturen am Familienauto, das für den täglichen Weg zur Arbeit unersetzbar ist. Dazu noch die Pfändungen, die ihm ohnehin die Kehle zuschnürten.
Scham und Vorurteile
Die Eheleute N'daka können nur mit Liebe überleben. Rund 110'000 Franken Schulden hat Xavier, der als Logistiker in einem öffentlichen Unternehmen in La Chaux-de-Fonds NE arbeitet. Über 90'000 Franken hat Susana, die als Visual Merchandiser in einem weltberühmten Modeunternehmen tätig ist. Der Nationalrat befasst sich in der Wintersession mit der Revision des Bundesgesetzes für Schuldbetreibung und Konkurs. Anlässlich dieses Umstandes haben sich die beiden bei Blick gemeldet.
Sie sind bereit, der Überschuldung in der Schweiz ein Gesicht zu geben, und trotzen der Scham und den Vorurteilen. Mit einer Einschränkung in letzter Minute: «Letztendlich ist es mir lieber, wenn wir nicht unsere richtigen Namen nennen und mich nicht vollständig zeigen», sagt Susana. «Ich stehe durch meinen Job in Kontakt mit Kunden und möchte nicht aufgrund meiner Situation beschuldigt werden, wenn einmal etwas Geld in der Kasse fehlt. Wenn die Leute davon erfahren, stecken sie uns sehr schnell in eine Schublade.»
Der Eingang zu ihrer Wohnung sieht aus wie der einer beliebigen Familie. Über Mänteln und Hausschuhen stapeln sich Papiere in einem offenen Schrank. Rechnungen und Betreibungen, alles ist akribisch abgeheftet. «So können wir besser sehen, was bezahlt wurde und was noch nicht», sagt Xavier. «Seit der Geburt unserer Kinder sind wir mehr oder weniger auf dem Laufenden. Die Ankunft unseres Ältesten war für uns ein Wendepunkt: Was würden wir hinterlassen? Wir versuchen, damit klarzukommen. Das Problem ist, dass wir uns in einer Sackgasse befinden. Wir haben kleine Löhne, also kann man uns nur ein paar Hundert Franken pro Monat abknöpfen. Bei diesem Tempo würden wir Jahrzehnte brauchen, um unsere Schulden zurückzuzahlen.»
Susana korrigiert ihn: «In Wirklichkeit werden wir unsere Schulden nie zurückzahlen können. Denn da sind die Zinsen und vor allem die Steuern, die noch immer nicht auf das Existenzminimum angerechnet werden. Die Schulden beim Staat steigen immer weiter an. Obwohl wir beide arbeiten und uns nur das Nötigste zum Überleben bleibt, sitzen wir in der Falle».
Ausflüge in die Natur statt Restaurantbesuche
«Überleben» – ein Wort, das Susana nicht leichtfertig ausspricht. Das Existenzminimum ist der Betrag, über den eine Person verfügen muss, um ihre Grundbedürfnisse zu decken – und die seiner Familie. Es beträgt 1200 Franken pro Monat für eine alleinstehende Person, 1350 Franken für eine alleinstehende Person mit Kindern und 1700 Franken für ein Paar mit einem oder mehreren Kindern. Für Kinder beträgt es je nach Alter 400 oder 600 Franken.
Hinzu kommen die unvermeidlichen Ausgaben wie Miete, Heizung, Kinderbetreuungs- und Schulgebühren oder obligatorische Krankenversicherung. Insgesamt haben die N'dakas 7305 Franken pro Monat. Von dieser Summe muss alles bezahlt werden. Die Mutter rechnet vor: «Am 5. jedes Monats, nachdem wir alle Fixkosten und die ersten Einkäufe bezahlt haben, bleiben uns beiden 200 Franken, um bis zum nächsten Gehalt durchzukommen. Das bedeutet, dass wir jeden Rappen zählen. Wir kaufen in verschiedenen Supermärkten ein, denn manche Produkte sind im Denner billiger, andere in der Migros, wieder andere im Coop. Wir sind immer auf der Suche nach Aktionen und Coupons.»
Das wirkt sich natürlich auch auf die Freizeitgestaltung aus. «Ausflüge machen wir nicht ins Restaurant, sondern in die Natur, denn das ist kostenlos», sagt Xavier. «Unser dreijähriger Sohn liebt Tiere und Zoobesuche. Aber je nach Eintrittspreis ist das nicht immer möglich. Zum Glück ist er in einem Alter, in dem ihm ein Fussball und ein Drachen reichen.» Er lächelt: «In letzter Zeit fragt unser Kleiner ständig nach seinem Patenonkel. Das liegt wahrscheinlich daran, dass er ihm letztes Mal einen Schokoladen-Dinosaurier geschenkt hat.»
Seine Frau seufzt: «Es wirkt sich auch auf unseren Zugang zu medizinischer Versorgung aus. Wir gehen so wenig wie möglich zum Arzt, und wenn wir doch hingehen, ist es nie einfach. Ich hatte einmal Zahnschmerzen. Ich musste mehrere Kostenvoranschläge einholen, bevor ich mich behandeln lassen durfte. Dann musste ich das Geld vorstrecken, das ich nicht hatte. So viel zu den Schmerzen und meinem Budget».
Eine endlose Spirale
Schon mit 18 Jahren hatte Susana unbezahlte Krankenkassenprämien, die sie nicht mehr aufholen konnte. Als Dekorationslehrling verdient sie im ersten Ausbildungsjahr 300 Franken pro Monat. «Ein Verwandter hat sein Auto auf meinen Namen zugelassen. Aber er hat die Rechnungen nicht bezahlt.»
Mittellos, verloren, überfordert und entmutigt fuhr sie regelmässig ohne Billett im Bus zur Arbeit und häufte Bussen an. Nach ihrem Abschluss begann sie ihr Arbeitsleben mit einer schwindelerregenden Lücke von 60'000 Franken.
Xavier hingegen ist bereits das zweite Mal verheiratet. Das Leben war friedlich, er verdiente gut. Dann brach alles über ihm zusammen. Seine Ex-Frau verliert kurz hintereinander zwei Kinder im Mutterleib. Das Paar kann das nicht verkraften. «Ich war am Boden zerstört und depressiv und habe mir 20'000 Franken geliehen, um ein neues Auto zu kaufen», erzählt er. «Es kam, wie es kommen musste: Ich verlor meinen Job.»
Paar hofft auf zweite Chance
Ein Jahr lang war er arbeitslos, dann verlor er von einem Tag auf den anderen 30 Prozent seines Einkommens. Die monatlichen Kreditraten konnte er nicht mehr bezahlen. Trotzdem stockte er den Kredit auf – heute beläuft er sich auf über 36'000 Franken. Hinzu kommen Kreditkartenschulden von insgesamt rund 20'000 Franken, rund 5000 Franken Rückstände bei der Wehrpflichtersatzabgabe und Steuerschulden von über 50'000 Franken.
Für sie bietet sich nur noch eine politische Lösung an. «Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Sanierungsverfahren geben uns Hoffnung», versichert Susana. «Wenn Bern sie annimmt, können wir wieder an ein normales Leben führen. Ich träume davon, nicht das Gefühl zu haben, umsonst zu arbeiten, ein soziales Leben wie alle anderen zu geniessen, in die Ferien fahren zu können, Steuern zu zahlen. Abgesehen von materiellem Komfort wünschen wir uns von ganzem Herzen, dass wir wieder einen normalen Platz im Leben der anderen einnehmen: unsere Kinder anschauen, ohne uns für die Schulden zu schämen, die uns anhaften, eine Einladung annehmen, ohne die Ausgaben zu planen».
Ihr Mann nickt: «Wenn ich in der Lotterie gewinnen würde, würde ich zum Betreibungsamt gehen und alle Schulden begleichen! Wenn du einmal in einer solchen Situation warst, wirst du nicht wieder in diese Situation zurückfallen, wenn du eine zweite Chance bekommst. Das ist jedenfalls unser sehnlichster Wunsch. Wir sind bereit, alle Anstrengungen und Opfer zu bringen, die es erfordert.»
Dieser Artikel wurde ursprünglich in «L'illustré» veröffentlicht.
*Namen bekannt