Darum gehts
Sie war schon einmal obdachlos. Das war vor zwei Jahren, als Elena Ilić zwei kleine Kinder hatte und mit dem dritten schwanger war. Ihr Ältester habe damals immer wieder gefragt: «Mami, wänn gömmer hei?»
Und nun drohte der gleiche Horror nochmals. Wieder Obdachlosigkeit. Elena Ilić wollte das unbedingt verhindern. «Ich muss mich für meine Kinder zusammennehmen», sagt die 30-Jährige. Oft habe sie nachts geweint, wenn die Kleinen schliefen. Ilić schiebt sich ihre Zöpfe aus dem Gesicht und kuschelt sich wie zum Schutz in ihre graue Kapuzenjacke. Sie möchte aus Rücksicht auf die Kinder weder ihren richtigen Namen noch die aktuelle Wohngemeinde nennen, erklärt die gebürtige Luzernerin dem Beobachter.
Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.
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Doch der Reihe nach.
Familie verliert Wohnung und übernachtet auf der Strasse
Erstmals auf der Strasse stand die Familie vor gut zwei Jahren. Wegen Eigenbedarfs des Vermieters. Das war 2023. Doch als Sozialhilfebezüger mit Schulden aufgrund offener Krankenkassen- und Handyrechnungen fanden sie und ihr damaliger Partner keine andere Wohnung. Die Familie übernachtete bei Bekannten, ab und zu auch auf der Strasse. «Niemand vom Sozialamt half uns», erinnert sich die gelernte Coiffeuse.
In ihrer damaligen Notlage gelangte sie an die Zeitung «20 Minuten», der emotionale Bericht zeigte Wirkung. Eine Immobilienverwaltung aus Dübendorf ZH hatte Mitleid mit der jungen Mutter und verschaffte ihr eine 2,5-Zimmer-Wohnung im Zürcher Oberland.
Elena Ilić zog mit den zwei- und vierjährigen Kindern ein, das dritte kam kurz darauf zur Welt. Vom Partner hatte sie sich getrennt. «Ich war so dankbar, eine eigene Wohnung zu haben», erinnert sie sich. Der Umzug vom Luzernischen in den Kanton Zürich habe sie nicht gestört – «Hauptsache, wir hatten wieder ein Daheim.» Nur dank einer Mietkautionsversicherung konnte sie das Depot leisten.
Vorsicht bei Mietkautionsversicherungen
Viele Armutsbetroffene finden nur so eine Wohnung. Die Versicherung streckt das Geld fürs Mietzinsdepot vor, dafür zahlt man jährlich eine Prämie. Am Ende verlangt die Versicherung die Kaution zurück, manchmal kommen noch Verwaltungsgebühren dazu. Der Beobachter rät deshalb davon ab. Besser bittet man Freunde, Eltern oder Bekannte um ein Darlehen.
Elena Ilić hat keine Verwandten, die ihr helfen könnten. Ihr Vater verschwand bei ihrer Geburt. Die Mutter starb, als sie 22 Jahre alt war. Ihre Urne steht in einer Ecke der Küche. Auch vermögende Freunde hat sie keine.
Sie schläft auf der Couch in der Stube
Im Mai 2025, zwei Jahre später, wird in ihrer Überbauung bei der gleichen Verwaltung eine 3,5-Zimmer-Wohnung frei. Ilić ist froh, endlich mehr Platz für sich und ihre Kinder zu haben. Bis dahin schlief sie auf der Couch im Wohnzimmer.
MediaSlot: ImageContainer #ImageDas zuständige Sozialamt bewilligt den Umzug – dreieinhalb Zimmer sind kein Luxus für vier Personen. Familie Ilić zieht ein. Die neue Wohnung ist hell und aufgeräumt. Im Gang hängen Babyfotos, gerahmte Hand- und Fussabdrücke der Kinder.
Der Älteste besucht den Kindergarten, die beiden Kleinen sind drei Tage pro Woche in der Krippe, damit Ilić einen Job suchen kann. Zurzeit absolviert sie eine Weiterbildung im Sales-Bereich. Alles gut so weit.
Versicherung lehnt sie ab, es droht Verlust der Wohnung
Doch dann der Schock: Ilićs bisherige Mietkautionsversicherung lehnt ihren Antrag für die neue, etwas teurere Wohnung ab. Die Annahmerichtlinien hätten sich geändert, die Bonitätsprüfung sei nun umfassender. Obwohl sie ihre Schulden monatlich abstottert, hat sie immer noch ausstehende Betreibungen über mehrere Tausend Franken.
Damit hat die alleinerziehende Mutter nicht gerechnet. Die Verwaltung besteht auf der vertraglich geregelten Mietkaution über drei Monate – Geld, das Ilić nicht hat. Wieder droht der Verlust der Wohnung, weil auch keine andere Versicherung sie aufnehmen will.
Trotz akuter Notlage hilft Sozialamt nicht
Eine akute Notlage. Denn vom Sozialamt kommt ebenfalls keine Hilfe. «Wir übernehmen keine Mietkautionen», sagt die zuständige Sozialarbeiterin. Diese Aussage liegt dem Beobachter schriftlich vor.
Dabei verstösst eine grundsätzliche Ablehnung der Mietkautionsübernahme gegen das Gesetz. Die Sozialbehörden müssen beim Umzug in eine passende Wohnung «die Leistung einer Sicherheit gemäss Artikel 257e des Obligationenrechts ermöglichen». Das heisst, sie müssen eine Mietkaution leisten, wenn es keine andere Möglichkeit gibt. Diese gehört laut den Richtlinien der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (Skos) zu den Unterstützungsleistungen im Rahmen der Wohnkosten.
Das sieht auch die Amtsleitung des zuständigen Sozialamts so: «Unsere internen Richtlinien sind klar und verbindlich: Wenn keine Mietkautionsversicherung möglich ist, wird die Mietkaution durch uns finanziert.»
Bei Ilić ist das aber nicht geschehen. Auf nochmalige Nachfrage heisst es: «Natürlich ist es möglich, dass uns ein Fehler passiert ist.» Aber ohne genaue Informationen könne man keine Stellung nehmen. Um die Anonymität von Ilić zu schützen, konnte der Beobachter keine persönlichkeitsrelevanten Details preisgeben. Gewaltig zu leiden hatte unter diesem mutmasslichen «Fehler» Elena Ilić.
Stiftung SOS Beobachter springt ein
Da die Zeit drängt, springt ausnahmsweise die Stiftung SOS Beobachter ein. Geschäftsführer Beat Handschin sagt: «Hilfswerke haben nicht die Aufgabe, staatliche Verantwortung zu übernehmen. Dennoch erreichen uns viele Gesuche für Leistungen, die durch die öffentliche Hand finanziert werden müssten. Zum Beispiel oft für Mietkautionen.» Weil eine erneute Obdachlosigkeit drohte, übernimmt SOS Beobachter unbürokratisch die Kaution.
Sie will Jägerin werden
Elena Ilić ist dankbar, dass sie in der neuen Wohnung bleiben kann. Die Familie fühlt sich wohl in der ländlichen Umgebung, morgens steht oft ein Graureiher im Feld gegenüber. Entspannung findet Ilić im Schiessstand. Nächstes Jahr möchte sie den Jagdschein machen.