CO₂-Kompensation in Ghana
Geheimnistuerei um Schweizer Pionier-Projekt

Mit 180'000 effizienten Kochöfen soll Ghana für die Schweiz CO₂ sparen. Darüber reden will kaum jemand. Und hinter den Kulissen versuchen Akteure, den Klimaschutz zu schwächen.
Publiziert: 30.09.2025 um 10:18 Uhr
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Aktualisiert: 13:03 Uhr
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Sie helfen der Schweiz, CO₂ zu kompensieren: Frauen in Ghana mit ihren energiesparenden Kochöfen.
Foto: Emmanuel K. Dogbevi, iStock, Freepik - Montage: Beobachter

Darum gehts

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Tina Berg
Beobachter

In Kasei, einem Bauerndorf in der ländlichen Ashanti-Region, sind die Frauen froh um ihre neuen Kocher – die verbrauchen weniger Holzkohle. Schöner Nebeneffekt: Mit jeder Okrasuppe, die sie darauf kochen, sparen sie nun CO₂ für die Schweiz ein.

Insgesamt 180’000 solcher Holzsparöfen sollen in Ghana verkauft werden. Und damit, so war zumindest der Plan, gut drei Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Die kann sich die Schweiz im Gegenzug auf dem eigenen Emissionsregister gutschreiben. Die Spielregeln dafür sind in einem Abkommen zwischen den beiden Ländern festgelegt.

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Das Kocherprojekt in Ghana ist erst das zweite Projekt weltweit, das rechtlich unter dem Pariser Klimaabkommen läuft und entsprechende Zertifikate generiert hat. Mit dem ersten finanzierte die Schweiz Elektrobusse in Bangkok.

Fragen werden ignoriert

Die 31-jährige Salla Seidu hat drei Kinder und wohnt in Kasei. Den Sparofen hat sie vor eineinhalb Jahren für 180 ghanaische Cedis gekauft – etwa 13 Schweizer Franken. Sie freut sich vor allem darüber, dass sie mit dem neuen Ofen mit weniger Rauch kochen kann und nicht mehr so viel Holzkohle benötigt, sagt sie dem Journalisten Emmanuel Dogbevi. Das sei gut für ihre Gesundheit und spare Geld.

Dogbevi betreibt im westafrikanischen Land seine eigene Plattform «Ghana Business News». Im Auftrag des Beobachters hat er das Schweizer Pilotprojekt unter die Lupe genommen. Oder besser gesagt: nehmen wollen. Denn abgesehen von den Leuten in Kasei wollte niemand wirklich mit ihm reden.

«Der Typ von der Firma Farmerline hat mich schlichtweg ignoriert. Aber ich habe ihm heute eine Erinnerung gesandt», schrieb er im Mai per Whatsapp der Beobachter-Journalistin. Die Nachricht sollte sich als symptomatisch für die ganze Recherche erweisen.

Die Öffentlichkeit weiss praktisch nichts

Hergestellt werden die Öfen in Ghana von der US-Firma Envirofit, unter die Leute gebracht von der Firma Farmerline. Als Emmanuel Dogbevi erfuhr, dass Farmerline in ein internationales CO₂-Projekt involviert ist, staunte er. Er kannte zwar die Firma, aber lediglich als ghanaisches Tech-Start-up. Es hat eine App entwickelt, um Bauern den Zugang zu landwirtschaftlichen Hilfsmitteln zu erleichtern. Ganz grundsätzlich sei in der ghanaischen Öffentlichkeit kaum etwas bekannt über das Kocherprojekt und den CO₂-Deal mit der Schweiz.

«Als ich in Kasei war, versuchte ich mit dem lokalen Farmerline-Vertreter zu reden. Aber am Telefon reagierte er aggressiv, unhöflich und wollte wissen, woher ich seine Nummer hatte.» Der Kommunikationschef am Hauptsitz stimmte schliesslich zwar widerwillig zu, ein paar Fragen zu beantworten. Was er letztlich aber nie tat. Trotz mehrmaligem Nachhaken.

Warum so verschwiegen?

Auch bei der anderen involvierten Firma biss der lokale Reporter auf Granit: In einem LinkedIn-Post hatte der Regionaldirektor von Envirofit International zwar überschwänglich vom Projekt erzählt. In seinem Profil schrieb er stolz: «Pioneering the world’s first ITMO cookstove project». Und auf Anfrage von Emmanuel Dogbevi versprach er auch, schriftliche Fragen zu beantworten. Doch ab dann wurde der Reporter wiederum geghostet – der Direktor reagierte weder auf Whatsapp-Nachrichten noch auf Mails oder Anrufe.

Auch als sich der Beobachter aus der Schweiz einschaltete, reagierten die beiden Firmen nicht.

Auftrumpfen im eigenen Netzwerk, aber lieber nicht gegenüber der Öffentlichkeit: wieso so verschwiegen? Immerhin soll es sich um ein Vorzeigeprojekt handeln.

Doch nicht nur die «Pioniere» in Ghana geben sich wortkarg. Auch die Firma, die eigentlich dahintersteht: ACT Commodities. Der internationale Konzern hat das Projekt für die Schweiz entwickelt und verkauft ihr letztlich auch die CO2-Bescheinigungen. Ansässig an der schicken Amsterdamer Finanzmeile Zuidas, nennt er sich «Your Sustainability Solutions Partner» – «Partner für nachhaltige Lösungen», handelt aber gleichzeitig auch mit Schiffstreibstoffen. Der Konzern gehört zu den Grossen im internationalen Emissionshandel. Gemäss der niederländischen Investigativplattform «Follow the Money» soll er 2023 einen Umsatz von 3,4 Milliarden Euro und einen Gewinn von über 100 Millionen eingefahren haben.

Der niederländische Journalist Hans Ariëns vom niederländischen Kollektiv The Investigative Desk hat sich lange mit ACT und deren Rolle im weltweiten Handel mit CO₂-Zertifikaten beschäftigt. Er sagt: «Bei ACT herrschte offenbar lange eine Kultur vor, bei der es primär ums schnelle Geld ging. Ein bisschen wie im Film ‹Wolf of Wall Street› – mit knallenden Korken und Konfetti bei grossen Geschäftsabschlüssen.»

Die Schweiz poliert den Ruf der Firma auf

In den letzten Jahren erschütterten diverse Skandale rund um wertlose CO₂-Zertifikate den internationalen Emissionshandel – in Kritik geriet dabei unter anderem auch die weltweit führende Zürcher Klimazertifikatehändlerin South Pole. ACT, so meint Hans Ariëns, versuche, ihr Image nun zu verbessern: «Zum Beispiel mit dem Projekt in Ghana unter Aufsicht der Schweizer Regierung. Darauf weist ACT auf der Website stolz hin, auch auf ihre konservativen Berechnungen. Und ein Mitarbeiter erzählte mir auch, dass man diese Projekte toll findet, weil man weiss, woran man ist. Geringere Margen nehme man dafür gern in Kauf.»

Das klingt gut, passt aber nicht damit zusammen, was abseits der Öffentlichkeit läuft: Das Ghana-Projekt war im Sommer 2023 sogar vorübergehend sistiert worden, weil der niederländische Konzern versucht hatte, einen zu hohen fNRB-Wert bei den Schweizer Behörden durchzudrücken. Das zeigt ein Dokument, das der Beobachter, gestützt auf das Öffentlichkeitsgesetz, vom Bundesamt für Umwelt (Bafu) erhalten hat.

Was ist der fNRB-Wert? Hinter diesem kryptischen Kürzel versteckt sich im Grunde die relevante Grösse im CO₂-Deal mit Ghana. Und nicht nur dort. Auch bei anderen von der Schweiz geplanten Klimaprojekten etwa in Georgien, Malawi oder Senegal.

Die Sache mit den überschätzten Werten

Das Kürzel fNRB steht für «fraction of non-renewable biomass». Der Faktor bezeichnet also den – geschätzten – Brennholzanteil, der nicht nachhaltig gewonnen wird. Diesen Holzverbrauch will man möglichst reduzieren. Heisst konkret: Je höher der fNRB-Wert, umso mehr Reduktion, umso besser fürs Klima – und desto mehr CO₂-Bescheinigungen lassen sich damit verkaufen.

Nun besteht bei solchen Projekten natürlich die Gefahr, dass der fNRB-Wert überschätzt und damit ein Klimanutzen «verkauft» wird, den man in der Realität gar nicht erreicht. Beim Ghana-Projekt zeigte sich: Der Gewinn fürs Klima war um bis zu 79 Prozent überschätzt worden. Herausgerückt wurden die genauen Berechnungen erst, nachdem Delia Berner Druck aufgesetzt hatte – ebenfalls auf Basis des Öffentlichkeitsgesetzes. Berner ist Expertin für internationale Klimapolitik bei Alliance Sud.

Delia Berner kritisiert die mangelnde Transparenz scharf: «Gerade die wichtigsten Eckwerte müssen öffentlich sein, damit die Gesellschaft nachvollziehen kann, wie es um die Qualität dieser Projekte steht.»

Erwartungen mehr als halbiert

Aufgrund der Recherche von Alliance Sud musste Klik, die Stiftung Klimaschutz und CO₂-Kompensation, schliesslich einräumen, dass man statt mit CO₂-Einsparungen von 3,2 Millionen Tonnen, wie ursprünglich angenommen, nun noch mit 1,3 Millionen rechne. Die Stiftung soll im Auftrag des Bundes die Kompensationspflicht der Treibstoffimporteure umsetzen – und damit einen grossen Brocken des Schweizer Klimaziels stemmen.

Eigentlich hat die Geschäftsstelle Kompensation beim Bund den gesetzlichen Auftrag, zu prüfen, ob eingereichte Projekte der CO₂-Verordnung und den bilateralen Abkommen genügen. Und ob der angenommene Klimanutzen nicht überschätzt wird.

Die Risiken der Pionierrolle

Allerdings kann die Schweiz dabei nicht von den Erfahrungen anderer Länder profitieren, weil bisher fast nur sie bei der CO₂-Kompensation diese Auslandsschiene fährt. Zwar wurden an der letzten Klimakonferenz in Baku Regeln für den Artikel 6 des Pariser Abkommens beschlossen. Doch Kritiker monieren bereits allfällige Schlupflöcher.

Bei so relevanten und zugleich schwer festzulegenden Parametern wie dem fNRB-Wert wird das zum Problem. Die Geschäftsstelle Kompensation des Bundes versucht, sich an wissenschaftlichen Erkenntnissen zu orientieren, wird aber von aussen ordentlich unter Druck gesetzt. Beim Ghana-Projekt sowohl durch den niederländischen Konzern ACT als auch durch die Stiftung Klik. Das zeigen interne Dokumente, die dem Beobachter vorliegen.

Die Vorstellungen klaffen weit auseinander

Am 10. März 2023 hatte das Bundesamt für Umwelt zusammen mit anderen Ämtern den fNRB-Wert in einem Grundsatzentscheid auf 30 Prozent festgesetzt. Das entspreche einem konservativen Mittelwert. Und man reduziere damit das Risiko, Zertifikate ans Paris-Ziel anzurechnen, die keine effektiven Emissionsminderungen darstellen. So steht es im Protokoll der Onlinesitzung.

Diesen Entscheid hatte die Klik noch im Februar zuvor vergeblich abzuwenden versucht. ACT und Klik hatten einen fNRB-Wert von fast 80 Prozent vorgeschlagen. In einer Stellungnahme drohte die Stiftung mit dem Schreckensszenario, dass man die «Entwicklung von neun Programmen überprüfen und einige mangels finanzieller Tragbarkeit wahrscheinlich einstellen» müsse. Der Bund solle doch «nicht übermässig konservativ» sein und den Wert nicht «derart tief» ansetzen.

Scharfer Umgangston zwischen den Beteiligten

Im Juni doppelten der Klik-Geschäftsführer Marco Berg und der Präsident des Stiftungsrats in einem Brief an die Bafu-Direktorin nach. Sie schrieben, dass Vertreter der Länder Ghana, Malawi und Senegal ihr «Unverständnis über den einseitigen, nicht mit den Partnerländern abgestimmten Entscheid der Schweiz» geäussert hätten. Die Projekte seien akut gefährdet. «Dies erscheint uns weder aus Sicht der Klimapolitik noch im Sinne guter Beziehungen der Schweiz mit den Ländern in Afrika von Interesse zu sein.»

Das kam offensichtlich nicht gut an, denn im Protokoll der Projektoberleitungssitzung vom 30. Juni wird Bafu-Vizedirektor Reto Burkard damit zitiert, dass es nicht die Rolle der Klik sei, «über den Zustand der Schweiz und ihrer bilateralen Beziehungen zu urteilen».

Der Schweiz droht ein beachtlicher Reputationsschaden

Das Bafu blieb standhaft, wich nicht von den wissenschaftlichen Grundsätzen ab – und zerpflückte gleichzeitig die Argumente von ACT und Klik in einer ausführlichen Replik. Bis heute ist man beim fNRB-Wert nicht von diesen 30 Prozent abgewichen.

Briefe, persönliche Treffen, Gespräche an der Bonner Klimakonferenz, diverse Stellungnahmen: das alles wegen ein paar Kochern in Ghana? Erklärbar ist dieser ganze Aufwand nur damit, dass der Schweiz offenbar ein beachtlicher Reputationsschaden droht, sollte sich ihre Pionierstrategie als Fehlschlag herausstellen.

«Gemeinsamer Lernprozess»

Auf die Druckversuche angesprochen, sagt ein Sprecher von ACT lediglich: «Ihre Interpretation und Unterstellung ist sachlich falsch.» Bei der Klik hiess es in persönlichen Gesprächen mit dem Bafu wiederholt, dieses habe «zu anspruchsvolle Anforderungen» und man könne die pauschale Festlegung des fNRB-Werts auf 30 Prozent nicht nachvollziehen.

In der Stellungnahme an den Beobachter lobt Klik-Chef Marco Berg hingegen den Qualitätsmassstab des Bafu als weltweit unübertroffen. Und man teile die Ansicht, dass Zertifikate den höchsten Ansprüchen genügen sollten. «Das Ringen darum, wie diese gewährleistet werden können, ist mit einem gemeinsamen Lernprozess verbunden.»

In Ghana sind diese Diskussionen weit weg. Die Frauen bereiten in den effizienten Kochern hauptsächlich Reis und Gemüseeintöpfe zu. Und Tuo Zaafi mit Ayoyosuppe, ein traditionelles ghanaisches Gericht. Nur: Für grosse Mengen eignet sich der neue Kocher nicht besonders gut. Deshalb kochen sie grosse Familienmahlzeiten weiterhin auch über dem offenen Feuer. Mitarbeit: Emmanuel K. Dogbevi, Hans Ariëns

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