«Ich, ich, ich!»
Warum das Laubbläser-Verbot für so viel Aufregung sorgt

Der Zürcher Abstimmungskampf über ein Laubbläserverbot zeigt was über heutige Politik: Einmal kräftig reinblasen und dann, äh … Worum gings gerade noch mal? Vier Strategien für einen erfolgreichen Kulturkampf. Und ein Argument dagegen.
Publiziert: 27.09.2025 um 16:04 Uhr
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Aktualisiert: 27.09.2025 um 17:43 Uhr
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Politisches Schattenboxen: Zürich stimmt über ein Laubbläserverbot ab (Symbolbild).
Foto: Keystone

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Daniel Faulhaber
Beobachter

Wenige Dinge polarisieren so wie Laubbläser. Und so kommt es, dass in der Stadt Zürich erwachsene Menschen am 28. September darüber abstimmen, ob man Laub und anderen Unrat während des ganzen Jahres herumblasen darf. Oder ob das nur während dreier Monate im Herbst und mit elektrischem Antrieb statt Benzinmotor erlaubt (!) sein soll.

Eine entsprechende Einschränkung forderten linke Parteien im Stadtrat. SVP, FDP, Mitte und EVP haben dagegen das Parlamentsreferendum ergriffen. Die Gegnerinnen des Verbots sprechen von einer «Parodie der Demokratie». Linke schimpfen auf den «Offroader unter den Gartengeräten». 

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Was wir hier beobachten, ist ein politisches Verfahren, das auch in anderen Landesteilen Schule macht. Es handelt sich um die Verschiebung realpolitischer Anliegen (Biodiversität, Ruhebedürfnis, Feinstaub) in die Arena des Kulturkampfes.

Dort geht es dann nicht mehr so sehr um die Sache. Aber worum dann? Versuch einer Diagnose in fünf Punkten.

1

Die «Ich, ich, ich»-Politik

Früher war Politik ein Geschäft für die Massen. Heute haben Parteien Erfolg, die in der einzelnen Stimmbürgerin den Selbstverteidigungsmodus aktivieren. Der Staat als regulierende Kraft wird zunehmend zum Feind stilisiert, der uns einfachen Leuten im Vorgarten herumtrampelt. Überall lauern Verbote, jetzt auch noch beim Laub. Die politische Strategie, kollektive Massnahmen als bösartige Angriffe auf die individuelle Freiheit darzustellen, lässt sich am Laubbläser gut durchexerzieren.

Wenn ich nicht einmal mehr meinen Garten durchblasen darf – what’s next? Ein Rasenmäherverbot? Ein Heckenschneiderdekret? Die «Ich, ich, ich»-Politik ist bei alltagspraktischen Fragen besonders beliebt.

2

Die Politik der Aufmerksamkeit

Es sind nicht mehr Argumente, Ideale oder gar Programme. Nein, die wertvollste politische Währung der Gegenwart ist: Aufmerksamkeit. Wer sie hat, gewinnt. Darum setzen Politiker auf Aufregerthemen, um in deren Windschatten andere politische Botschaften unterzubringen.

Der Laubbläser ist so ein Aufreger. Das politische Kapital aus der Wut zahlt hier auf das Konto der Linken ein, wie ein Blick ins Internet zeigt. Wo man hinschaut: Überall Hass auf das laute Gerät.

Im Internetforum Reddit verabreden sich sogar Leute, um gemeinsam schlechte Bewertungen für Laubbläser beim Onlinehändler Galaxus zu platzieren. Wer so was schafft, kann politisch alles erreichen.

3

Die Politik der Dinge

Die Welt wird unübersichtlicher, darum brauchen politische Ideen zunehmend handfeste Metaphern. Wir sehen Politiker mit Kettensägen (Argentinien-Präsident Javier Milei), Hämmern (Russland-Autokrat Wladimir Putin), Brotscheiben (Venezuela-Präsident Nicolás Maduro) und, ja, hin und wieder auch mit Babys in Parlamenten.

Das soll einerseits Volksnähe ausdrücken. Denn wer weiss, wie man eine Kettensäge oder ein Baby bedient, politisiert – klarer Fall! – auf dem harten Boden der Realität. Andererseits steht diese Politik der Dinge für klare Botschaften. Kettensäge zerlegt Sozialstaat. Laubbläser pustet Verbotswahnsinn weg.

Bonusfaktor ist die Meme-Tauglichkeit der Politik der Dinge, denn Politiker mit, sagen wir, Laubbläsern in der Hand haben stets auch einen gewissen Lol-Faktor, wie der Zürcher FDP-Stadtrat Albert Leiser eindrücklich vorführte. Er brachte im Februar einen Laubbläser ins Parlament. Rofl.

4

Die Politik der heissen Luft

Zu den besonders faulen Trends gegenwärtiger Politik gehört es, dem Gegner vorzuwerfen, sich angesichts drängenderer Themen mit Blödsinn abzugeben. Wohlstandsverwahrlosung. Zwängerei. Gesunder Menschenverstand. Wenn solche Floskeln fallen, wird politisch schattengeboxt.

Auch dafür liefert der Laubbläser in Zürich ein cleveres – wenn auch durchsichtiges – Anschauungsbeispiel. Erst mittels Referendum eine politische Abstimmung erzwingen. So wie das bürgerliche Parteien in Zürich tun. Nur um dann dem Gegner vorzuwerfen, mit seinem Anliegen die Demokratie zu parodieren, also ad absurdum zu führen.

Das ist wie politisches Laubblasen. Einmal kräftig reinpusten und dann schauen, was hängen bleibt.

5

Die Politik als Hütchenspiel

Achtung, Spassbremse. Wenn Politik zum Hütchenspiel wird, wenn also Themen, Anliegen und Argumente wild herumgeschoben werden und darunter – Simsalabim – eigentlich ganz andere politische Absichten stecken, fällt das dem Absender unweigerlich auf die Füsse. Dann funktioniert Politik nämlich nach derselben Logik wie bei Instagram, Tiktok oder X: Der Algorithmus belohnt, was Reibung erzeugt.

Das ist leider nicht so gut, wie jeder weiss, der oder die viel im Internet herumhängt. Eine Zeit lang macht das Spass. Aber irgendwann saust der Inhalt nur noch so durch. Dann kommt der Kater.

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