Weil der Schweizer Energiebedarf explodiert
Jetzt kommt der Strom vom Bauer!

Die Politik diskutiert über die Notwendigkeit einer grünen Bundesrätin. Denn das wichtigste Dossier der neuen Legislatur ist die Klimafrage, also wie wir von Öl und Benzin loskommen. Eine wichtige Rolle spielen die Bauern. Sie könnten zu Stromwirten werden.
Publiziert: 30.11.2019 um 23:24 Uhr
|
Aktualisiert: 17.04.2021 um 19:44 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/12
Die Schweiz steigt aus der Kernenergie aus. Nun muss der Atomstrom durch grünen Strom ersetzt werden.
Foto: keystone-sda.ch
Dana Liechti und Danny Schlumpf

Vor zwei Jahren bekannte sich das Stimmvolk zur Energiewende: 58,2 Prozent sagten Ja zu einer grosszügigeren Förderung regenerierbarer Energien. Zwei Jahre später wählten die Bürger dementsprechend ein grünes Parlament.

Bloss: Trotz Energiegesetz und Klimawahl kommt nicht automatisch umweltfreundlich erzeugter Strom aus der Steckdose.

Zwar decken Wasserkraftwerke knapp 60 Prozent des landesweiten Bedarfs, Wind und Sonne aber liefern gerade mal drei Prozent. Atomkraftwerke, die nach und nach vom Netz gehen, lassen sich so nicht ersetzen. Das erste AKW wird übrigens am 20. Dezember abgeschaltet: Mühleberg.

Damit nicht genug: 2017 hat die Schweiz das Klimaabkommen von Paris unterzeichnet. Es verlangt eine Reduktion des CO2-Ausstosses um 50 Prozent bis 2030. Das ist möglich, aber nur mit einem radikalen Verzicht auf die fossilen Brennstoffe für Heizen und Verkehr: Öl, Gas, Diesel und Benzin dürfen nicht länger verfeuert werden.

Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.

Strombedarf steigt um einen Drittel

Der Fachbegriff lautet «Dekarbonisierung». Sie hat zur Folge, dass sehr viel mehr Strom gebraucht wird, weil künftig viele Autos mit Elektrizität betrieben und Ölheizungen unter anderem durch Wärmepumpen ersetzt werden müssen. Ganz konkret dürfte sich der Strombedarf in den kommenden Jahren um mehr als einen Drittel erhöhen – von heute 60 auf 83 Terawattstunden.

Hand aufs Herz: Ist die Energiewende unter diesen Bedingungen überhaupt realistisch?

«Ja», sagt der Luzerner CVP-Nationalrat Leo Müller (61). «Besonders in der Solarenergie steckt riesiges Potenzial.» Müller ist Mitverfasser einer parlamentarischen Initiative, die sich auf einen neuen Klima-Akteur stützt: die Bauern. «Mit Fotovoltaik auf den Dächern der Landwirtschaftsbetriebe können wir drei ganze Atomkraftwerke ersetzen», sagt Müller. Ebenso grosse Möglichkeiten seien auf Gewerbe- und Industriebauten vorhanden.

Werden die Landwirte zu Stromwirten? «Klar», meint der Bauer Fritz Sahli (49) aus Uettligen bei Bern. Und geht mit gutem Beispiel voran: Sein Biohof ist auch ein Kraftwerk. Das 1200 Quadratmeter grosse Kuhstalldach besteht aus Solarpanels, die bis zu 1000 Kilowatt Strom pro Stunde produzieren. Damit lassen sich 80 Haushalte versorgen. Die Anlage ist ein Schweizer Produkt, geliefert von der Firma Meyer Burger aus Thun BE.

Riesenchance für Landwirte

Man muss zweimal hinschauen, um die 1200 Kollektoren zu erkennen. «Solardächer müssen effizient, diskret und ästhetisch sein», sagt Sahli. Vom Dach fliesst der Strom in den Stall, wo ihn 14 Wechselrichter bündeln und ins Netz leiten. Dafür erhält der Bauer während 25 Jahren eine fixe Einspeisevergütung. «Das Dach subventioniert meine Kühe», sagt er. Und: «Der Energiebereich ist eine Riesenchance für die Landwirtschaft.»

Als Sahli 2007 die ersten Solarpanels installieren liess, kostete ein Quadratmeter 1000 Franken – heute sind es 300 Franken. «Die Entwicklung ist rasant», sagt er. Solarenergie ist ökonomisch konkurrenzfähig geworden. Sie ist heute schon billiger als Kohle und Gas.

Und die Bauern geben Schub: Über 8000 Fotovoltaikanlagen befinden sich bereits auf den Dächern von Schweizer Landwirtschaftsbetrieben. SP-Nationalrat Roger Nordmann (46), Autor des Buches «Sonne für den Klimaschutz», sagt: «Wenn die Landwirte auch Stromwirte werden, rücken wir der Energiewende einen grossen Schritt näher.»

Zehn Prozent könnte von Bauern kommen

SP-Bundesrätin Simonetta Sommaruga (59), seit einem Jahr Energieministerin, hat dieses Potenzial fest im Blick. Kürzlich sagte sie an einer Rede im Kanton Bern: «Mit den richtigen Anreizen werden die Bauern ihre Dachflächen noch stärker nutzen. Für mich passt das zusammen, Landwirtschaft und Sonnenenergie. Denn die Bauern arbeiteten schon immer mit dem, was die Natur ihnen gibt.»

Derzeit werden in Sommarugas Departement die sogenannten Energieperspektiven 2050+ erarbeitet, im kommenden Herbst soll die Stromstrategie der Zukunft vorliegen. Auch Marianne Zünd vom Bundesamt für Energie sagt: «Das Potenzial bei den Bauern ist gross.» Sie sind als Energiewirte besonders interessant, weil sie im Gegensatz zu Industrie und Gewerbe selbst nur wenig Strom benötigen. Das heisst: Sie liefern Energie.

Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass allein die Bauern künftig mehr als zehn Prozent zur Stromproduktion beitragen können. Wie gesagt: Heute beträgt der Anteil der Solarenergie in der Schweiz unter drei Prozent der produzierten Energie.

Bereits reagiert hat die Wirtschaft. Der Mineralölkonzern Agrola beispielsweise beteiligt sich am Bau von Fotovoltaikanlagen auf Bauernhöfen. Im Gegenzug kann der Konzern seine Elektroladestationen mit Solarstrom betreiben.

Als Nächstes einen E-Traktor

Auch bei Fritz Sahlis Stall sind zwei E-Zapfsäulen installiert, geliefert wurden sie vom Autogiganten Tesla.
«Elektrofahrzeuge sind die Zukunft», sagt der Bauer. «Aber nur, wenn sie mit grünem Strom betrieben werden.» Zwei-, dreimal am Tag fährt ein Wagen vor, um auf dem Hof erneuerbare Energie zu tanken.
Zu welchem Preis? «Ich gebe den Strom gratis ab», sagt Sahli. «Dafür kaufen die Kunden hin und wieder in meinem Bioladen ein.» Er selbst braucht Diesel – für seine Traktoren. Zufrieden ist er damit nicht: «Diesel ist nicht nur umweltschädlich. Es ist auch betriebswirtschaftlich unsinnig, jeden Monat 1000 Franken für Treibstoff auszugeben.»

Aber auch dieses Problem lässt sich lösen: Sahli plant die Anschaffung eines E-Traktors. «Das ist gut fürs Portemonnaie und ein Beitrag zur Dekarbonisierung.»

Künftig ohne Energie auszukommen, die aus fossilem Kohlenstoff stammt, ist eine grosse Herausforderung für die Schweiz: Kann sie genügend grünen Strom produzieren, um die fossilen Energien zu ersetzen? In den Energieperspektiven 2050+ wird dieser Mehrbedarf berücksichtigt, heisst es beim Bundesamt für Energie. Dessen Sprecherin Marianne Zünd: «Wir rechnen neu.»

Fest steht: Klimaneutralität ist mit drei Prozent Wind- und Sonnenenergie nicht zu erreichen. Dänemark liegt bei 49 Prozent vom Gesamtbedarf, Deutschland bei 24 Prozent.

Die Schweiz ist eines der Schlusslichter in Europa. Um das zu ändern, muss auf den Dächern der Bauernhöfe baldmöglichst etwas geschehen.

Das beliebteste Quiz der Schweiz ist zurück.
Jetzt im Blick Live Quiz abräumen

Spiele live mit und gewinne bis zu 1'000 Franken! Jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ab 19:30 Uhr – einfach mitmachen und absahnen.

So gehts:

  • App holen: App-Store oder im Google Play Store
  • Push aktivieren – keine Show verpassen

  • Jetzt downloaden und loslegen!

  • Live mitquizzen und gewinnen

Das beliebteste Quiz der Schweiz ist zurück.

Spiele live mit und gewinne bis zu 1'000 Franken! Jeden Dienstag, Mittwoch und Donnerstag ab 19:30 Uhr – einfach mitmachen und absahnen.

So gehts:

  • App holen: App-Store oder im Google Play Store
  • Push aktivieren – keine Show verpassen

  • Jetzt downloaden und loslegen!

  • Live mitquizzen und gewinnen

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?