Seine hetzerischen Aussagen auf Facebook hätten Daniel Wicki (47) fast seinen Job als Gemeindeschreiber von Boswil AG gekostet. In zahlreichen Beiträgen forderte er Selbstjustiz, ärgerte sich über Flüchtlinge und verspottete ihr «Böötlen über das Meer». Die Staatsanwaltschaft eröffnete daraufhin ein Verfahren und entschied: Seine Aussage zu den Vergewaltigern von Freiburg im Breisgau (D) – «An die Wand stellen und eine saubere 9-mm-Impfung verpassen» – ist nicht strafbar. Seit Dienstag ist Wicki wieder am Arbeitsplatz.
Jetzt zeigen BLICK-Recherchen: Auf der Gemeinde Boswil herrscht das Chaos. Die Verwaltung hat unter Daniel Wicki zahlreiche Einbürgerungsgesuche verschlampt – und das schon seit 2015.
Seit Ende 2015 kein Fortschritt
Der Mazedonier Ridvan Ametti (58) ist einer der vielen Betroffenen. Am 25. November 2015 hat die Gemeinde ihm, seiner Frau und seinem Sohn das Gemeindebürgerrecht zugestanden. Nur: Seitdem wartet die Familie vergeblich auf den Schweizer Pass. «Wir werden hier in Boswil diskriminiert», sagt Ametti zu BLICK.
Der Familienvater hatte sich in der Vergangenheit mehrmals bei der Gemeinde erkundigt, warum der ersehnte Pass noch immer nicht im Briefkasten liegt. Jedes Mal wurde er vertröstet. Mittlerweile ist er mit seiner Geduld am Ende: «Die Sache belastet meine Familie – wir fühlen uns nicht mehr wohl hier.»
Eigentlich hätte die Gemeinde sein Gesuch nach der Gemeindeversammlung im November 2015 an den Kanton Aargau weiterschicken müssen. Üblich dauert die Prüfung durch Kanton und Bund ein Jahr, dann wird der Pass ausgestellt. Amettis Unterlagen kamen aber gar nie an – genau wie einige weitere Gesuche, die Boswil nach 2015 hätte einreichen müssen.
Weitere Fälle, in denen nichts passiert ist
Demnach haben noch mindestens fünf weitere Personen das rote Büchlein nicht erhalten. Ihre Gesuche wurden an den Gemeindeversammlungen 2017 angenommen, wie Wickis selbst verfasstes Protokoll belegt. 2018 und 2016 stimmte die Gemeinde über keine Gesuche ab. Die Betroffenen von 2017 sind schockiert. Eine fragt am Telefon: «Wie konnte es nur so weit kommen?»
Gemeindeschreiber Wicki bestreitet gegenüber BLICK jegliche Schuld. Die Unterlagen seien häufig nicht vollständig. Deshalb verzögerten sich die Verfahren. Laut Regelung kommt ein Gesuch an der Gemeindeversammlung aber erst zur Sprache, wenn alle nötigen Dokumente vorliegen.
Gemeindeschreiber hat diverse Ausreden
Wicki findet eine weitere Ausrede. Offenbar haben die Gesuchsteller die Rechnungen erst einige Monate nach der Gemeindeversammlung bezahlt. Deshalb habe man die Unterlagen später eingereicht. Doch wie Andreas Bamert, Leiter Amt für Register- und Personenstand (ARP) im Kanton Aargau, bestätigt, liegen aus Boswil zurzeit überhaupt keine Einbürgerungsgesuche vor.
Nun ist laut dem Gemeindeschreiber plötzlich die Post schuld – die soll Amettis Gesuch verloren haben. Bei den übrigen Betroffenen spricht er von einem Systemfehler im digitalen Tool, mit dem alle Aargauer Gemeinden seit 2016 die Einbürgerungsgesuche elektronisch einreichen. Amtsleiter Bamert dazu: «Uns sind keine Übermittlungsprobleme im System bekannt.»
Das Tool arbeitet also überall tadellos. Ausser in Boswil? Also ausgerechnet in der Gemeinde, wo der Verantwortliche wegen Ausländerfeindlichkeit schweizweit für Entsetzen sorgte. Was für ein Zufall.
Update, Freitag, 9.30 Uhr: Die Gemeinde Boswil hat den Gemeindeschreiber fristlos entlassen.
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