Traum von Selbständigkeit endet in Schuldenfalle
Anica Bajrami verlor durch dubiose Firma alles

Eine Frau will sich mit einem Schlankheitsstudio selbständig machen, investiert viel – und landet in der Schuldenfalle.
Publiziert: 01.10.2024 um 11:26 Uhr
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Aktualisiert: 01.10.2024 um 17:33 Uhr

Auf einen Blick

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Anica Bajrami wollte sich mit dem Beauty-Studio einen Traum erfüllen. (Symbolbild)
Foto: bunterhund Illustration
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Conny Schmid
Beobachter

Anica Bajrami könnte heute reich sein – oder zumindest frei von Geldsorgen. In ihrem Studio würde sie Menschen helfen, ohne Anstrengung Gewicht zu verlieren. Dafür wäre ein modernes Ultraschallgerät im Einsatz, das sich schnell amortisiert hätte. Könnte, würde, wäre. Die Realität sieht anders aus. Das teure Gerät verstaubt in Bajramis Keller. Sie hat gegen 50'000 Franken Schulden, vor allem bei Anwälten, und wurde kürzlich wegen übler Nachrede verurteilt.

Anica Bajrami heisst eigentlich anders und weint, wenn sie von ihren Erfahrungen berichtet – halb aus Wut, halb aus Verzweiflung. «Es kommt mir vor, als hätte man mich in eine Falle gelockt und dann im Stich gelassen», erzählt sie dem Beobachter.

Geld verdienen in der Traumbranche

Ihre Geschichte beginnt im Januar 2020. Auf Instagram stiess sie immer wieder auf dieselbe Werbung: Abnehmen ohne Diät, ohne Sport – sondern im Liegen. Ein neues Gerät könne den Körperumfang schon nach einer einzigen Behandlung um mehrere Zentimeter reduzieren, hiess es. Ultraschallwellen würden die Fettzellen verkleinern. Und: Man könne Partner werden, ein eigenes Studio eröffnen und schnell Geld verdienen. Als Startkapital würden 5000 bis 10'000 Euro genügen. Bajrami interessierte sich schon immer für die Beautybranche und träumte davon, sich selbständig zu machen. «Nachdem ich die Werbung immer wieder gesehen hatte, füllte ich ein Formular aus und forderte Informationen an», sagt sie.

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Es dauerte nicht lange, da meldete sich per Whatsapp ein Vertreter der österreichischen Slimando GmbH, die das beworbene Konzept verkauft. Sie ist auch unter dem Namen Abnehmen im Liegen GmbH registriert. Der Gründer der Firma lässt sich in den sozialen Medien als Selfmade-Millionär feiern und betont bei jeder Gelegenheit, wie er anderen helfe, erfolgreich zu sein – beim Abnehmen und beim Geldverdienen.

Anica Bajrami erinnert sich gut an das erste Telefongespräch mit Slimando. «Man sagte mir, ich würde die bestverdienende Person sein in meiner Familie.» Sie liess sich Unterlagen zum Geschäftsmodell zustellen.

Ein verlockendes Angebot

Schnell stellte sich heraus, dass alles sehr viel teurer würde. Das Gerät sollte sie für 46’800 Franken kaufen oder leasen. Hinzu kam eine Schulung für 7500 Franken. Zudem müsste sie eine Lizenz erwerben – für monatlich 800 Franken über vier Jahre plus einmalig 14'000 Franken.

Die Lizenz würde garantieren, dass sie an ihrem Standort in einem Einzugsgebiet von 25'000 Einwohnerinnen die Einzige wäre mit diesem Angebot. Zudem beinhaltet sie Werbemittel, Präsenz auf der Website von «Abnehmen im Liegen», persönliche Betreuung und Beratung, die Teilnahme an Meetings sowie die Aufnahme in einen Whatsapp-Chat für Geschäftstipps.

Bajrami hatte Bedenken. «So viel Geld hatte ich nicht. Ich hatte Angst, mich zu verschulden.» Es folgten weitere Telefonate. Preislich kam man ihr entgegen: Das Gerät würde sie per Leasing für 39'000 Franken erhalten, die monatlichen Lizenzgebühren wurden auf 700 Franken gesenkt, und die Schulung ging aufs Haus.

«Die Werbung versprach, dass man als Partner einen Umsatz von mindestens 5000 bis 8000 Franken pro Monat erzielen könne, und verwies auf zahlreiche Erfolgsbeispiele», sagt Bajrami. Sie machte eine Testbehandlung, und das Resultat war positiv. «Ich sah, dass das Gerät funktioniert. Das hat mich dazu gebracht, das viele Geld zu investieren.»

Unerwartete Kosten

Sie lieh sich 30'000 Franken von Mutter und Bruder, zudem nahm sie einen Privatkredit auf. Sie unterschrieb den Lizenzvertrag und schickte ihn zurück. Kurz darauf erhielt sie einen Kaufvertrag für das Gerät. Dieser lief auf eine andere Firma, die Schweizer Gerätelieferantin Formatic Medical GmbH. Sie unterschrieb, schickte auch den Kaufvertrag zurück nach Österreich und überwies die 14'000 Franken Lizenzgebühr. Am 17. März 2020, Tag eins des ersten Covid-Lockdowns, wurde die Maschine ausgeliefert.

Erst am 15. April 2020 erhielt Bajrami den Leasingvertrag. Die monatlichen Raten lagen weit über dem, was sie erwartet hatte. 1061 Franken sollte sie über 48 Monate bezahlen. Das ergibt fast 51’000 Franken – und nicht 39’000, wie es im Kaufvertrag steht. «Mir wurde gesagt, das seien normale Leasinggebühren. Gleichzeitig hiess es aber bei Vertragsabschluss, es würden keine weiteren Kosten anfallen», sagt sie.

Sie teilte dem Firmengründer von Slimando mit, dass sie das Leasing nicht finanzieren könne. Daraufhin habe er ihr angeboten, es über seine andere Firma, die CVS Fitness GmbH, zu bezahlen. Sie könne es ihm zinslos zurückzahlen, 30'000 Franken sofort und den Rest in monatlichen Raten zu 500 Franken. Einen Vertrag oder eine schriftliche Vereinbarung gab es nicht. «Ich vertraute ihm und hatte auch keine andere Wahl, als dem zuzustimmen», sagt Bajrami. Die Rücktrittsfrist sei bereits abgelaufen gewesen, zudem habe sie ihren Job gekündigt, ein Geschäftslokal gemietet, eine Firma gegründet und Geld investiert.

Ein harziger Start

Wegen der Covid-Pandemie konnte sie ihr Geschäft erst im Mai eröffnen. Es lief harzig. «Von den versprochenen Umsätzen war ich weit entfernt, vielleicht auch, weil viele Leute auf Kurzarbeit waren und sparen mussten.»

Dann wurde sie schwanger. Slimando kam ihr entgegen: Die Lizenzgebühren wurden in einer Sondervereinbarung für zwölf Monate sistiert. In der Vereinbarung wird plötzlich ein Kaufvertrag zwischen Anica Bajrami und der CVS Fitness GmbH erwähnt. Doch einen solchen hat Anica Bajrami nach eigener Aussage nie gesehen. Sie hatte ja einen Kaufvertrag mit der Schweizer Firma Formatic Medical GmbH abgeschlossen.

Ihr fiel diese Ungereimtheit zunächst nicht auf. Erst als sie für ihre eigene Buchhaltung eine Rechnung für die Maschine benötigte, merkte sie, dass etwas nicht stimmte. «Slimando hatte Mühe, mir eine Quittung auszustellen.» Es stellte sich heraus, dass der Kaufvertrag mit der Formatic Medical GmbH gar nie von dieser gegengezeichnet worden war. Erst viel später erfuhr sie zudem, dass man bei der Formatic Medical GmbH möglicherweise gar nichts von diesem Vertrag wusste – und dass die CVS Fitness GmbH, die das Gerät für sie gekauft hatte, lediglich 20’000 Euro dafür bezahlt hatte, nicht 39'000 Franken.

Nichts geht mehr

Ende Dezember 2020, rund acht Monate nach der Geschäftseröffnung und kurz vor dem Geburtstermin, wusste sie all das noch nicht. Aber ihr Gerät ging kaputt. Bajrami konnte keine Behandlungen mehr durchführen und wandte sich an die Lieferantin. «Ich schickte dem zuständigen Techniker ein Foto mit der Seriennummer. Am Telefon erklärte er mir, es sei im System als gebrauchtes Gerät hinterlegt, die Garantie sei abgelaufen», sagt Anica Bajrami. Schriftlich wollte er ihr das nicht bestätigen. Stattdessen schrieb er, man habe Differenzen mit der Slimando GmbH und führe deshalb keine Reparaturen auf Gewährleistung aus für Slimando-Kunden.

Anica Bajrami schickte im Abstand von einigen Wochen zwei eingeschriebene Briefe an die CVS Fitness GmbH, über die der Kauf abgewickelt worden war. Sie forderte sie auf, das kaputte Gerät abzuholen und sämtliche bisher geleisteten Zahlungen zu erstatten.

Man liess sie wissen, dass die Formatic Medical GmbH für die Gewährleistung zuständig sei, aber schon bei anderen Kunden versucht habe, sich davor zu drücken. Man würde die Reparatur übernehmen, schrieb aber auch, sie müsse die noch offenen 5500 Franken für das Gerät sofort begleichen. «Das entsprach nicht den abgemachten Ratenzahlungen, und zudem hatte ich dieses Geld nicht», sagt sie.

Anica Bajrami hatte nun also ein defektes Gerät, für das es keinen gültigen schriftlichen Kaufvertrag gab und für das sie offenbar zu viel bezahlt hatte. Sie war zwischen die Fronten sich streitender Firmen geraten und in ein teures Lizenzsystem, das sie ohne die Maschine nicht nutzen konnte.

Keine Gerechtigkeit

Sie reichte gegen die Formatic Medical GmbH Strafanzeige ein wegen Betrugs, weil man ihr ihrer Meinung nach ein gebrauchtes Gerät als neu verkauft habe. Das Verfahren wurde nicht an die Hand genommen. «Man unterstellte mir sozusagen, ich sei einfach zu naiv gewesen», sagt sie.

Auch auf dem zivilrechtlichen Weg gegen die CVS Fitness GmbH, über die der Kauf des Geräts lief, kam sie nicht weiter: «Ich erhielt zwar eine Klagebewilligung, hätte aber mehr als 11'000 Franken Vorschuss zahlen müssen.»

Whatsapp-Gruppe mit 70 Betroffenen

In ihrer Not versuchte Anica Bajrami, weitere Betroffene zu finden. Auf der Bewertungsplattform Trustpilot setzte sie einen Post ab. Und auch das sollte ihr zum Verhängnis werden: Sie bezeichnete den Gründer von Slimando respektive «Abnehmen im Liegen» als «Betrüger». Er zeigte sie an, sie wurde wegen übler Nachrede verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Immerhin fand sie heraus, dass sie nicht die Einzige ist, die keine guten Erfahrungen gemacht hat mit dem «Abnehmen im Liegen»-Geschäftsmodell. Sie stiess auf eine Whatsapp-Selbsthilfegruppe mit aktuell knapp 70 Betroffenen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz – alles Menschen, die sich übers Ohr gehauen fühlen.

Man habe ihr helfen wollen

Die Recherchen zu dieser Geschichte zeigten, dass es auch bei der Formatic Medical GmbH Probleme gibt. Aktuell läuft ein Strafverfahren wegen Betrugs, Urkundenfälschung, unlauteren Wettbewerbs und diverser anderer Vergehen, wie die Staatsanwaltschaft Schaffhausen bestätigt. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Der Beobachter hat beide Firmen um Stellungnahmen gebeten. Bei Slimando ging man auf konkrete Fragen nicht ein und bestreitet sämtliche Vorwürfe. Man habe Anica Bajrami helfen wollen, ihr Business aufzubauen, das sie sonst niemals hätte beginnen können. Sie habe aber «aus einem unerklärlichen Grund» ein geschäftsschädigendes Verhalten an den Tag gelegt. Man werde sämtliche negative PR und daraus entstehenden Schaden bei ihr geltend machen.

«Gleich zur Polizei gelaufen»

Auch die Formatic Medical GmbH sieht die Schuld primär bei Anica Bajrami. Sie habe sich zu wenig um eine Reparatur bemüht und sei stattdessen gleich zur Polizei gelaufen, sagt der Vertriebsleiter. Er bezweifelt auch, dass das Gerät wirklich defekt sei. Er bietet an, es zu prüfen und gegebenenfalls zurückzukaufen – fast vier Jahre nachdem es laut Bajrami kaputtgegangen ist.

Anica Bajrami hat das Gerät inzwischen bei der Firma abgegeben – das war wenige Tage vor Redaktionsschluss. Ob es zu einem Rückkauf kommt und sie einen Teil ihres Geldes zurückerhält, ist noch offen. So oder so hat sie viel verloren. «Es war der grösste Fehler meines Lebens, dass ich mich mit diesen Firmen eingelassen habe. Mein Vertrauen wurde missbraucht. Ich hoffe, dass ich irgendwann Gerechtigkeit erfahre.»

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