Darum gehts
- Ukrainer in Kreuzlingen verhaftet, verdächtigt der Agentenätigkeit für Russland
- Yevhen B. soll GPS-Tracker für Testsendungen in der Schweiz besorgt haben
- 2020 wurde B. im ostpolnischen Lublin wegen eines Vergehens gesucht
Da steht er, im türkisfarbenen Wasser in einer Therme am Bodensee. Er ist muskelbepackt, hat einen Stiernacken – und lächelt in die Kamera. Es ist sein vorläufig letztes Foto, veröffentlicht am 19. Februar 2025 auf Facebook. So schnell wird Yevhen B.* (29) sein Leben nicht mehr in den sozialen Medien teilen.
Am Dienstag klickten die Handschellen in Kreuzlingen TG. Schweizer Polizisten verhafteten B. im Auftrag des deutschen Generalbundesanwalts. Dieser wirft ihm und zwei weiteren Ukrainern «Agententätigkeiten zu Sabotagezwecken» vor.
Das Trio soll «schwere Brandstiftung» und «Sprengstoffanschläge» geplant haben. Ziel sei der Güterverkehr in Deutschland gewesen. Laut Bundesanwaltschaft standen die Männer mit einer oder mehreren Personen in Kontakt, die für den russischen Geheimdienst arbeiten. Einige Wochen vor der Festnahme verschickten sie Pakete mit GPS-Trackern, angeblich um Transportwege auszukundschaften. Später dann wollten sie gemäss Ermittlern mit Brand- und Sprengstoff versehene Pakete in die Ukraine entsenden – und auf deutschem Boden in die Luft jagen.
Social-Media-Profile liefern Antworten
Die GPS-Tracker hat Yevhen B. offenbar in der Schweiz besorgt. Er war es auch, der den Auftrag für die Testsendungen erteilt haben soll. Wer ist dieser mutmassliche Russen-Agent? Ein kaltblütiger Saboteur? Ein unwissender «Wegwerf-Agent», der sich von den Russen kaufen liess? Oder gar nur ein unschuldiger Ukrainer?
Blick konnte mit seiner Mutter sprechen. Erste Antworten liefern auch seine Social-Media-Profile – sowie ein Fahndungsaufruf der polnischen Polizei. 2020 wurde B. im ostpolnischen Lublin gesucht. Die Hintergründe sind im Aufruf nicht näher beschrieben, die Rede ist lediglich von einem «Vergehen». Erwähnt wird aber sein Geburtsort: Mariupol – eine ukrainische Stadt am Asowschen Meer. Derzeit steht sie unter russischer Besatzung.
Adrenalinjunkie und Judokämpfer
Privat scheint B. ein Adrenalinjunkie zu sein. Auf Instagram-Posts springt er aus Flugzeugen, betreibt Bungee-Jumping, posiert mit Boxhandschuhen in einem Kampfstudio oder im Judo-Kimono mit weissem Gürtel. Unterlegt sind die Posts mit Rapmusik, darunter mit dem Song «Many Men (Wish Death)» von 50 Cent. Ein ehemaliger Jugendfreund beschreibt Yevhen B. gegenüber Blick so: «Er ist ein friedlicher Typ, liebt Sport.» Dass B. Agent sein soll? «Das ist ein lächerlicher Fehler.»
Auch die Mutter von B. hält die Vorwürfe für absurd. Zwar streitet sie nicht ab, dass B. in die Geschichte mit den Paketen involviert gewesen sei. Sie meint aber, ihr Sohn sei getäuscht worden: «Er wusste nichts davon. Das ist zu 100 Prozent sicher.»
Verbindungen nach Russland hat B. aber durchaus. Eine seiner Schwestern lebt in Moskau. Sie arbeitet für denselben Stahlkonzern, für den auch B. einst tätig war. So steht es zumindest auf den jeweiligen Facebook-Profilen. Eine andere Schwester wohnt auf der von Russland annektierten Krim. Kann es sein, dass B. prorussisch eingestellt ist? «Natürlich nicht», antwortet seine Mutter auf diese Frage – «Russland hat uns getötet und tötet.»
Herzen für die Ukraine
Tatsächlich deutet sein Instagram-Profil eher auf eine proukrainische Haltung. So veröffentlichte B. Drohnenaufnahmen der Nachrichtenagentur Reuters, auf denen zerstörte Häuser in Mariupol zu sehen sind. Dazu schreibt er auf Ukrainisch: «Ich poste dieses Video, um das Zuhause nicht zu vergessen und mich an das zu erinnern, was wir gemeinsam durchgemacht haben.» Sein Beitrag endet mit einem blauen und gelben Herzchen – den ukrainischen Nationalfarben.
Dass sich B. während der Invasion in Mariupol aufgehalten hat, ist eher unwahrscheinlich. Ein Foto zeigt ihn wenige Tage vor dem russischen Grossangriff in einem Café in Lwiw – ganz im Westen der Ukraine. Recherchen des «Sterns» zufolge kam er im Mai 2022 als Flüchtling nach Deutschland. Im Süden, in Richtung Bodensee, soll er dann geschäftstüchtig gewesen sein. In Facebook-Gruppen habe er Jobs angeboten – bundesweit. Mal suchte er Solarpanel-Monteure, mal Trockenbauer oder Fliesenleger in Dortmund, schreibt der «Stern».
Haben Sie Hinweise zu brisanten Geschichten? Schreiben Sie uns: recherche@ringier.ch
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Was B. später in der Schweiz gemacht hat, bleibt nebulös. Bekannt ist nur: Auf Facebook suchte er einen Nachmieter für eine 3,5-Zimmer-Wohnung in Kreuzlingen ab Mai. Ebenso unklar ist, wann genau der Ukrainer in die Schweiz kam. Sein erstes Instagram-Foto hier ist auf den 5. Januar 2023 datiert. Es zeigt ihn am Vierwaldstättersee, im Hintergrund der Pilatus. Weitere Aufnahmen zeigen ihn beim Wandern in den Alpen oder inmitten der Zürcher Altstadt.
B. hat auf Instagram einen ganzen Ordner zu seiner Zeit in der Schweiz angelegt. Der Ordner heisst «Neue Heimat». Jetzt sitzt er in einer Schweizer Zelle in Ausschaffungshaft. Die deutschen Behörden haben seine Auslieferung beantragt. Dem jungen Ukrainer droht der Prozess. Und ein Leben hinter Gittern.
*Name bekannt