Darum gehts
- 96-jährige Heidi Hasenfratz möchte aus Pflegeheim nach Hause zurückkehren
- Sohn kämpft gegen Kesb-Entscheid, Mutter im Heim zu behalten
- Seit über eineinhalb lebt Heidi im Altersheim Tertianum Rosenau
Heidi Hasenfratz (96) ist eine zierliche Frau mit weicher Haut, müden Augen und langem, weissem Haar. Sie legt den Kopf auf die Schulter ihres Sohnes Markus (62), er den Arm um sie. «Nimmst du mich heute nach Hause?», fragt Heidi Hasenfratz. Worte, die ihrem Sohn Tränen in die Augen treiben. «Das ist nicht so einfach», antwortet er. «Doch sicher», entgegnet die alte Frau. «Ich muss nur noch Hosen anziehen.»
Nach Hause – damit meint Heidi Hasenfratz das Haus auf dem Grünhügel im Toggenburg SG, das ihr Mann vor über 40 Jahren gebaut hat. Sie meint den Garten mit den zwei Gewächshäusern, voller Trauben und Tomaten, den Hochbeeten mit Blumenkohl und Basilikum.
Doch seit über eineinhalb Jahren ist das Altersheim Tertianum Rosenau in Bazenheid SG ihr Zuhause. Ihr Kesb-Beistand hat entschieden, dass Heidi Hasenfratz ihren Lebensabend dort verbringen soll. Ein Entschluss, den Sohn Markus Hasenfratz seit Monaten bekämpft.
Sohn kümmerte sich um sie
Ende 2023 lebt Heidi Hasenfratz noch auf dem Grünhügel. Ihr Mann ist vor einigen Jahren verstorben. Alleine leben kann sie nicht mehr. Denn: Sie sieht und hört sehr schlecht. Markus betreut sie. Mutter und Sohn kochen und essen zusammen. Sie pflanzen die Hochbeete an, reissen Unkraut aus.
Nachts schläft er im oberen Stock des Hauses. Im Zimmer seiner Mutter hat er eine Kamera mit Bewegungsmelder installiert. «Ich bekomme eine Nachricht auf mein Handy, wenn sie in der Nacht das Zimmer verlässt», erklärt er.
So auch in jener Nacht im November 2023, als Heidi Hasenfratz auf dem Weg zum Badezimmer stürzt. «Als sie nach einiger Zeit noch nicht zurück im Zimmer war, ging ich nachschauen», erinnert sich der Sohn. «Sie lag auf dem Boden, ihr Bein schmerzte.»
Diagnose: Oberschenkelhalsbruch. Sie wird im Spital Wil SG operiert. Als sie aufwacht, ist ihr Kurzzeitgedächtnis weg. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) Toggenburg weist ihr einen Beistand zu, obwohl Heidi Hasenfratz einen Vorsorgeauftrag für ihren Sohn Markus verfasst hat. Die Beistandschaft sei vorübergehend, argumentiert die Kesb damals. Bis der Vorsorgeauftrag validiert sei.
Zwei Wochen Spital, zwei Wochen Reha. Danach schickt der Beistand sie ins Pflegeheim. Die Betreuung zu Hause sei nicht mehr ausreichend, heisst es.
«Ich habe Heimweh»
Langsam erholt sie sich von der Operation. «Ich merkte, wie sie sich wieder klarer ausdrücken konnte», erzählt Markus, der die Mutter jeden Tag im Heim besucht. Eines Tages fragt sie ihn nach Block und Papier. «Ich legte es ihr hin, und als ich am nächsten Tag zurückkam, hatte sie mehrere Seiten geschrieben.»
Auf dem karierten Blatt stehen Sätze wie: «Ich fühle mich eingesperrt.» Oder: «Ich habe Heimweh.»
Jeden Sonntag darf Markus Hasenfratz seine Mutter nach Hause auf den Grünhügel holen. Das Haus ist rollstuhlgängig. Heidi Hasenfratz benutzt einen Rollator, den sie «Rennwagen» nennt. Markus hat an den Treppen Gitter und an den Wänden Gehhilfen installiert.
Sie verbringen viel Zeit im Garten. Sie jätet wieder Unkraut, blüht auf. «Es war immer schwer, sie zurückzubringen. Weil sie nicht verstanden hat, warum sie nicht bleiben durfte.»
Im Juni 2024, sechs Monate nach ihrem Eintritt ins Heim, wird der Vorsorgeauftrag verweigert. Der Beistand bleibt, permanent. Markus legt Rekurs ein.
Betreuung zu Hause laut Ärzten möglich
Drei Monate später bringt er seine Mutter in die Geriatrische Klinik St. Gallen, die auf Altersmedizin spezialisiert ist. Heidi wird untersucht. Die Ärzte halten fest, dass sie mehrfach den Wunsch geäussert habe, zu Hause zu wohnen. «Wir sehen die Patientin in der Lage zu urteilen, dass sie in ihrem Haus leben will.» Aus Sicht der Mediziner spreche nichts dagegen, dass die Patientin 24 Stunden zu Hause betreut wird, zumal Hilfen bereits installiert seien.
Markus Hasenfratz schickt den Bericht an die Kesb. Dreieinhalb Monate später antwortet der Beistand, man sehe keinen Handlungsbedarf. Das Pflegeheim sei für Heidi der richtige Ort.
Der Sohn ist verzweifelt. «Ich will doch nur, dass meine Mutter ihre letzte Zeit zu Hause verbringen darf – wo sie sich wohlfühlt.»
Zusammen mit einem Anwalt bemüht er sich um einen neuen Beistand. Diesen Sommer kommt der Antrag durch. Doch auch die neue Beiständin verweigert bislang einen runden Tisch. «Es fühlt sich an, als würden sie auf Zeit spielen, bis sich das Problem von selbst löst», sagt Markus Hasenfratz. «Also, bis meine Mutter tot ist.»
Das Zimmer im Pflegeheim Rosenau hat der Sohn mit Fotos und Pflanzen geschmückt. Er kämpft weiter, hofft darauf, dass seine Mutter eines Tages wirklich nur noch Hosen anziehen muss und er sie nach Hause nehmen kann.