Ex-Chauffeur kritisiert herzlosen Berufskollegen
Wie kann man nur?

Ein Thurgauer Postauto-Chauffeur liess eine Frau mit Kinderwagen nicht in den Bus. Viele BLICK-Leser und ein langjähriger Chauffeur können das nicht verstehen. Dabei kommt das immer wieder vor.
Publiziert: 03.03.2016 um 16:32 Uhr
|
Aktualisiert: 11.09.2018 um 13:25 Uhr
Durfte nicht mitfahren: Michaela F. (35) mit dem Kind ihrer Freundin.
Foto: Marlene Kovacs

Michaela F. (35) bringt die Tochter einer Freundin von der Krippe nach Hause. Es stürmt – sie will den Bus nehmen. «Als das Postauto anhielt, stand ich mit dem Kinderwagen beim hinteren Eingang. Die Passagiere machten gerade Platz für uns.»

Doch dann schliesst sich die Tür vor ihrer Nase. F. geht mit dem Kinderwagen nach vorne zum Einsteigen. «Wir sind voll», heisst es vom Chauffeur. «Eine Frau mit Kinderwagen nehm ich jetzt sicher nicht mit.» Das nächste Postauto kommt erst in einer halben Stunde – Michaela F. muss zu Fuss gehen (BLICK berichtete).

«Es gibt jährlich etwa eine Handvoll solcher Fälle», sagt Katharina Merkle von PostAuto Schweiz AG heute zu BLICK. Das sei aber sehr selten. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr rund 6000 Rückmeldungen von Kunden. Davon waren 4935 kritisch.

Für Kritik sorgte der Fall aus Arbon auch bei vielen BLICK-Lesern. «Während meiner Zeit als Chauffeur wäre es mir nicht in den Sinn gekommen, eine Frau mit Kinderwagen im Regen stehen zu lassen», sagt auch der langjährige Postauto-Chauffeur Herman Schaller. 

«Hätte ich nie gemacht»

Nicht nur, weil sein Berufsstolz es nicht zugelassen hätte. «Sondern auch weil es der Transportpflicht unterliegt, jeden mitzunehmen», sagt Schaller, der bis zu seiner Pension 35 Jahre Postauto im Appenzellerland fuhr.

Sobald ein Transportunternehmen die Konzession für den öffentlichen Personentransport hat, muss jeder Kunde mitgenommen werden. Ausser wenn das Fahrzeug wirklich derart überfüllt ist, dass die Sicherheit der Passagiere gefährdet werden könnte. Im Fall von Arbon war laut der stehengelassenen Passagierin Michaela F. aber noch genug Platz im Bus. 

Nur pinkelnder Bauer stehengelassen

«Dann kann ich es wirklich nicht verstehen», sagt der Chauffeur Schaller zu BLICK. Er selber habe in seinen gut 35 Jahren als Postauto-Chauffeur nur ein Mal erlebt, dass ein Passagier – auf Anordnung seines Chefs – nicht mitdurfte: «Und das war ein alter Appenzeller Bauer, der regelmässig auf den Sitz uriniert hat.»

Doch Schaller betont auch, dass der Beruf des Postautofahrers heute nicht nur ein einfacher ist: «Früher wurden wir mit grossem Respekt behandelt und von den Leuten freundlich gegrüsst», sagt er. Das habe sich, wie er von Kollegen weiss, aber geändert. «Der Chauffeur hats nicht nur leicht».

«Kann es fast nicht glauben»

Und dennoch. Viele sind empört über die Geschichte aus Arbon. Das zeigen die Reaktionen auf BLICK. «Eine friedliche Mutter mit Kinderwagen nicht mitnehmen? Besser würde man aggressive Pöbel stehen lassen, die nicht wissen, wie saudoof sie sich zu benehmen haben!», meint BLICK-Leser Ernst Streuli. 

Hatte der Chauffeur vielleicht einfach einen schlechten Tag? Markus Thomas aus Wittenbach kommentiert: «Ich habe zwei Jahre lang das Postauto zur Arbeit und zurück benutzt und kann das echt fast nicht glauben. Ich habe niemals etwas Schlechtes im Postauto erlebt. Die Chauffeure waren immer anständig und zuvorkommend.»

Doch gibt es auch Leute, die die Reaktion des Chauffeurs verstehen: «Auch wir haben eine Tochter. Aber als wir noch auf den Kinderwagen angewiesen waren, versuchten wir wenn immer möglich die Rush-Hours zu vermeiden. Ich nerve mich jeden Tag, wenn zu den Stosszeiten Mütter mit ihren zum Teil übergrossen Kinderwagen ins Tram einsteigen», sagt Mac Weber.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?