Millionen Kubikmeter Stein. Diese Zahl geistert seit Tagen durch die Medien – und durch meinen Kopf, wenn ich von Wiler VS aus auf den Schuttkegel blicke. Ich habe keine Vorstellung davon, was diese Zahl bedeutet, als ich in den Helikopter der Air Zermatt steige. Noch.
Es ist Freitagmittag, über 20 Grad, Sonnenschein. Vor zwei Tagen hat ein Gletscherabbruch die Landschaft im Lötschental für immer verändert. Das Dorf ist verschüttet. Der Schuttkegel zu instabil, als dass sich die Einsatzkräfte nähern könnten. Der einzige Weg, sich Blatten zu nähern, ist über die Luft.
Die Air Zermatt regelt zurzeit den Luftraum über dem Lötschental. Sie nimmt mich mit auf einen Rundflug über den Schuttkegel. Ich sitze am offenen Fenster, als der Helikopter abhebt. Der Flugbegleiter hat mich zusätzlich um die Hüfte angegurtet, damit ich mich herauslehnen, das Gebiet unter mir besser sehen kann.
Berg bröckelt weiter
Es ist der erste Helikopterflug meines Lebens. Der Pilot steuert über den Schuttkegel. An manchen Stellen ist er 200 Meter dick. Häuserruinen erkenne ich erst hinter den Gesteinsmassen: Dächer, die noch aus dem Wasser ragen. Aus der Luft sieht alles irgendwie ordentlich aus: Die kaputten Haushaltsgeräte, Erinnerungsstücke, Stofftiere, Fotos sieht man von hier oben nicht – Gegenstände, die den Alltag und das Leben der Bewohner ausmachen.
Wir fliegen den Schutthang hinauf Richtung Kleines Nesthorn. Am Berg erkenne ich die Staubwolke, die sich seit Mittwoch nie ganz auflöst. Der Berg bröckelt weiter.
Plötzlich erkenne ich die Millionen Kubikmeter Stein: Es ist nicht einfach ein Hang, der abgerutscht ist. Der Steinschlag hat an manchen Stellen tiefe Furchen hinterlassen. Ich stelle mir vor, dort zu stehen, in einem dieser neuen Täler. Wie klein wäre ich im Vergleich zu den entstandenen Hängen?
Pures Glück
Der Schutt ist mit derartiger Wucht ins Lötschental gedonnert, dass die Massen am gegenüberliegenden Hang hochgeschossen sind. Der dortige Weiler, Weissenried, wurde nicht vorsorglich evakuiert. Die Bewohner waren zu Hause, sahen zu, wie die Gesteinsmassen nur einige Meter vor ihren Häusern liegen blieben. Mir wird bewusst, wie viel Glück diese Menschen hatten.
Die wenigen Minuten in der Luft fühlen sich wie eine halbe Stunde an. So vieles schiesst mir durch den Kopf. Irgendwann werden hier Bagger auftauchen und Menschen mit Schaufeln. Winzige Punkte und Quadrate auf einer riesigen braunen Fläche. Wie wollen sie das je bewältigen?
Der Helikopter fliegt zurück nach Wiler, landet einige hundert Meter von den Häusern entfernt. Ich steige aus. Aus der Luft scheint manches unmöglich. Doch die Menschen am Boden haben einen Willen, eine Kraft, die den Dimensionen trotzt. Sie möchten aufräumen, ausgraben – Meter für Meter.
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