Fünfundfünfzig Tage wurde Doris Liber (56) von Ungewissheit geplagt. Seit Freitag weiss sie: Ihr Sohn Guy Iluz (26) ist tot, Bewaffnete der Hamas haben ihn kaltblütig ermordet.
Eine freigelassene Geisel habe es ihr erzählt, sagt Doris Liber zu SonntagsBlick. Guy war einer der vielen jungen Menschen, die in der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober beim Supernova Sukkot Gathering feierten, einem Musikfestival im Süden Israels. Bis im Morgengrauen die Hamas-Terroristen kamen und wild um sich schossen.
Guy versuchte noch, den Islamisten im Auto zu entkommen – doch vergebens: Sie schossen auf seinen Wagen und töteten vier Insassen. Guy konnte noch aussteigen und auf einen Baum klettern. Von dort aus telefonierte er mit seinem Vater und seiner Mutter. Sie versprach ihm: «Ich werde dich holen!»
Seitdem fehlte von Guy jedes Lebenszeichen. Doris Liber hoffte bis zuletzt, dass ihr Sohn noch am Leben ist. Zwei Wochen nach dem Massaker reiste sie nach Genf, um sich beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz für die Freilassung der Geiseln einzusetzen. Zu IKRK-Präsidentin Mirjana Spoljaric Egger (51) sagte sie: «Tut, was immer ihr tun könnt. Bringt mir meinen Sohn zurück.»
Die Hamas hält noch knapp 140 Menschen gefangen
Die Hintergründe von Guys Tod sind unklar. Allzu viel verraten die freigelassenen Geiseln nicht. Zwar verfolgt die israelische Öffentlichkeit die Befreiung jeder einzelnen von ihnen wie gebannt. Doch sie sind in Spezialkliniken untergebracht und hermetisch abgeschirmt. Um die verbliebenen Geiseln zu schützen, sollen sie keine Fragen zu ihrer eigenen Gefangenschaft beantworten.
Hinzu kommt: Die Entführungsopfer sind zutiefst traumatisiert. Der US-Sender CNN berichtete, viele Ex-Geiseln flüsterten nach ihrer Befreiung nur noch – die Hamas hatte ihnen befohlen, keinen Ton von sich zu geben. Auch hätten die meisten Geiseln an Gewicht verloren, es habe nur wenig Reis und etwas Brot gegeben. In der Geiselhaft sahen viele wochenlang kein Tageslicht, weil sie in Tunneln gefangen gehalten wurden. Statt in Betten mussten sie auf Plastikstühlen oder auf dem Boden schlafen.
«Guy war ein Mann der Liebe, des Glücks und des Lachens», schrieb seine ehemalige Schule auf Facebook. «Die Musik begleitete Guy sein ganzes Leben lang bis zu seinem Todestag.» Er arbeitete als Sounddesigner für bekannte israelische Musiker und studierte Psychologie.
Der blutrünstige Terror der Hamas hat Doris Libers Hoffnung zerstört, ihren Sohn irgendwann lebend in die Arme schliessen zu können. Viele andere hoffen nach wie vor auf ein Lebenszeichen ihrer Angehörigen. Zwar sind inzwischen mehr als 100 entführte Frauen und Kinder freigelassen worden. Doch noch immer hält die Hamas knapp 140 Menschen gefangen.
Die Ungewissheit hält an.