Die Schweiz hat etwas, das keine andere Nation kennt: ihr Regierungssystem. Sieben Bundesräte, parteipolitisch von links bis rechts zusammengesetzt, führen als Kollegialbehörde das Land durch ruhige Zeiten ebenso wie durch Krisen. Walter Thurnherr (62) war von 2016 bis 2023 als Bundeskanzler der Stabschef der Regierung und damit mittendrin, auch bei Ausnahmesituationen wie der Corona-Krise und der Credit-Suisse-Abwicklung.
Er hat diesem einzigartigen Mechanismus in Bundesbern ein Buch gewidmet: «Wie der Bundesrat die Schweiz regiert». Das Werk ist zum Bestseller geworden. Am Montag lud Ringier zur VIP-Buchvernissage ins «The Studio» in Zürich. Im Publikum sassen illustre Gäste wie Kabarettist Viktor Giacobbo (73), FCZ-Präsident Ancillo Canepa (72), Konzertveranstalter André Béchir (76) und Finma-Präsidentin Marlene Amstad (57).
Gespenstische Stimmung im Lockdown
Auf der Bühne stellte sich der Ex-Magistrat den Fragen von SonntagsBlick-Chefredaktor Reza Rafi (48) – und gab Interessantes preis. Etwas, das ihm aus seiner Amtszeit besonders in Erinnerung bleibt? Da nennt Thurnherr die Bewältigung der Corona-Pandemie, als er im Lockdown durch die menschenleere Berner Innenstadt ging, nur die hungrigen Tauben hörte und auf dem Weg zum Kaffeeautomaten per Zufall in den damaligen Gesundheitsminister Alain Berset (53) hineinlief. Gespenstisch sei die Situation gewesen.
«In der Schweiz kritisieren Journalisten die eigene Regierung»
Beim angeregten Austausch auf der Bühne mit Rafi kam Thurnherr auch auf den Konflikt um die 39-Prozent-Zölle der USA zu sprechen. Thurnherr zeigt sich über die Haltung der hiesigen Öffentlichkeit erstaunt: «Wäre das Frankreich passiert, würden die französischen Journalisten kritische Fragen an Donald Trump richten. In der Schweiz hingegen kritisieren die Journalisten die eigene Regierung.» Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter nimmt er in Schutz – ob ein anderer Bundesrat den Zollschock hätte verhindern können? «Man muss nicht Mathematik studiert haben, um nachzuvollziehen, dass die 39 Prozent ohne jede Grundlage waren.»
Auf die Schlussfrage, ob er nicht doch gerne selber Bundesrat geworden wäre, antwortete Thurnherr: «Nein.» Er wäre kein guter Bundesrat geworden. «Ein Bundesrat muss rasch entscheiden und diese Entscheidung vertreten können.» Das sei nicht sein Ding. Wie gross der Druck auf den Departementsvorstehern lastet, schildert er in seinem Buch eindrücklich.