Fans werden zu Autorinnen
Ohne «Fanfiction» gäbe es «Fifty Shades of Grey» nicht

Draco liebt Hermine, BTS spenden Trost – und Tausende lesen online kostenlos mit. Fanfiction ist das freie Spiel mit bekannten fiktiven Welten: queer, romantisch oder rebellisch und ganz ohne Regeln. Blick hat zwei junge Autorinnen getroffen.
Publiziert: 29.05.2025 um 10:42 Uhr
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Rund um fiktive Welten wie Harry Potter haben sich weltweit Millionen Fans zu sogenannten «Fandoms» zusammengeschlossen – viele von ihnen schreiben eigene Geschichten – «Fanfictions» – zu ihren Lieblingswerken.
Foto: keystone-sda.ch

Darum gehts

  • Fanfiction: Fans schreiben eigene Geschichten zu bestehenden Werken oder Prominenten
  • Plattformen wie Wattpad und AO3 ermöglichen weltweiten Austausch von Fanfictions
  • Eine Autorin hat eine 222-seitige Fanfiction über Draco und Hermine geschrieben
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Ravena FrommeltRedaktorin Gesellschaft

Eine junge Literaturstudentin verliebt sich in einen reichen Unternehmer mit Vorliebe für BDSM – die Beziehung ist kompliziert, aber leidenschaftlich. Die «Fifty Shades of Grey»-Reihe von E. L. James wurde millionenfach verkauft und erfolgreich verfilmt, doch kaum jemand erinnert sich daran, dass die Geschichte ursprünglich als «Fanfiction» zur Twilight-Saga von Stephenie Meyer (51) begann. 

Fanfiction bedeutet: Fans schreiben eigene Geschichten zu bestehenden Werken – Bücher, Serien, Filme, Games – oder sogar zu Prominenten. Meist veröffentlichen sie ihre Texte kostenlos online. Figuren, Welten und Konflikte der Originale werden übernommen, um sie weiterzuerzählen, umzudeuten oder queere Perspektiven sichtbar zu machen.

Haben Fans der Erfolgsserie «Star Trek» in den späten 60er-Jahren ihre auf Schreibmaschinen geschriebenen Geschichten rund um die Serie noch physisch an Fantreffen ausgetauscht, können heute Menschen aus der ganzen Welt Millionen von Fanfictions kostenlos auf Plattformen wie wattpad.com, fanfiction.net oder archiveofourown.org (AO3) lesen. 

Es gibt keine formalen Regeln – erlaubt ist, was emotional berührt. Oft geht es um Liebe, Sex, queere Identität oder darum, das «Was wäre, wenn» durchzuspielen. Blick hat zwei Fanfiction-Autorinnen getroffen und mit ihnen über das Spiel mit dem Bekannten gesprochen.

Wo Fanfiction lebt – Plattformen im Überblick
Wattpad.com

Diese Plattform gibt es seit 2006, zählt rund 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzer und ist besonders bei jüngeren Fans beliebt. Sie bietet Texte in verschiedenen Sprachen – darunter auch Deutsch. Der Fokus liegt eher auf erzählerischer Kreativität als auf technischer Perfektion, und die Community schreibt häufiger Promi-Fanfictions als Geschichten zu bestehenden Buchvorlagen. Thematisch kreisen viele Wattpad-Storys um Romantik, Teen-Drama oder K-Pop. Fans können Geschichten liken, kommentieren, mit selbst gestalteten Covern versehen und über Ranglisten entdecken. Die App für iOS und Android ermöglicht es, Texte jederzeit und überall digital zu lesen.

FanFiction.net (FFN)

Dies ist die älteste und grösste Plattform für Fanfiction – sie existiert seit 1998 und enthält fast acht Millionen Geschichten in verschiedenen Sprachen, wobei Englisch dominiert. Fanfiction.net spricht eine breite Altersgruppe an und richtet sich vor allem an klassische Fan-Communitys («Fandoms»), die sich für Welten wie jene von Harry Potter, Twilight oder Anime und Manga begeistern. Die Optik auf der Seite ist einfach und funktional, viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt es nicht. Fans können Geschichten in Favoritenlisten speichern, Serien folgen und Kommentare hinterlassen. Gelegentlich kritisiert die Community die Werbung und das Tracking auf dieser Seite.

Archiveofourown.org (AO3)

Diese Non-Profit-Plattform mit rund zwei Millionen registrierten Usern gilt als zentrale Anlaufstelle für die queere Community und anspruchsvolle Fans verschiedenster Fandoms. Sie ging 2009 online, bietet Raum für experimentelle Erzählformen und erlaubt auch explizite und kontroverse Inhalte. Auf AO3 können Autorinnen und Autoren ihre Geschichten in Serien bündeln, sie anderen Usern «schenken» und mit Fett- und Kursivschrift übersichtlich gestalten. Fans schätzen auch das ausgefeilte Tagging-System, das eine präzise Suche ermöglicht. AO3 ist barrierearm und verzichtet vollständig auf Werbung und Algorithmen. Der Grossteil der Texte ist auf Englisch.

Wattpad.com

Diese Plattform gibt es seit 2006, zählt rund 90 Millionen Nutzerinnen und Nutzer und ist besonders bei jüngeren Fans beliebt. Sie bietet Texte in verschiedenen Sprachen – darunter auch Deutsch. Der Fokus liegt eher auf erzählerischer Kreativität als auf technischer Perfektion, und die Community schreibt häufiger Promi-Fanfictions als Geschichten zu bestehenden Buchvorlagen. Thematisch kreisen viele Wattpad-Storys um Romantik, Teen-Drama oder K-Pop. Fans können Geschichten liken, kommentieren, mit selbst gestalteten Covern versehen und über Ranglisten entdecken. Die App für iOS und Android ermöglicht es, Texte jederzeit und überall digital zu lesen.

FanFiction.net (FFN)

Dies ist die älteste und grösste Plattform für Fanfiction – sie existiert seit 1998 und enthält fast acht Millionen Geschichten in verschiedenen Sprachen, wobei Englisch dominiert. Fanfiction.net spricht eine breite Altersgruppe an und richtet sich vor allem an klassische Fan-Communitys («Fandoms»), die sich für Welten wie jene von Harry Potter, Twilight oder Anime und Manga begeistern. Die Optik auf der Seite ist einfach und funktional, viele Gestaltungsmöglichkeiten gibt es nicht. Fans können Geschichten in Favoritenlisten speichern, Serien folgen und Kommentare hinterlassen. Gelegentlich kritisiert die Community die Werbung und das Tracking auf dieser Seite.

Archiveofourown.org (AO3)

Diese Non-Profit-Plattform mit rund zwei Millionen registrierten Usern gilt als zentrale Anlaufstelle für die queere Community und anspruchsvolle Fans verschiedenster Fandoms. Sie ging 2009 online, bietet Raum für experimentelle Erzählformen und erlaubt auch explizite und kontroverse Inhalte. Auf AO3 können Autorinnen und Autoren ihre Geschichten in Serien bündeln, sie anderen Usern «schenken» und mit Fett- und Kursivschrift übersichtlich gestalten. Fans schätzen auch das ausgefeilte Tagging-System, das eine präzise Suche ermöglicht. AO3 ist barrierearm und verzichtet vollständig auf Werbung und Algorithmen. Der Grossteil der Texte ist auf Englisch.

Sarina, 22, Journalistin

«Ich schreibe Fanfictions, seit ich in der Primarschule bin – also schon lange, bevor ich sie online publiziert habe. Seither sind rund 50 Geschichten entstanden, ein Dutzend davon habe ich auf Plattformen wie Wattpad oder AO3 veröffentlicht. Meine Fanfictions spielen in Welten wie jenen der Serie ‹Stranger Things›, dem Marvel-Universum oder in der Fantasy-Welt von Harry Potter. Besonders gerne schreibe ich über die sich anbahnende Beziehung zwischen Draco Malfoy und Hermine Granger. In der dritten Sek habe ich im Rahmen eines Abschlussprojekts sogar eine sogenannte ‹Dramione›-Geschichte als nicht-kommerzielles Buch drucken lassen – mit 222 Seiten. Darin bringt Hermine Draco in 24 Kapiteln menschliche Weihnachtstraditionen näher, gegen Ende werden die beiden ein Paar. Die Geschichte habe ich 2018 auf Wattpad veröffentlicht, mittlerweile hat sie rund 8’000 Aufrufe. Das Feedback auf meine Texte ist überwiegend positiv – und ich stehe voll und ganz zu meinem Hobby. Momentan fehlt mir als Journalistin zwar oft die Zeit fürs Schreiben von Fanfictions, aber ich glaube nicht, dass ich je ganz damit aufhören werde. Auch eigene Geschichten in selbst erdachten Welten sind in Planung – mein Traum ist es, irgendwann vom Schreiben leben zu können.»

Sarina ist Praktikantin bei Blick. Doch schon im Primarschulalter hat die Journalismus-Studentin viel geschrieben, nämlich Fanfictions zu Kinderbüchern.
Foto: Ravena Frommelt

Sophia*, 21, Buchhändlerin

«Seit ich 13 bin, schreibe ich Fanfictions über Mitglieder von K-Pop-Bands wie BTS oder Dreamcatcher, online veröffentlicht habe ich aber bisher nur fünf davon – auf der Plattform Wattpad. Meine Geschichten orientieren sich stark an der realen Welt, doch manchmal kommen Fantasy-Aspekte vor wie etwa eine Prinzessin mit prophetischen Träumen. Zu K-Pop habe ich eine starke emotionale Verbindung, da mir die Musik in schwierigen Zeiten viel Kraft gespendet hat. So treten die Band-Mitglieder in meinen Geschichten etwa als Tröster in Aktion. Zwar behandeln meine Fanfictions die Themen Romantik und Beziehung, aber auf explizite sexuelle Handlungen, wie diese in New-Adult-Romanen Standard sind, verzichte ich bewusst. Meine Inspirationsquelle für neue Geschichten sind sowohl Musikvideos der K-Pop-Bands als auch meine eigene Fantasie. Fest stehen in meinen Geschichten die Charaktere, aber die Handlung darum baue ich komplett selbst auf. Privat lese ich am liebsten Fantasy-Romane und bin auch ein grosser Fan der Harry-Potter-Reihe, doch ich möchte keine Fanfiction in dieser Welt schreiben, da ich nichts an der bestehenden Handlung von J.K. Rowlings Werk ändern möchte.»

*Name geändert 

Sophia* schreibt am liebsten Fanfictions zu realen K-Pop-Stars. Zu ihrem Hobby kam die Buchhändlerin während einer schweren Zeit: Das Schreiben über ihre Idole schenkte ihr Kraft.
Foto: Ravena Frommelt
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