Ein Opfer rassistischer Polizeikontrollen erzählt
«Ich habe mich extrem geschämt»

Erstmals beleuchtet eine Studie rassistische Polizeikontrollen in der Schweiz. Dutzende Fälle zeigen, wie die Betroffenen leiden.
Publiziert: 02.06.2019 um 06:11 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2024 um 00:07 Uhr
Mohamed Wa Baile wurde laut eigenen Angaben Opfer einer rassistischen Polizeikontrolle. Er klagte durch alle Instanzen – bisher ohne Erfolg. Aus Protest malte er sein Gesicht während einem Gerichtsprozess weiss an.
Foto: Keystone
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Fabian Eberhard

Nach Auskunft von Linken und Migranten sind sie Alltag, laut Polizisten lediglich Einzelfälle: rassistische Personenkontrollen.

Seit Jahren sehen sich Schweizer Polizeikorps mit dem Vorwurf konfrontiert, sogenanntes Racial Profiling zu betreiben, das heisst, Menschen nur aufgrund ihrer Hautfarbe oder ihrer ethnischen Herkunft zu kontrollieren.

Bisher fehlten grössere Untersuchungen zu diesem Phänomen. Nun hat eine Gruppe von linken Forschern, darunter Wissenschaftler der Universitäten Bern, Zürich und Basel, erstmals eine breit angelegte Studie darüber durchgeführt.

Unterstützt von der Rosa-Luxemburg-Stiftung befragten die Forscher Dutzende von Betroffenen des Racial Profiling. Sie alle berichten von diskriminierenden Kontrollen, dem Gefühl der Demütigung – und teils gravierenden Folgen.

«Du bekommst Gänsehaut»

Kobe Azikiwe* (36): «Manchmal läufst du auf der Strasse und dann plötzlich siehst du die Polizei oder ein Polizeiauto und du bekommst Gänsehaut, ohne dass die Polizei etwas tut.» Der aus Nigeria stammende Doktorand der Universität Basel wurde laut eigenen Angaben mehrfach Opfer von grundlosen Polizeikontrollen und sagt: «Ich habe kein Problem mit der Polizei, aber die Polizei offenbar eines mit mir.»

Aus der Studie geht hervor, dass ganz unterschiedliche Menschen Opfer dieser diskriminierenden Polizeipraxis werden: Schwarze, Muslime, Sinti und Roma, aber auch Asiaten. Am häufigsten trifft es junge, dunkelhäutige Männer. «Schwarze Männer sind am stärksten mit Vorurteilen belegt und werden häufig als Drogendealer abgestempelt», sagt Mitautorin Sarah Schilliger. Die Soziologin der Universität Basel ist überzeugt: «Racial Profiling ist ein verbreitetes Problem in der Schweiz.»

Die beschriebenen Fälle reichen von grundlosen Identitätskontrollen bis hin zu körperlichen Übergriffen.

Phil Steward* (36), ein schweizerisch-ghanaischer Doppelbürger, erzählt von einer Polizeikontrolle am Bahnhof Bern. Zwei zivile Beamte hielten ihn an, während er telefonierte. Als er darauf insistierte, sein Gespräch zu beenden, eskaliert die Situation: «Sie haben mir mein Telefon weggenommen, mich in den Bauch getreten und meine Hände mit Handschellen hinter dem Rücken zusammengebunden.»

Demütigung und Hilflosigkeit

Daten zum tatsächlichen Ausmass des Phänomens liefert die Studie nicht. Die Porträts zeigen aber, welche Auswirkungen rassisch motivierte Kontrollen auf die Betroffenen haben können. Fast alle berichten von einem Gefühl der Demütigung, der Hilflosigkeit.

Omar Zaman* (50) wird trotz Schweizer Pass regelmässig von der Polizei angehalten. Der Dunkelhäutige erzählt von einer Kontrolle in der S-Bahn in der Nähe von Zürich. Die Polizisten hätten ohne Grund verlangt, dass er seinen Mund öffne. «Ich habe mich extrem geschämt, dass mir das passiert und alle Leute es sehen und nicht reagieren. Es war wie eine Schuld. Ich konnte nichts tun.»

Sarah Schilliger sagt: «Wir beobachten bei den Betroffenen eine ständige Furcht vor weiteren Begegnungen mit der Polizei.» Aus dieser Angst heraus würden sie sich sozial zurückziehen, gewisse Orte in Zürich, beispielsweise die Langstrasse oder den Hauptbahnhof, bewusst meiden.

Kommt hinzu: Racial-Profiling-Opfer verlieren das Vertrauen in die Sicherheitsbehörden. «Mehrere Befragte erzählten uns, dass sie sich im Falle einer beobachteten Straftat nicht bei der Polizei melden würden», sagt Schilliger.
Hat die Schweizer Polizei also ein Rassismus-Problem? Überhaupt nicht, findet Max Hofmann vom Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB). «Racial Profiling hat bei uns keinen Platz.» Es könne wohl Einzelfälle geben, die Polizisten seien nicht fehlerfrei und auch nur Menschen. «Die internen Kontrollsysteme zeigen aber Wirkung.»

Zu wenig Selbstkritik

Vereinzelt haben Polizeikorps in den letzten Jahren auf Racial- Profiling-Vorwürfe reagiert. Die Stadtpolizei Zürich etwa hat – ähnlich wie die Polizei Lausanne – neue Kriterien für Personenkontrollen definiert. So müssen Polizisten dem Kontrollierten die Gründe für die Überprüfung angeben. Das Bauchgefühl allein sei dabei kein ausreichendes Kriterium. Zusätzlich wird das Thema neu in der Polizeiausbildung vertieft.

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Den Verfassern der Studie geht das zu wenig weit. Sie werfen der Polizei vor, das Problem zu verharmlosen, es gar zu verleugnen.

«Selbstkritik kommt meist nur hinter vorgehaltener Hand», sagt der Soziologe Tino Plümecke, der sich seit Jahren gegen Racial Profiling engagiert und ebenfalls an der Studie mitgearbeitet hat. Um dem entgegenzuwirken, müsse Racial Profiling als institutionelle Problematik anerkannt werden. Und: als illegale Praxis.

Konkreter wurde kürzlich die Uno. Die Vereinten Nationen rügten die Schweiz wiederholt wegen diskriminierender Polizeikontrollen. In einem Bericht forderten sie Massnahmen. Es brauche mehr Ombudsstellen, griffigere Gesetze und vor allem: Statistiken zu den Vorfällen.

* Namen geändert

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