Corona-Langzeit-Patienten leiden doppelt
«Mein Leben zieht an mir vorbei»

Corona kann zu lange anhaltenden Schäden führen. Die geistige und körperliche Leistung wird stark eingeschränkt. Für Betroffene fehlt die Akzeptanz, von Ärzten werden sie nicht ernst genommen.
Publiziert: 23.11.2020 um 00:42 Uhr
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Aktualisiert: 24.06.2021 um 18:26 Uhr
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Andrea F. blickt in eine ungewisse Zukunft. Seit Monaten leidet sie an den Folgen des Coronavirus.
Foto: Thomas Meier
Fabian Vogt

Andrea F.* (55) war sportlich. Ambitioniert. Fit. Jetzt ist sie vor allem eines: müde. Und ratlos. «Ich fühle mich, als habe man mir mein Leben weggenommen», sagt die ehemalige Volleyballerin und bis im Frühjahr aktive Langstreckenschwimmerin. Mittlerweile hat sie einen Ruhepuls von gegen 100, kann kaum zwei Stunden am Stück arbeiten, ist leicht reizbar, vergesslich, braucht so viel Schlaf wie ein Neugeborenes und findet keine Lösung für ihre Probleme.

«Ich habe sicher Corona gehabt», sagt F. Einen Beweis hat sie nicht – wie so viele, die in der ersten Welle krank wurden, aber keine Risikopatienten waren und deshalb nicht getestet wurden. Ihr Antikörpertest war später negativ, was nicht viel aussagt. Das Robert Koch-Institut etwa kam in einer Studie mit mehr als 2000 Corona-Patienten (positiver PCR-Test) zum Schluss, dass bei 40 Prozent der Personen keine Antikörper gebildet wurden.

«Mein Leben zieht an mir vorbei»

Ohne positiven Test glaubt einem aber niemand, wie Andrea F. feststellen musste. Seit Monaten fehlt ihr die Akzeptanz, die das Leiden erträglicher machen würde. Zusehends «verdummte» die Biologin, wie sie es ausdrückt. Konversationen konnte sie kaum mehr folgen, meistens schien ihr Verstand wie benebelt. Vom Hausarzt wurde sie nicht ernst genommen, zwischenzeitlich liess sie sich krankschreiben.

In den letzten Monaten testeten die Ärzte auf alles Mögliche, einer etwa schlug Pfeiffersches Drüsenfieber vor. «Unsinn», sagt F. «Man will mir nicht zuhören, weil das, was ich habe, nicht in ihrem Büchlein steht.» Sie ist deshalb ins Internet gegangen, hat Selbsthilfegruppen und vor allem die Gewissheit gefunden, nicht alleine zu sein. Das hilft. Trotzdem ist die Situation nur schwer verkraftbar.

F. ist ein Beispiel von vielen. Eine Studie der Uni Zürich kam kürzlich zum Ergebnis, dass einer von fünf Betroffenen ein sogenannter Long-Covid-Fall ist. Andere Untersuchungen kommen zu abweichenden Resultaten, aber das Fazit ist einstimmig: «Long Covid» existiert. Gewisse Personen leiden monatelang unter dem Virus. Das Problem: Diese Erkenntnis ist in der Gesellschaft noch nicht angekommen. Betroffene werden oft alleinegelassen, Ärzte, das Unternehmen, sogar die eigene Familie verstehen das Leid nicht. Bis die Betroffenen wissen, was falsch mit ihnen ist, sind sie von Spezialist zu Spezialist gerannt – und sind ausser Atem, aber nicht viel weiter.

«Es gibt klare Belege für Langzeitfolgen»

Jetzt warnt auch die Corona-Taskforce des Bundes vor den Langzeitfolgen! Sie kommt zum Schluss: «Es gibt aktuell klare Belege, dass die Auswirkungen auf Herz und Lunge sowie auf das Gehirn länger andauern als die akute Infektionskrankheit selber.» Dies betreffe Patienten, die stark unter Covid-19 litten, aber auch solche mit mildem Krankheitsverlauf und «wenig bis gar keinen Symptomen». Für genauere Aussagen würden Langzeitdaten fehlen. Allerdings sei bekannt, dass durch Coronaviren hervorgerufene Erkrankungen Spätfolgen haben können. «Zumindest ein Teil dieser Veränderungen scheint – gerade bei sehr schweren Krankheitsverläufen – irreversibel zu sein.»

Die Taskforce empfiehlt eine systematische Nachkontrolle von Covid-19-Patienten über einen längeren Zeitraum. Fabian Vogt

Jetzt warnt auch die Corona-Taskforce des Bundes vor den Langzeitfolgen! Sie kommt zum Schluss: «Es gibt aktuell klare Belege, dass die Auswirkungen auf Herz und Lunge sowie auf das Gehirn länger andauern als die akute Infektionskrankheit selber.» Dies betreffe Patienten, die stark unter Covid-19 litten, aber auch solche mit mildem Krankheitsverlauf und «wenig bis gar keinen Symptomen». Für genauere Aussagen würden Langzeitdaten fehlen. Allerdings sei bekannt, dass durch Coronaviren hervorgerufene Erkrankungen Spätfolgen haben können. «Zumindest ein Teil dieser Veränderungen scheint – gerade bei sehr schweren Krankheitsverläufen – irreversibel zu sein.»

Die Taskforce empfiehlt eine systematische Nachkontrolle von Covid-19-Patienten über einen längeren Zeitraum. Fabian Vogt

Drei bis sechs Monate ohne Bewegung

Bei Chantal Britt (52) begann es im März mit leichten Corona-Symptomen. Eine Woche später kamen Herzrasen, Schmerzen in der Brust und Atemprobleme dazu. Zum Arzt durfte sie nicht – keine Risikopatientin. Die Krankenkasse sagte ihr, wenn sie nicht mehr atmen könne, solle sie einen Krankenwagen rufen. Ansonsten fleissig Panadol schlucken und abwarten. Ihr Zustand verschlechterte sich über Monate weiter, doch wenn sie sich beschwerte, verstand das niemand. «Äusserlich sah ich ja aus wie immer. Aber körperlich und geistig hatte ich nicht mehr viel mit der Chantal Britt vom Frühjahr zu tun.»

Im Sommer durfte sie endlich zu ihrem Hausarzt, der sie sofort zum Pneumologen schickte. Dieser attestierte eine eingeschränkte Lungenleistung. Darauf gings zum Kardiologen, der nach mehreren Tests herausfand, dass der Herzmuskel der 52-Jährigen entzündet ist. Myokarditis. Der Spezialist riet Britt, die nächsten «drei bis sechs Monate» jegliche Belastung zu vermeiden und einen Puls von 120 nicht zu überschreiten. Eine Herausforderung, wenn sogar ein sehr gemächlicher Spaziergang anstrengend ist.

Hilfe im Kollektiv

Immerhin: Endlich konnte sie Arbeitskollegen und der Familie beweisen, dass ihre Beschwerden nicht Einbildung, sondern vom Virus verursacht sind. Wie genau, weiss bis heute niemand. Weshalb es auch keinerlei konkrete Behandlungs- und Heilungsaussichten gibt, was die Betroffene frustriert zurücklässt. «Ob ich jemals wieder einen Marathon laufen werde, weiss ich nicht.»

Um die Initiative zu übernehmen, wurde Britt in den sozialen Medien aktiv. Gründete eine Gruppe für betroffene Langzeit-Covid-Patienten in der Schweiz. Derzeit hat die Gruppe knapp 200 Mitglieder. Weltweit spenden sich in solchen Gruppen Zehntausende Betroffene Trost, finden Zustimmung, suchen nach Lösungen. Denn das macht sonst niemand.

* Name geändert

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