Ausschreitungen in Lausanne nach Tod eines Teenagers
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«Die Polizei tötet»:Ausschreitungen in Lausanne nach Tod eines Teenagers

«Bester Bruder, den es geben kann»
Marvin M. stirbt bei Verfolgungsjagd vor der Polizei in Lausanne – Freunde und Familie unter Schock

Bei einer Verfolgungsjagd vor der Polizei kam ein Teenager in Lausanne ums Leben. Der Schock über den plötzlichen Tod des 17-Jährigen ist gross.
Publiziert: 25.08.2025 um 19:24 Uhr
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Aktualisiert: 25.08.2025 um 20:28 Uhr
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Wurde nur 17 Jahre alt: Marvin M. kam bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei ums Leben.

Darum gehts

  • 17-jähriger Marvin stirbt bei Unfall. Jugendliche trauern und misstrauen Polizei
  • Marvin war beliebter Rapper und sollte Motivationssemester beginnen
  • Mindestens 100 Jugendliche protestierten nach seinem Tod im Stadtteil Prélaz
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Léo Michoud und Camille Krafft

An der Wand einer Garage in Lausanne kommen am Montag immer wieder Menschen vorbei. Sie legen Blumen nieder, zünden Kerzen an. Ein Teddybär und ein Schild mit «Marvin R.I.P.» (Marvin Ruhe in Frieden) wurde an der Wand angebracht. Sie können nicht glauben, dass an dieser Stelle Marvin M.* (†17) ums Leben kam. Der Teenager war auf der Flucht vor der Polizei mit einem gestohlenen Töff auf der Einbahnstrasse Avenue William-de-Charrière-de-Sévery verunfallt und gegen die Wand geprallt.

«Er war ein netter, aufmerksamer, fröhlicher und talentierter Junge», sagt seine Freundin zu Blick. In der Hand hält sie ein Poloshirt von M., das noch nach ihm riecht. Der 17-Jährige stammt aus der Demokratische Republik Kongo. Er fand schnell Freunde in der Schweiz, war bekannt im Viertel. Er fing mit Rappen an. 

«Ich persönlich hätte es wie Marvin gemacht»

Am Montag hätte er ein Motivationssemester beginnen sollen. Ein Angebot für Schüler, die noch nicht wissen, wie es für sie weitergeht, nach dem Abschluss. Die Trauer unter seinen Mitschülern ist gross. «Unsere Eltern haben uns am Sonntagmorgen geweckt, und gesagt, dass Marvin tot ist», so eine Mitschülerin. 

In der Nachbarschaft kannten viele Jugendliche auch Camila, die 14-Jährige, die im Sommer unter sehr ähnlichen Umständen in Plaines-du-Loup gestorben war. Diese beiden aufeinanderfolgenden Tragödien führen zu Unverständnis und Fragen, hauptsächlich zur Rolle der Polizei. Die Beamten behandeln die Jugendlichen wie Erwachsene, obwohl es nicht dasselbe ist. «Ich persönlich hätte es wie Marvin gemacht und wäre weggelaufen, weil ich Angst gehabt hätte», sagt eine junge Frau zu Blick.

«Sie haben sehr lange versucht, ihn wiederzubeleben»

Keiner der befragten Jugendlichen bestreitet, dass Marvin M. mit einem gestohlenen Roller unterwegs war. Doch der Unfall hat viele Fragen aufgeworfen, die noch unbeantwortet sind. Insbesondere über die Umstände, unter denen der Jugendliche stürzte. Alle misstrauen den Informationen, die von der Polizei und den Medien verbreitet werden.

Ein Jugendlicher hat seine eigene Theorie zu dem tödlichen Unfall: «Die Polizei muss ihn von hinten gerammt haben, und er wurde weggeschleudert.» Ein Anwohner, der Nahe der Unfallstelle lebt, berichtet, dass er von einem Lärm wach wurde. «Als ich aus dem Fenster schaute, war die Polizei da. Sie haben sehr lange versucht, ihn wiederzubeleben.»

Ein Jugendlicher in Marvin M.s Alter behauptet, dass er an diesem Abend ein Stück mit ihm nach Hause gegangen sei. «Wir sind zusammen von La Blécherette runtergefahren. Dann hat er mich mit seinem Roller in der Nähe meines Hauses abgesetzt.» Später habe er Sirenen gehört.

«Du musstest bei mir sein»

Auf Snapchat präsentierte Marvin M. stolz einen Roller – von einer anderen Marke als der, mit dem er seinen Unfall hatte. Ansonsten war die Musik sein Leben. Deswegen kannten ihn auch viele im Viertel. Unter seinem Pseudonym als Rapper hatte er mit zwei Freunden eine Gruppe gebildet. Diese teilten ihre Emotionen am Sonntagabend in einer Instagram-Story mit: «Ruhe in Frieden, Marvin, (...) die Gruppe wird immer bei dir sein.» Dazu ein Schwarz-Weiss-Foto, das Marvin M. zeigt. 

Auf Instagram zollte ihm auch sein Bruder Tribut. «Du musstest bei mir sein, zu Hause, in unserem Zimmer, das wir uns immer geteilt haben, mein Bruder», postete er zusammen mit mehreren Fotos aus seiner Kindheit. Marvin, der «Jüngste», wird darin als «bester Bruder, den es geben kann» beschrieben.

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Der trauernde grosse Bruder fährt fort: «Du wusstest, dass du auf mich zählen kannst. Ich habe dich nie verlassen, nie aufgegeben. Bei all deinen Problemen war ich da, und das weisst du. Ich kann bei dir nichts bereuen, denn ich habe dir alles gegeben, Marvin.»

Sein Tod löste am Sonntagabend heftige Unruhen im Lausanner Stadtteil Prélaz aus, wo ihn fast alle kannten. Mindestens hundert Jugendliche machten ihrem Ärger Luft, indem sie Mülltonnen anzündeten und einen Bus der Lausanner Verkehrsbetriebe verwüsteten, sodass die Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas reagieren musste.

* Name bekannt 

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