Gemeinderat erklärt, weshalb Schelten BE so wählt
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Umweltbewusst und sozial:Gemeinderat erklärt, weshalb Schelten BE so wählt

Schelten BE schwimmt regelmässig gegen den Strom
Das 34-Seelen-Dorf, das die Juso-Initiative angenommen hat

Im abgelegenen Dörfchen Schelten im Berner Jura stimmen die Bürger oft anders als die Restschweiz. So auch am Sonntag bei der Erbschaftssteuerinitiative der Juso, die mit 55 Prozent gutgeheissen wurde. Gemeinderat Hans-Ruedi Roth erklärt die Hintergründe.
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Die 34-Seelen Gemeinde Schelten überrascht regelmässig mit aussergewöhnlichen Abstimmungsergebnissen. Am Sonntag nahm das Dorf die Erbschaftssteuerinitiative mit rund 55 Prozent an.
Foto: Sebastian Babic

Darum gehts

  • Schelten BE stimmt anders als Rest der Schweiz bei Erbschaftssteuerinitiative
  • Kleine Gemeinde mit 34 Einwohnern hat oft überraschende Abstimmungsergebnisse
  • Gemeinderat besteht aus 5 Personen, etwa 15 Prozent der Bevölkerung
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Sebastian BabicReporter Blick

Ganz Helvetien hat am Sonntag die Erbschaftssteuerinitiative an der Urne deutlich bachab geschickt. Ganz Helvetien? Nein! Neben der Linken-Hochburg der Bundesstadt Bern nahm auch das winzige Dörfchen Schelten im Berner Jura die Initiative an.

Es ist nicht das erste Mal, dass Schelten mit aussergewöhnlichen Abstimmungsergebnissen auf sich aufmerksam macht, erzählt Gemeinderat Hans-Ruedi Roth (79). Die Gründe sind überraschend, wie Blick beim Besuch im Dorf erfährt.

Mini-Gemeinde beim Umweltschutz gross

In Schelten scheint die Zeit stillzustehen. Das 34-Seelen-Dorf liegt abgelegen und dort, wo sich die Kantone Bern, Jura und Solothurn treffen. Es ist nur über eine enge Passstrasse erreichbar. Trotz allem schafft es die Gemeinde immer wieder in die nationalen Medien. Der Grund: Anders als viele erzkonservative Nachbargemeinden stimmen die Scheltener speziell bei Umweltthemen immer wieder links-grün.

Während der Nein-Anteil am Sonntag bei der in den Nachbargemeinden zwischen 64 (Mervelier JU) und 100 Prozent (Seehof BE) lag, nahmen die Scheltener die Juso-Initiative mit mehr als 55,6 Prozent an: Zehn Stimmberechtigte sagten Ja, acht waren dagegen.

Regelmässig gegen den Mainstream

Der ehemalige Landwirt und Gemeinderat Hans-Ruedi Roth erklärt: «Wir sind sehr wenige Einwohner, da kommt es darauf an, wer abstimmt – oder wer es halt vergisst.» Wenn ein, zwei grössere Familien dasselbe abstimmen, sei der Urnengang fast schon gewonnen.

Speziell sei auch, dass das Dorf stark durchmischt sei, mit Leuten, die nicht aus der Gegend selbst stammen: «Aargauer, Innerschweizer, Berner. Viele sind zugezogen und leben erst seit wenigen Jahrzehnten in der Gemeinde.» Darum gäbe es auch, anders als in vielen anderen ländlichen Dörfern, keine «grauen Eminenzen», die seit Ewigkeiten das Sagen hätten. «Ich selbst komme ursprünglich aus einem Zürcher Arbeiterquartier und lebe erst seit etwa 20 Jahren hier.»

Schweizweit höchsten Grünen-Anteil

Roth erinnert sich an so manche Abstimmung oder Wahl, bei der die Scheltener gegen den Strom schwammen: «Bei der letzten Nationalratswahl hatten wir schweizweit den höchsten Grünen-Stimmenanteil – 36 oder 37 Prozent.» Bei den AKW-Abstimmungen war der Tenor eindeutig: Mühleberg abstellen, mit über 80 Prozent Ja. 

Auffällig häufig stimmen die Scheltener also ökologisch. Woran das liegt, kann Roth nur mutmassen: «Wir leben hier mitten in der Natur und sehen die Auswirkungen des Klimawandels täglich vor der Haustür.» Die Schneegrenze sei in den letzten Jahrzehnten merklich nach oben gewandert und auch Extremwetterereignisse würden sich häufen.

Anderthalb Stunden bis zum Kindergarten

Spontan wird der Blick-Reporter nach dem Interview ins Nachbarshaus zum Mittagessen eingeladen. Hier gibt es sie noch: die berühmte Gastfreundschaft auf dem Land. Die Gastgeber möchten zwar nicht namentlich genannt werden, plaudern aber bei Hohrückensteak mit Schwarzwurzelsauce gerne aus dem Nähkästchen.

Auch wenn es hier schön sei, gäbe es doch einige Probleme: «Unser Sohn muss nach Mümliswil SO in den Kindergarten.» Ein Weg dauere jeweils etwa anderthalb Stunden. «Alles in allem ist er also genauso lange unterwegs, wie er im Kindergarten ist.» Seit die Schule vor einigen Jahren dichtgemacht habe, sei es für die neun unter 15-Jährigen im Dorf deutlich komplizierter geworden. 

«Jeder, der schreiben und lesen kann, muss einmal ran»

Der Scheltener Gemeinderat besteht aus fünf Personen, also rund 15 Prozent der ganzen Bevölkerung. Ortsparteien gäbe es nicht, weshalb für die Zusammensetzung des Gemeinderats eine ganz besondere Zauberformel gelte: «Bei uns geht es nach Familien», lacht Roth, «wir achten darauf, dass nie zwei Leute aus der gleichen Familie im Gemeinderat sitzen.»

Weil die Gemeinde derart klein sei, sei ein grosser Teil der Bevölkerung schon einmal im Gemeinderat gesessen, so wie seine Frau vor ihm: «Eigentlich muss jeder, der schreiben und lesen kann, einmal ran», scherzt er.

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