Erfinder Ulo Gertsch (85) revolutionierte den Skisport – jetzt lebt er von 900 Fr im Monat
«Für die Behörden bin ich reich, in Wahrheit aber bettelarm»

150 internationale Patente laufen auf den Schweizer Erfinder, trotzdem nagt er heute am Hungertuch: Ulo Gertsch (85) kämpft seit seiner Pensionierung mit finanziellen Schwierigkeiten. Wegen einer gescheiterten Investition lebt er am Existenzminimum.
Publiziert: 00:32 Uhr
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Erfinder Ulo Gertsch (85) macht eine schwere Zeit durch. Er lebt nur von der AHV, weil ihm die Ergänzungsleistungen gestrichen wurden.
Foto: Martin Meul

Darum gehts

  • Trotz erfolgreicher Karriere: Der Schweizer Erfinder Ulo Gertsch hat Geldsorgen
  • Gertsch verlor 500'000 Franken durch Fehlbesetzungen in seiner Firma
  • AHV-Rente von 2500 Franken, Ergänzungsleistungen wegen Investition gestrichen
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Martin MeulReporter News

Ulo Gertsch (85) hat sein Berufsleben zu grossen Teilen dem Schneesport gewidmet. Vor allem als Erfinder. Jahrelang hat er Skibindungen entwickelt und international verkauft. Ende der 1960er-Jahre erfand er die legendäre Gertsch-Bindung, die erste richtige Sicherheitsbindung für Skifahrer, deren Serienproduktion im Berner Oberland Dutzende von Arbeitsplätzen schuf. 2004 präsentierte er das erste abgasfrei betriebene Wasserstoff-Pistenfahrzeug der Welt. 

Über 150 internationale Patente lauten auf seinen Namen als Urheber, und doch – heute hat der pensionierte Erfinder vor allem eins: grosse Geldsorgen.

Ein Chrampfer

Schon im Jahr 2004 hat Gertsch das Pensionsalter erreicht. Doch er ist ein Chrampfer. Einfach nichts tun? Für ihn undenkbar. Deshalb baut er eine neue Firma auf, die Inventra AG. «Ich habe weiterhin AHV-Beträge und Steuern bezahlt, Arbeitsplätze geschaffen», sagt Gertsch. Allein Steuern über 150'000 Franken habe er nach seiner Pensionierung bezahlt.

Im Jahr 2019 will sich Gertsch langsam aus der Firma zurückziehen. Doch zuvor will er diese noch fit machen für die Zukunft. «Ich war auf der Suche nach neuen Verwaltungsräten. Deshalb investierte ich eine halbe Million in die Firma», erzählt er. Das Geld soll die Aktiengesellschaft attraktiver machen, die laufenden Projekte zur Serienreife bringen.

Die von über 200 Aktionären gewählten neuen Leute an der Spitze von Gertschs Firma sind eine Fehlbesetzung und bringen durch Missmanagement den Firmengründer in Schwierigkeiten. «Sie haben die Firma kaputt gewirtschaftet, mein Lebenswerk zerstört», sagt Gertsch entmutigt.

Im Jahr 2024 geht die Firma pleite! Die halbe Million, die Gertsch investiert hat: futsch! 

Keine Ergänzungsleistungen

Die Rente, die Gertsch nun bekommt, ist spärlich. 2500 Franken von der AHV, das ist alles. Gertsch beantragt, wie so viele Menschen – denen die AHV allein auch nicht reicht – in seiner Situation Ergänzungsleistungen (EL). «Ich habe ja auch bis weit über 80 viel einbezahlt an Steuern und Sozialabgaben als Vollzeit arbeitender Lohnbezüger», sagt er im Gespräch mit Blick. Zunächst bekommt er die EL auch. Zu den 2500 Franken AHV gibt es noch 1500 Franken dazu.

Doch dann stösst die Ausgleichskasse des Kantons Bern (AKB) auf Gertschs Investition von 500'000 Franken im Jahr 2019. Und streicht ihm kurzerhand die EL. Begründung: Das Investment gelte als «Vermögensverzicht». Dies läuft so ab, wenn jemand Geld verschenkt, Eigentum billig verkauft oder darauf verzichtet, ohne dass er muss.

Dieses «fiktive Vermögen», das nicht mehr vorhanden ist, wird voll als Vermögen angerechnet, wenn es um die EL geht.

Das Gesetz soll verhindern, dass Rentner ihr Vermögen verprassen und anderweitig weitergeben, um dann Ergänzungsleistungen zu beziehen. «Die glaubten, einen Riesenfisch an der Angel zu haben, doch sie haben mich in eine prekäre Situation gestossen», so Gertsch und fügt an: «Für die Behörden bin ich reich, in Wahrheit aber bettelarm.»

Unter dem Existenzminimum

Er wehrt sich gegen den Entscheid der AKB, doch als juristischer Laie ist das schwierig. «Einen Anwalt konnte ich mir nicht mehr leisten», sagt er. Denn seitdem die EL gestrichen wurden, muss der Erfinder mit 2500 Franken pro Monat auskommen. Davon bezahlt er die Miete und die Krankenkasse. «Mir bleiben rund 900 Franken zum Leben», sagt er. 

Für Gertsch ist das nicht nachvollziehbar. Für Fälle wie den seinen gebe es kein Augenmass. «Die unterscheiden nicht, ob man ein vergnügungssüchtiger Rentner in Asien ist, oder ein Unternehmer, der Pech hatte. Jeder abgewiesene Fall ist für die ein Erfolg, das persönliche Schicksal zweitrangig.» 

Gesetz ist Gesetz

Die AKB verweist auf Anfrage von Blick auf die Gesetzgebung zu den Ergänzungsleistungen. «Diese unterscheidet nicht zwischen einer mutwilligen Vermögensverschleuderung und einem gescheiterten unternehmerischen Engagement», so Sprecherin Marion Ebinger. Hintergrund sei die Missbrauchsverhinderung: Jeder freiwillige Vermögensabgang ohne angemessene Gegenleistung werde gleichbehandelt, unabhängig von der Motivation. «Im Fall eines gescheiterten Investments, bei dem das Kapital verloren gegangen ist, wird nicht geprüft, ob die Investition objektiv gescheitert ist, sondern ob es einen Verzicht auf Vermögen im rechtlichen Sinne gegeben hat», so Ebinger weiter. Die Ausgleichskasse sei eine Durchführungsstelle, die gesetzliche Vorgaben umzusetzen habe.

Das heisst: Ulo Gertsch hätte das Geld schlicht nicht investieren dürfen. Für den Erfinder ist deshalb klar: Es braucht eine Anpassung der entsprechenden Gesetzesgrundlage. Kampfbereit sagt er: «So wie es im Moment läuft, ist das viel zu wenig differenziert.»

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