Lara Stoll steht in riesiger Schlange für Wohnungsbesichtigung
0:14
Im Januar 2025:Lara Stoll filmt riesige Schlange für Wohnungsbesichtigung

Auf Wohnungssuche in Zürich – verdrängen Expats die Einheimischen?
US-Influencerin erntet Shitstorm wegen Luxuswünschen

Bis zu 50'000 Expats ziehen jedes Jahr in die Schweiz – und verstärken damit den Druck auf den Wohnungsmarkt. Sind sie verantwortlich für die steigenden Mieten?
Publiziert: 09:46 Uhr
|
Aktualisiert: 11:12 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/5
Diese US-Influencerin sucht in Zürich eine Wohnung – und erntet dafür Kritik.
Foto: Tiktok

Darum gehts

  • Expats in Zürich: Wohnungsnot und steigende Mieten sorgen für Kontroversen
  • Stadtforscher: Wirtschaftsmodell Zürichs treibt Wohnkosten nach oben
  • Jede dritte Person zwischen 26 und 35 Jahren in Zürich ist Jahresaufenthalter
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
RMS_Portrait_AUTOR_252.JPG
Sara BelgeriRedaktorin

Eine blonde Frau spricht in die Kamera. Sie ist auf Wohnungssuche in Zürich, erzählt sie auf der Social-Media-Plattform Tiktok. Die Liste ihrer Wünsche? Lang – und, wie sie selbst sagt, «ziemlich absurd».

Die junge Frau ist Influencerin und plant, in zwei Monaten gemeinsam mit ihrem Freund von Boston (USA) nach Zürich zu ziehen.

Ihre Traumwohnung soll drei bis vier Zimmer haben, idealerweise zwei Balkone, die in unterschiedliche Himmelsrichtungen zeigen, und in Gehdistanz zum See oder Fluss liegen. Ein begehbarer Kleiderschrank steht ebenfalls auf der Wunschliste – ebenso wie ein Waschtrockner in der Wohnung, so wie es in den USA Standard ist. Auch ein Lift sollte nicht fehlen, denn sie sei es sich nicht gewohnt, Treppen zu steigen.

Kritik und Spott

Schon am nächsten Tag folgt das Video einer Wohnungsbesichtigung. Das Objekt erfüllt viele der Bedingungen, hat vier Zimmer, einen Lift und ist nahe am See gelegen. Kostenpunkt: brutto rund 6700 Franken. 

Die Reaktionen auf die Videos fallen heftig aus. Während einige ihr Glück wünschen, überwiegen Spott und Ablehnung. «Mädchen, warum ziehst du in ein anderes Land, wenn du genauso leben willst wie in den USA?», schreibt ein User. Auf Reddit landet das Video versehen mit dem Titel: «Falls du dich fragst, wer deine Wohnung übernehmen wird, nachdem du wegen ‹notwendiger Renovierungsarbeiten› hinausgeworfen worden bist.» Dort fallen die Reaktionen noch schärfer aus: «Noch so ein verwöhnter Expat», «typisch amerikanisch» oder «Und dann wundern sie sich, warum Schweizer nicht mit ihnen befreundet sein wollen». 20 Minuten hatte das Video ebenfalls aufgenommen.

Doch ist die Kritik berechtigt? Und wie stark tragen Expats tatsächlich zur Wohnungsnot bei? Schliesslich sorgen immer wieder Fälle für Schlagzeilen, in denen Wohnungen – teils nach Leerkündigung und Sanierung – in teure Business-Apartments umgewandelt und möbliert auf Zeit an Expats vermietet werden.

Expats polarisieren

Klar ist: Die Schweiz ist beliebt unter Expats. Laut Schätzungen ziehen jährlich zwischen 30'000 und 50'000 von ihnen ins Land. Viele davon nach Zürich, das kürzlich von der internationalen Unternehmensberatung Mercer zur lebenswertesten Stadt der Welt gekürt worden ist. Genaue Statistiken gibt es nicht, aber Daten der Stadt Zürich zeigen, dass jede dritte Person zwischen 26 und 35 Jahren inzwischen Jahresaufenthalter ist. Der Anteil der Englischsprachigen ist in den letzten 20 Jahren von unter zwei auf 14 Prozent gestiegen.

Expats polarisieren – auf beiden Seiten des politischen Spektrums. Die SVP argumentiert in ihrer Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz! (Nachhaltigkeits-Initiative)» mit der zunehmenden Wohnungsnot und steigenden Mietpreisen, die sie der Zuwanderung zuschreibt.

Im Zürcher Gemeinderat forderte die SVP kürzlich, Einheimischen bei der Vergabe städtischer Wohnungen den Vorrang zu geben. Das entsprechende Postulat wurde mit Unterstützung der SP angenommen. Bereits 2022 hatte die SP selbst eine Kürzung der Beiträge an die Standortförderung Greater Zurich Area verlangt – mit der Begründung, wohlhabende Expats würden die Einheimischen vom ohnehin angespannten Wohnungsmarkt verdrängen.

Ähnliche Entwicklungen zeigen sich im Expat-Kanton Zug, wo die steigenden Mieten immer mehr Einheimische verdrängen. Unter dem Slogan «Zug first» will die Stadt Zug bei der Vergabe städtischer Wohnungen künftig Einheimische bevorzugen. Auf kantonaler Ebene fordern zwei FDP-Politiker zudem die Einführung sogenannter «Zugerwohnungen» – also Wohnungen, die nur von Personen gekauft oder gemietet werden dürfen, die seit mindestens zehn Jahren im Kanton leben.

Wirtschaftsmodell begünstigt Zuwanderung

Zurück nach Zürich. Christian Schmid (66) ist Stadtforscher und seit 2009 Professor für Soziologie am Departement Architektur der ETH Zürich. Für ihn ist klar: «Die Wohnungsnot in Zürich ist chronisch – und das seit bald einem halben Jahrhundert.» 

Zwar zeigen Studien, dass Migration einen Einfluss auf die Mietpreise in der Schweiz hat. Doch die Ursachen für steigende Wohnkosten allein auf die Zuwanderung zu reduzieren, greift zu kurz – denn das Problem ist struktureller Natur.

Vielmehr sei es das Wirtschaftsmodell Zürichs, das die Wohnkosten nach oben treibe. Schmid: «Wir haben in Zürich eine Headquarter-Wirtschaft, mit Banken, Versicherungen und internationalen Hauptsitzen. Die Angestellten haben meist ein hohes Einkommen und können sich hohe Mieten leisten.» Früher habe man die gut bezahlten Fachkräfte aus dem Inland rekrutiert – heute eben vermehrt aus dem Ausland. 

Günstige Wohnungen sind rar

Das eigentliche Problem sei nicht der Wohnungsmangel an sich, sondern der Mangel an bezahlbarem Wohnraum. «Der Bestand an günstigen Wohnungen schrumpft», sagt Schmid. Verantwortlich dafür seien Abrisse und Totalsanierungen. «Viele Gebäude aus den 1960er- und 70er-Jahren – solide Schweizer Bausubstanz – werden allein aus Renditeüberlegungen ersetzt und danach teurer vermietet, obwohl sie noch jahrzehntelang bewohnbar wären.» Stichwort Business-Apartments. 

Wie angespannt der Wohnungsmarkt mittlerweile ist – auch für Expats – weiss René Rey aus erster Hand. Der Gründer der Relocation-Agentur Sgier + Partner unterstützt seit über zwanzig Jahren internationale Fachkräfte bei ihrer Ankunft in der Schweiz. Gemeinsam mit der Partnerfirma Packimpex unterstützt seine Firma Expats bei Anliegen wie dem Arbeitsgesuch oder der Wohnungssuche.

Er sagt: «Früher konnten wir unseren Klienten an einem Tag sechs, sieben Wohnungen zeigen. Heute stehen bei einer einzigen Besichtigung oft 40 bis 50 Personen an.»

Auch für Expats wird Wohnungssuche schwieriger

Gerade bei günstigeren Wohnungen sei es besonders schwierig. Die Expats müssten sich heute zunehmend selbst um Besichtigungen kümmern. Die Agentur könne höchstens noch bei der Bewerbung unterstützen, etwa beim Motivationsschreiben. Ohne Deutschkenntnisse und angesichts der Konkurrenz blieben die Bewerbungen aber oft chancenlos.

Trotzdem hat Rey Verständnis für den wachsenden Unmut in der Bevölkerung: «Ich kann die Ressentiments nachvollziehen. Zürich ist eine der besten Städte der Welt, die Lebensqualität ist hoch – natürlich wird der Platz knapp.» 

Was also tun? Mehr Wohnraum schaffen – das ist unbestritten. Doch wie, wo und für wen, bleibt politisch umkämpft. «Zürich braucht eine mutigere Planung. Statt nur zu verdichten und dabei Altbestand abzureissen, müssten neue Stadtteile entstehen – wie einst in den 1920er-Jahren, als in Wiedikon, und später auch in Altstetten oder Schwamendingen grossflächig gebaut wurde», sagt Stadtsoziologe Christian Schmid.

«Wenn man keine Techfirmen, keine Banken, keine globalen Konzerne will, dann muss man die Wirtschaft umbauen», sagt Schmid. «Aber solange Zürich boomt, wird der Druck nicht nachlassen.»

Ob die Influencerin aus Boston ihre Traumwohnung gefunden hat, ist unklar. Eine Anfrage für ein Gespräch hat sie abgelehnt. Die beiden Videos hat sie von Tiktok gelöscht.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?