Gottesdienst mit Abt Urban in Einsiedeln
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Live auf Blick TV:Gottesdienst mit Abt Urban in Einsiedeln

Abt Urban Federer im grossen Interview
«Hoffentlich werden wir nach der Krise nicht sein wie vorher»

Auch Abt Urban Federer vom Kloster Einsiedeln erlebt eine Osterwoche, die es so noch nie gab. Im BLICK-Interview spricht er über Social Distancing, Online-Gottesdienst und weshalb er hofft, dass wir nach der Krise anders sind als davor.
Publiziert: 08.04.2020 um 23:05 Uhr
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Aktualisiert: 09.04.2020 um 11:26 Uhr
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Abt Urban Federer hält während des Lockdowns Online-Gottesdienste.
Foto: J.M. Duvoisin
Interview: Flavia Schlittler

Er trägt ein grosses Kreuz und einen bekannten Namen. Abt Urban Federer (51) ist entfernt verwandt mit Tennis-Star Roger Federer (38) und der Bruder von alt CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer (54). Als 59. Abt des Klosters Einsiedeln erlebt auch er eine Osterwoche, die es so noch nie gab. Im BLICK beantwortet er die Frage, ob das Coronavirus eine Gottesstrafe ist und was wir aus dieser schwierigen Situation lernen müssen.

Als bekannt wurde, welches Ausmass das Coronavirus auch in der Schweiz haben wird, was waren Ihre ersten Gedanken?
Abt Urban Federer:
Ich habe Mitbrüder, die im Moment in Italien und in Österreich leben. Um die hatte ich schon Sorgen, bevor das Virus in der Schweiz auftrat. Hierzulande ist mir der Schutz der älteren Mitbrüder und der Pilgerinnen und Pilger wichtig.

Nun erleben wir alle eine Osterwoche, die es so noch nie gab. Sie veranstalten Ihre Gottesdienste online, auch am Osterwochenende. Welche Erfahrungen haben Sie schon gemacht?
Sehr gute. Wir haben mehr Rückmeldungen als sonst, die Leute fühlen sich als Teil unserer Gemeinschaft. Und bei Gebeten an den Randzeiten haben wir mehr Teilnehmende als üblich – denn normalerweise sind dann Menschen noch nicht oder nicht mehr in Einsiedeln.

Wie erreichen Sie die Menschen, die kein Internet haben?
Ich schreibe viele Briefe. Zudem hat unser Kloster eine Telefon-Seelsorge aufgebaut, wo Menschen sich melden können.

Wie klappt es im Klosteralltag mit Social Distancing?
Der Vorteil unserer grossen barocken Anlage ist der Platz: Wir stellen uns jetzt so auf, dass zwischen uns der notwendige Abstand gegeben ist.

Der Glaube wird für viele in diesen Zeiten wichtiger, stellt ihn aber auch für viele andere in Frage. Rechnen Sie mit einem Kirchenzu- oder abgang?
Ehrlich gesagt, stelle ich mir diese Frage gar nicht. Im Moment frage ich mich, wie ich den Menschen beistehen kann. Denn das will Gott: bei den Menschen sein.

Viele fragen sich, ob ein Virus, das die Welt stillstehen lässt, eine Gottesstrafe ist.
Wenn schon, wäre es eine Menschen-Strafe. Die Wissenschaft weiss unterdessen, dass das Virus seinen Ursprung im prekären Zusammensein von Wild- und Haustieren auf Märkten hat, diese Krise also vom Menschen gemacht ist. Gott straft nicht. Vielmehr zeigt uns der Karfreitag: Um uns nahe zu sein, hat er selbst die Einsamkeit und die Grausamkeit des Menschen ausgehalten. Österliche Hoffnung, Gottes Nähe, zeigt sich gerade auch im Leiden.

Die Bibel mahnt uns, den Nächsten zu lieben wie uns selbst. Während Jahrtausenden immer wieder verachtet, bringt uns nun das Virus dazu. Wir kaufen für die Nachbarn ein, schützen Alte und Risikogruppen, indem wir zu Hause bleiben. Ist dies für einen Gottesdiener nicht eine traurige Tatsache?
Sie würden mich nicht nach der Nächstenliebe fragen, hätte die Kirche diese Botschaft nicht Jahrhunderte lang verkündet. Ich finde die aufgezählten Aktionen grossartig – und auch in den Pfarreien und Gemeinden geschehen verblüffende Aktionen für Menschen in Not.

Was können wir aus der schwierigen Zeit lernen?
Wenn jeder und jede nur an sich denkt, bleiben wir gegenseitig bloss ein Ansteckungsrisiko. Wenn wir füreinander denken und da sind, können wir die Krise überwinden.

Der Bundesrat hat den Lockdown verlängert.
Er hat seine Gründe dazu. Für mich stellt sich die Frage, wie wir den Menschen noch mehr beistehen können, die vereinsamen oder vermehrt häuslicher Gewalt ausgesetzt sind. Social Distancing darf nicht innere Vereinsamung bedeuten.

Sie wollen das Kloster Einsiedeln mit dem Tourismusverein wirtschaftlich in die Zukunft führen. Doch Pilgerreisen können nicht stattfinden. Wie gehts weiter?
Im Moment brechen dem Kloster tatsächlich alle Einnahmen ein, da wir keine Kirchensteuer erhalten. Hier wird wichtig sein, dass alle vor Ort – Kloster, Gemeinde, Gewerbe, Tourismus – gemeinsam nach Lösungen suchen, um in Einsiedeln wieder Menschen empfangen zu können.

Welche Chancen müssen wir dringend nutzen?
Unser Potenzial, in Krisen zusammenzustehen. Das Bewusstsein, dass wir nicht unabhängig voneinander leben können. Es braucht die Verantwortung von uns allen.

Werden wir nach der Krise sein wie vorher?
Ich hoffe nicht, denn dann hätten wir die Krise nicht verstanden. Wir werden noch lange mit der Folge der Krise beschäftigt sein und brauchen auch weiterhin die gegenseitige Unterstützung.

Wie können und sollen wir Ostern feiern?
Ostern hat nicht nur im Gottesdienst mit einem Mahl zu tun. Ich würde Ostern vor allem beim festlichen Essen feiern. Dabei kann eine Kerze entzündet, eine Textstelle aus der Bibel vorgelesen und ein Vaterunser gebetet werden. Osterfreude sollte man auf jeden Fall teilen – und das Essen darf dann auch genossen werden.

Ein Trost für die Verzweifelten.
Der Karfreitag zeigt uns, wie brutal wir Menschen miteinander sein können, denn das Kreuz ist eine alte Form von Todesstrafe und Folter zugleich. Ostern sagt uns: Das Ja Gottes zu uns ist stärker als unser gegenseitiges Nein. Auf diesem Boden dürfen wir Vertrauen haben.

Ein Leben mit Gott

Als Teenager machte er Sport, fuhr Töffli und hatte eine Freundin. Doch der Zürcher Urban Federer (51) entschied sich für ein Leben mit Gott. Am 10. Dezember 2013 wurde seine Wahl zum neuen Abt vom Kloster Einsiedeln SZ von Papst Franziskus (83) bestätigt. Federers Amtsdauer beträgt zwölf Jahre. Während des Lockdowns hält er seine Gottesdienste im Internet auf kloster-einsiedeln.ch ab.

Als Teenager machte er Sport, fuhr Töffli und hatte eine Freundin. Doch der Zürcher Urban Federer (51) entschied sich für ein Leben mit Gott. Am 10. Dezember 2013 wurde seine Wahl zum neuen Abt vom Kloster Einsiedeln SZ von Papst Franziskus (83) bestätigt. Federers Amtsdauer beträgt zwölf Jahre. Während des Lockdowns hält er seine Gottesdienste im Internet auf kloster-einsiedeln.ch ab.

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