«Die Natur ist unser Freund und unser Feind»
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Wanderwegmeister warten 200 km:«Die Natur ist unser Freund und unser Feind»

65'000 Kilometer durch die Schweiz
Meister der Wanderwege

Sie sind fleissig und kaum sichtbar: Wanderwegmeister und Freiwillige bauen die Wege und halten sie in Schuss. Wetterextreme setzen ihnen jedoch immer stärker zu – und treiben Aufwand und Kosten für Reparaturen in die Höhe.
Publiziert: 18:03 Uhr
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Aktualisiert: 19:06 Uhr
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Stefan Brügger und Ruedi Sieber erneuern die Hangsicherung im Wald zwischen Kandersteg und dem Oeschinensee.
Foto: Raphaël Dupain

Darum gehts

  • Wanderwege in der Schweiz erfordern mehr Pflege aufgrund intensiverer Wetterereignisse
  • Ruedi Sieber und Stefan Brügger warten 250 Kilometer Wanderwege in Kandersteg
  • Gesuche und Ausgaben des Wanderweg-Fonds haben sich in zehn Jahren verdreifacht
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Pascal ScheiberReporter Gesellschaft

In Bauarbeiterhosen und Bergschuhen wandern Ruedi Sieber (53) und Stefan Brügger (53) durch den Wald ob Kandersteg BE. Ihre Rucksäcke wiegen schwer, sind prall gefüllt. Nach 10 Minuten legen Sieber und Brügger Sack und Pack hin. Sie packen aus: Motorsäge, Werkzeug und Schrauben. Aus dem Gebüsch holen sie: Weg-Pickel, Schaufel, Hammer und Metallstangen. «In den letzten vier bis sechs Jahren bauten und verlegten wir mehr Wanderwege als früher», sagt Ruedi Sieber. Die Niederschläge und Gewitter seien «intensiver». Darunter leide das Gelände und der Weg. Für die Wanderwegmeister bedeutet das mehr Arbeit. «Den Rücken spüre ich auch mehr», lacht Sieber.

Als Kinder drückten die beiden im Dorf dieselbe Schulbank. Seit zwölf Jahren arbeiten die gelernten Handwerker als Wanderwegmeister für die Gemeinde. Bei Sonne, Schnee und Regen stehen sie auf ihrem 250 Kilometer langen Wegenetz. Sie unterhalten, planen und reparieren es. So wie die Kehre im Grüenewald auf 1500 m ü. M., zwischen Kandersteg und dem Oeschinensee. Die kleine Hangsicherung in der Kurve destabilisierte sich nach den Niederschlägen und wird ersetzt. Eine Kleinbaustelle auf einem der beliebtesten Wanderwege. Im 10-Minuten-Takt spazieren Kanadierinnen, Südafrikaner oder Australier vorbei. Für die Kandersteger normaler Alltag.

«E Gattig muess dr Wäg mache»

Am Vortag fällten sie vier kleine Bäume 50 Meter nebst dem Weg. «Das Baumaterial holen wir, wenn möglich, aus nächster Nähe.» Sobald sie über der Baumgrenze arbeiten, fliegt ein Helikopter, weil das Holz fehlt. Sieber und Brügger hämmern Stämme in den Boden. Verankern sie mit Eisenstangen und schrauben sie mit dem quer gelegten Holzstamm zusammen. «Wenn diese Holzkonstruktion bis zu unserer Pensionierung hält, was sie sollte, sind wir zufrieden», sagt er und grinst. Vieles schuften sie von Hand. Die grossen Werkzeuge und Bagger bleiben oft im Tal. Denn: «Wir kommen effizienter voran, wenn wir mit einfachem Werkzeug bauen.» Die Hohlräume der Hangsicherung füllen sie vorzu mit Bodenmaterial aus Kies und Erde. Wenn weniger Sauerstoff das Holz erreicht, verlangsamt sich der natürliche Zerfall.

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Im 10-Minuten-Takt unterbrechen ausländische Gäste die Arbeit von Wanderwegmeister Stefan Brügger (l.) und Ruedi Sieber. Sie kommen aus England, Kanada, Australien, Südafrika, USA oder Dänemark.
Foto: Raphaël Dupain

Ihre Arbeit wird unterbrochen: Ein «Hi!» folgt auf das Nächste. Wie lange es noch gehe bis zum See, fragt eine Engländerin. Ob das «misty» (neblige) Wetter noch verschwinde, fragt eine Dänin im Vorbeilaufen. Junge und ältere Touristen, meist in glänzenden Wanderschuhen, bestaunen die Arbeit von Sieber und Brügger. Klar habe es viele Menschen auf den Wanderwegen, aber Schäden am Weg verursachen sie nicht, sagt Wegmeister Brügger. «Die viel bewanderten Wege wie um den Oeschinensee sind ‹einvibriert›. Der Weg ist hart wie Beton und stabiler als weniger frequentierte», erklärt Sieber.

Wanderwege müssen häufiger repariert werden

Rund zwei Meter hoch ist ihre Hangsicherung. Brügger nimmt einen kritischen Blick: «Das geht nicht. Ruedi, das müssen wir ändern.» Das Problem: Ein Holzstamm schliesst sich nicht bündig in die Reihe. Bevor es ans Werk geht, gönnen sich die beiden Büezer eine geballte Ladung Schnupf: «Pries!» «Gell, wir haben auch einen optischen Anspruch an unsere Wege?» Brügger startet die Motorsäge. Die Holzspäne fliegen ihm an die Kleidung. «Es mues nach öpis usgseh. E Gattig, ja, e Gattig muess dr Wäg mache.» Sprich: Es soll nicht nur technisch perfekt sein, sondern gutschweizerisch: aufgeräumt und ordentlich.

Wandern in Zahlen
  • 50’000 gelbe Wegweiser weisen den Weg mit Standortinformationen, möglichen Zielen und der Dauer.
  • 65’000 Kilometer lang ist das Netz aller Wanderwege. Als Vergleich: Das Strassennetz misst 71’400 Kilometer.
  • 58 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren wandern regelmässig.
  • 2000 Personen markieren die Wanderwege ehrenamtlich.
Raphaël Dupain
  • 50’000 gelbe Wegweiser weisen den Weg mit Standortinformationen, möglichen Zielen und der Dauer.
  • 65’000 Kilometer lang ist das Netz aller Wanderwege. Als Vergleich: Das Strassennetz misst 71’400 Kilometer.
  • 58 Prozent der Schweizer Bevölkerung ab 15 Jahren wandern regelmässig.
  • 2000 Personen markieren die Wanderwege ehrenamtlich.

Das Wanderwegwesen ist in der Bundesverfassung verankert. Über 65'000 Kilometer markierte Wege zieren Flüsse und Seen, führen über Hügel, Pässe und Gipfel. Hinter der Umsetzung stehen Bund, Kantone, Gemeinden und der Dachverband «Schweizer Wanderwege» mit seinen Fachorganisationen. Im Auftrag des Bundesamts für Strassen (Astra) legt dieser die Qualitätsstandards fest und berät die lokalen Behörden. Was Sieber und Brügger in Kandersteg erzählen, bestätigt auch Olivia Grimm (38), die zuständige Wanderweg-Chefin beim Dachverband. «In allen Regionen müssen die Gemeinden ihre Wege häufiger unterhalten, was Mehrkosten verursacht.» Sie unterstreicht, dass Extremwetterereignisse grössere Schäden an den Wanderwegen hinterlassen als die steigende Zahl von Wandernden.

Der Dachverband spürt das finanziell. Mit einem Fonds unterstützen sie Projekte auf dem Wanderwegenetz. «In den letzten zehn Jahren verdreifachten sich die Gesuche und Ausgaben des Wanderweg-Fonds», sagt Grimm. Oft gehe diesem ein Extremwetterereignis voraus. Aktuell finanziert der Verband Projekte in der Höhe von insgesamt 400'000 Franken pro Jahr. Das Geld stammt zu 70 Prozent von Gönnern und Spenden. Grimm schätzt, dass die Nachfrage nicht abnehmen werde. Im Gegenteil. 

Kosten sparen, dank weniger Wanderwegen?

Damit vermeidbare Schäden und Kosten in Zukunft ausbleiben, bieten Olivia Grimm und ihr Team den lokalen Behörden und Fachorganisationen beratend Hand. «Die Wege sollten nachhaltig gebaut sein, damit nicht jedes Jahr repariert werden muss.» Wenn eine Gemeinde nicht weiter weiss, komme sie zu ihnen. Im schlimmsten Fall müsse ein Weg gesperrt werden, sagt sie.

Das Schweizer Wegenetz reicht eineinhalbmal um die Erde und bietet eine breite Auswahl. Für Grimm sei das ein «Qualitätsmerkmal» der Schweiz. Dennoch stelle sich die Frage, ob mit dem steigenden Aufwand das Netz an bestimmten Orten zu dicht sei. «Wenn mehrere Wege zum selben Ziel führen, könnten sie auch zusammengelegt werden.» Eine grundsätzliche Reduktion stehe jedoch nicht zur Diskussion.

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Die Wanderwege müssen abwechslungsreich und naturnah in die Landschaft eingebettet sein – zudem an den öffentlichen Verkehr angeschlossen und in einem baulich mängelfreien Zustand. Wichtig ist auch die unverkennbare Signalisation nach geltenden Vorgaben.

Freiwillig mit Farbtöpfen auf über 2000 Metern

Darum kümmern sich die beiden Pensionäre Samuel Haug (68) und Kurt Zimmermann (72). Neben den angestellten Wanderwegmeistern der Behörden markieren und pflegen sie als ehrenamtliche Bezirksleiter bei den «Berner Wanderwegen» ihre Routen. Sie sind dafür verantwortlich, dass jeder Weg die nötigen Schilder, Wegweiser und Markierungen hat. Im Kandertal zwischen Kandersteg und Frutigen ist Haug zuständig – im Entschligetal nebenan sein Kollege Zimmermann. Zusammen betreuen sie 187 Kilometer Weg und laufen sie Jahr für Jahr ab. «Ich gehe bis auf 2400 m ü. M. mit meinen Farbtöpfen», sagt Zimmermann stolz. 

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Kurt Zimmermann (l.) und Samuel Haug pflegen die Wanderwege als ehrenamtliche Bezirksleiter rund um Frutigen im Berner Oberland.
Foto: Raphaël Dupain

Gelb und weiss-rot-weiss sind ihre Farben. Sie stehen für Wander- und Bergwege. In den Abschnitten montieren, reparieren oder polieren sie die Weg- und Richtungsweiser. An Bäumen, Pfosten oder auf Steinen malen sie Rhomben auf oder montieren Plaketten oder Kleber. Sie dienen der «Bestätigung», damit die Wandernden wissen, dass sie richtig unterwegs sind. Der ehemalige Dorfbäcker Haug zeigt seine Ausrüstung: ein 20 Kilogramm schwerer Rucksack mit Farben, Schildern, Rhomben, Schlüsseln, Pinseln, Stahlbürste, Säge und Schere. Die Leiter in seinem Auto nutzt er für die zwei Meter hohen Wegweiser. 

«An 25 Tagen oder mehr wandere ich durch meinen Bezirk», erklärt Haug. Er schätzt die einhergehende Verantwortung und Struktur in seinem Alltag. «Wir müssen raus und die Höger hoch, das macht Freude.» In seinem kleinen Schuppen im Dorf stehen Dutzende Schilder mit Ortsangaben oder dem Berner Wappen drauf. Von hier fahren sie zur Tellenburg, oberhalb von Frutigen. Haug ist überzeugt, dass die physischen Schilder nicht durch Karten-Apps ersetzt werden können, und packt sein Material aus. Zimmermann drückt er Gelb in die Hand und schraubt eine Plakette am Wegrand fest. Danach klettern die beiden zum Wegweiser hoch und polieren ihn mit einem Lappen. Der Swiss-Finish am Berg.

Das ist die gefährlichste Wanderung der Welt
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