Zwischen Zensur und Putin-Propaganda – der Fall Jacques Baud
Wie gefährlich ist dieser Schweizer Rentner?

Jacques Baud wurde von der EU auf die Russland-Sanktionsliste gesetzt. Der Schweizer Ex-Spion sieht sich als Opfer westlicher Zensur und vergleicht sich mit Wikileaks-Gründer Julian Assange.
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Jacques Baud während einer Mission in der Region Darfur im Sudan.
Foto: Zvg

Darum gehts

  • Jacques Baud, Schweizer Ex-Oberst, wurde am 15. Dezember auf EU-Russland-Sanktionsliste gesetzt
  • EU wirft ihm vor, russische Propaganda und Verschwörungstheorien zu verbreiten
  • Baud sieht sich als Zensuropfer, vergleicht sich mit Wikileaks-Gründer Assange und warnt vor einer Rückkehr ins Mittelalter
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Lino SchaerenRedaktor

Er sieht sich als Opfer westlicher Zensur: Jacques Baud (70), ehemaliger Oberst der Schweizer Armee und Mitarbeiter des Strategischen Nachrichtendienstes, sagt, er solle zum Schweigen gebracht werden, weil seine Analysen politisch unerwünscht seien. Im Gespräch mit einem französischen Videoblogger verglich sich Baud mit Julian Assange (54), dem Wikileaks-Gründer, der für die Veröffentlichung geheimer Dokumente jahrelange Haft und Verfolgung durch US-Behörden auf sich zog.

Doch Bauds «Verfolger» ist nicht Amerika, sondern die Europäische Union. Und statt im Gefängnis sitzt er in Brüssel fest. Am 15. Dezember setzte die EU den Schweizer auf ihre Russland-Sanktionsliste. Der Vorwurf: Baud fungiere als Sprachrohr russischer Propaganda, trete regelmässig in prorussischen Medien auf und verbreite Narrative aus Moskau.

Russen als Befreier, statt Eroberer

Seit Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022 kursieren zahlreiche Interviews und Beiträge mit Baud in sozialen Medien, Foren und Telegram-Kanälen. Er behauptete etwa, die russische Invasion richte sich «sicher nicht gegen die ukrainische Bevölkerung» und sei durch angebliche Angriffe der Ukraine auf die Gebiete Luhansk und Donezk provoziert worden. Auch das Massaker von Butscha stellte er öffentlich infrage.

Die EU wirft Baud zudem vor, Verschwörungstheorien zu verbreiten – etwa, dass die Ukraine den Krieg selbst inszeniert habe, um einen Nato-Beitritt zu erreichen. Baud bestreitet das. Er habe lediglich eine ukrainische Quelle zitiert.

Die Sanktionen sind für ihn einschneidend: Bauds Konten sind gesperrt, Unterstützungsleistungen in der EU verboten, ein Ein- und Durchreiseverbot gilt. Da er sich in Belgien aufhält, ist unklar, ob er überhaupt in die Schweiz zurückkehren kann. Seine Anwälte haben Rekurs beim Europäischen Rat und beim Europäischen Gerichtshof eingelegt. «Schlimmer als Gefängnis», nennt Baud die Situation in der «Weltwoche».

«Wie ein König im Mittelalter»

Für EU-Kritiker in der Schweiz und im Ausland ist der Fall ein gefundenes Fressen. Baud dient als Beleg für einen angeblichen Niedergang der Meinungsfreiheit in Europa. Er selbst weiss sich zu inszenieren: In «alternativen Medien», in Youtube-Formaten und sozialen Medien warnt er vor autoritären Tendenzen und zieht drastische Vergleiche. Wie im Mittelalter entscheide heute wieder ein «König» alleine, wer schuldig sei, sagt er – in seinem Fall der Europäische Rat.

Baud beklagt fehlendes rechtliches Gehör und spricht von einer Verurteilung ohne Verfahren. Unerwähnt lässt er dabei, dass Sanktionen nur dann Wirkung entfalten, wenn sie unangekündigt erfolgen – besonders dann, wenn sie auch auf Bankvermögen zielen.

Auch bei seinem journalistischen Unterstützer und «Weltwoche»-Chef Roger Köppel (60) zeigt sich Baud in einem 90-minütigen Interview redselig. Dabei beklagte er fehlende Unterstützung aus der Schweiz. Sein Schicksal erzeuge Support aus allen Ländern, nur nicht aus der Heimat. Laut Baud ist sein Fall in anderen Ländern Thema auf Ministerebene, in den USA befasse sich gar die Geheimdienstchefin damit. Belege dafür gibt es keine. Um den konsularischen Schutz der Schweiz habe Baud bislang nicht ersucht, heisst es beim Aussendepartement.

Konkrete Vorwürfe bleiben unklar

Gegenüber anderen Schweizer Redaktionen zeigt sich Baud deutlich weniger gesprächig. Auch eine Anfrage von Blick liess er unbeantwortet. Dabei bleibt offen, was die EU ihm konkret vorwirft. Die Angaben aus Brüssel sind knapp, Details zu möglichen Geldflüssen oder direkten Kontakten nach Moskau fehlen. Laut der «NZZ am Sonntag» sollen die Vorwürfe in einem streng geheimen Dokument detailliert aufgeführt sein.

Baud bestreitet, je Propaganda verbreitet zu haben. Um genau das zu vermeiden, sei er nie in russischen Medien aufgetreten, sagt er. Doch das stimmt nur teilweise. Der staatliche Auslandssender Russia Today (RT) verwertete nicht nur Aussagen von Baud weiter – er war auch zweimal Gast in der Sendung «Going Underground», die fester Bestandteil der RT-Plattformen ist.

Recherche-Hinweise

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Im Sommer 2024 behauptete Baud dort, Russland strebe in der Ukraine keine Gebietsgewinne an. Ziel der «Intervention» sei einzig der Schutz der Bevölkerung im Donbass vor ukrainischen Streitkräften. Damit übernahm er zentrale Argumente von Kreml-Herrscher Wladimir Putin (73), mit denen dieser den Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 begründet hatte.

EU will weiter sanktionieren

Baud ist nicht der Einzige in Europa, der solche Erzählungen verbreitet. Was die Ausweitung der EU-Sanktionspolitik auf mutmassliche Propagandisten bedeutet, ist offen. Die deutsche Bundesregierung will jedenfalls weiterhin konsequent gegen Desinformation vorgehen. Alle, die auf diesem Feld unterwegs seien, müssten damit rechnen, dass auch ihnen passieren könne, was Jacques Baud widerfahren sei, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amts bei einer Pressekonferenz.

Diese Aussicht nährt Spekulationen. So könnte auch «Weltwoche»-Chef Roger Köppel ins Visier geraten. Er reiste seit Kriegsbeginn mehrfach nach Russland und traf sich mit Staatspropagandisten. Deutsche Medien sprechen von einer «Schweizer Moskau-Connection».

Stellt sich die Frage, ob sich die Schweiz eine weitere solche Intervention der EU ohne Gegenwehr gefallen liesse. Im Falle von Jacques Baud haben sich die eidgenössischen Behörden bis heute davor geziert, den Fall öffentlich zu beurteilen.

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