Wir haben jahrlelang zu viel Steuern bezahlt
Wie Bern den Mittelstand still und heimlich bluten lässt

Wir haben jahrelang 20 Milliarden Franken zu viel Steuern bezahlt – und kaum jemand störts in Bern. Im Gegenteil: Die heimlichen Zusatzeinnahmen sind willkommen – auf die Länge beschädigt man damit aber den Mittelstand. Der Wochenkommentar.
Publiziert: 08:45 Uhr
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Aktualisiert: 10:42 Uhr
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Argentiniens Javier Milei mit Kettensäge: In der Schweiz greift man eher zur Laubsäge.
Foto: Keystone
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Rolf CavalliChefredaktor Blick

Während Argentiniens Präsident Javier Milei (55) mit der Kettensäge durch den Staat fährt, sägt die Schweiz mit der Laubsäge – leise, aber stetig: immer am Mittelstand entlang.

Zwanzig Milliarden Franken: So viel haben wir Schweizerinnen und Schweizer laut der Denkfabrik Avenir Suisse in den letzten Jahren zu viel an Steuern bezahlt – unbemerkt und still einkassiert. Warum? Weil der Bund und die Kantone die sogenannte «warme Progression» einfach laufen lassen.

Was das bedeutet: Wirtschaftliches Wachstum und steigende Produktivität führen zu höheren Reallöhnen. Das hebt die gesamte Schweizer Bevölkerung in höhere Steuerklassen. Die Fiskalquote steigt somit automatisch, die Steuereinnahmen wachsen. Ohne demokratische Debatte, ohne klare politische Verantwortung.

Steuerzahler haben keine Lobby

Der Verlierer: der breite Mittelstand. Untere und mittlere Einkommen trifft es prozentual stärker, höhere Einkommen dafür absolut mehr. Jahr für Jahr verliert die Bevölkerung so zusätzlich an Kaufkraft. Als ob steigende Mieten und Krankenkassenprämien nicht genug wären. Das schwächt nicht nur das eigene Portemonnaie, sondern auch das Vertrauen in den Staat.

Das Problem: Die Steuerzahler als abstrakte Gruppe haben keine starke Lobby in Bern. Die Linke blockiert jede Entlastung via Steuern – selbst wenn sie auch kleineren Einkommen helfen würde. Aber auch die Bürgerlichen schaffen bisher keine Mehrheit für den Ausgleich der warmen Progression.

Warum? Weil es für Politiker bequemer ist, diese schleichende Besteuerung der Allgemeinheit hinzunehmen, statt dort anzusetzen, wo es ihnen wehtut: beim Sparen bei der eigenen Klientel – von der Bauern- bis zur Pharmalobby, von Verkehrsverbänden bis NGOs.

Wir sägen uns den eigenen Ast ab

In der Wintersession zeigt sich, wie ernst es dem Parlament ist. Dann wird über die 20 Milliarden zu viel bezahlten Steuern diskutiert – und über das Sparpaket des Bundesrats entschieden. Finanzministerin Karin Keller-Sutter warnte diese Woche im Blick-Interview: Wenn das Parlament nicht gewillt ist, den Rotstift anzusetzen, bleiben nur Leistungsabbau oder Steuererhöhungen.

Die Schweiz ist im Vergleich zu Argentinien finanziell ein Paradies. Tiefe Inflation, geringe Verschuldung, stabiler Staatshaushalt. Wir brauchen keine Kettensäge. Aber auch eine Laubsäge wirkt – langsam, leise. Wir sollten aufpassen, dass wir den Hauptast nicht absägen: den Mittelstand. Sonst kracht es plötzlich – und wir fallen.

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