Darum gehts
- SBB-CEO erhält Morddrohungen nach umstrittenem Milliardenauftrag an Siemens
- Stadler Rail prüft rechtliche Schritte gegen die Vergabe
- 2-Milliarden-Auftrag sorgt für politische Diskussionen und mögliche parlamentarische Aktionen
Die Vergabe eines 2-Milliarden-Auftrags durch die SBB sorgt für hohe Wellen – und für kriminelle Energie. Nach Informationen von Blick hat SBB-CEO Vincent Ducrot (63) Morddrohungen erhalten. Anonyme Verfasser werfen ihm Landesverrat vor. Der Grund: Statt dem Thurgauer Stadler-Konzern kommt bei den SBB die deutsche Siemens AG zum Zug.
Ducrot musste tagelang Personenschützer in Anspruch nehmen. Details wollen die SBB nicht verraten. «Die Position des CEO der SBB ist eine exponierte Position, wie diejenige anderer Wirtschaftsführer oder Politiker auch. Das sehen wir bei umstrittenen Entscheiden», teilt das Unternehmen mit. «Dann gibt es Reaktionen, die wir ernst nehmen. Wir möchten dazu keine weiteren Angaben machen.»
Dass ein SBB-CEO Personenschutz braucht, ist höchst ungewöhnlich. Zuletzt hatte Ducrots Vorgänger Andreas Meyer (64) 2008 Leibwächter gebraucht. Meyers Plan, Werkstätten von SBB Cargo in Bellinzona TI aufzulösen, führte zu einem Aufstand von 430 Arbeitern und einem wochenlangen Streik. Auch Meyer erhielt damals Morddrohungen.
Stadler Rail und SBB wollen deeskalieren
Das Fedpol will die jüngsten Vorfälle nicht kommentieren. «Bei Bedrohungen werden allfällige Schutzmassnahmen je nach Lage angepasst und in Zusammenarbeit mit den kantonalen Polizeibehörden umgesetzt», teilte das Fedpol mit. «Aus Sicherheitsgründen machen wir keine Angaben zu Sicherheitsdispositiv oder konkreten Schutzmassnahmen.»
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Sowohl Stadler Rail als auch die SBB bemühen sich derweil um Deeskalation. Am Donnerstag haben die SBB in einem Gespräch mit Stadler-Vertretern erläutert, warum die Thurgauer nicht den Zuschlag erhielten. «Wir informieren, wie bei Ausschreibungen üblich, jeden Anbieter transparent darüber, wie die Bewertung seiner eigenen Offerte zustande gekommen ist», teilen die SBB mit. «Diese Gespräche finden wie üblich bei öffentlichen Ausschreibungen statt und haben keinen Zusammenhang mit der medialen Diskussion.»
SBB sind gegen Währungsrisiko abgesichert
Auch widersprechen die SBB Gerüchten, wonach SBB-Verwaltungsrat Thomas Ahlburg (56) Stimmung gegen Stadler gemacht habe. Ahlburg war von 2018 bis Mai 2020 Stadler-CEO und musste nach Differenzen mit Patron Peter Spuhler (66) Stadler verlassen. «Der Verwaltungsrat hat keinen Einfluss auf die Vergabe», betonen die SBB. Der Verwaltungsrat sei lediglich über das Ergebnis informiert worden. Die Vergabe sei streng nach den Vorgaben des Beschaffungsrechts erfolgt. «Rund 100 Fachspezialisten und Fachspezialistinnen der SBB haben die Kriterien sachlich und unabhängig bewertet. Die daraus resultierende Punktezahl war ausschlaggebend.» Es habe kein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Siemens und Stadler geben. «Der Entscheid fiel klar zugunsten von Siemens Mobility aus», betonen die SBB.
Falsch sei auch, dass Siemens vom schwachen Eurokurs profitiere und die SBB einem Wechselkursrisiko ausgesetzt seien: «Wenn die SBB Verträge mit Unternehmen aus Europa abschliessen, sichern sie das Währungsrisiko jeweils ab.»
Parlamentarier wollen aktiv werden
Aktuell analysiert der Thurgauer Konzern die Bewertungsmatrix der SBB. «Falls Stadler zum Entschluss kommt, dass eine unabhängige Stelle die Bewertung der SBB noch einmal überprüfen muss, werden wir die nötigen Rechtsmittel ergreifen», teilt das Unternehmen mit.
Mittlerweile beschäftigt der Vorfall auch die Politik. Der Thurgauer SVP-Ständerat Jakob Stark (67) will den Rekurs von Stadler Rail abwarten. «Je nach Verlauf eines allfälligen gerichtlichen Verfahrens werde ich auch parlamentarisch aktiv, falls dies zielführend scheint», kündigt der Ständerat an. «Dabei könnte die Durchführung des Beschaffungsverfahrens durch die SBB genauso ein Thema sein wie eine grundsätzliche kritische Auseinandersetzung mit dem öffentlichen Beschaffungsrecht.»
Sein SVP-Nationalratskollege Pascal Schmid (49) prüft, eine Interpellation einzureichen. «Der Bundesrat muss mehr Einfluss nehmen, damit ein Schweizer Vorzeigeunternehmen wie die Stadler Rail nicht übergangen und ein so wichtiger Auftrag nicht ins Ausland vergeben wird, weil das unserem Land und unserer Wirtschaft schadet.»