Darum gehts
- Jedes dritte Kind kann vor der Einschulung nicht genügend gut Deutsch
- Politiker diskutieren über Spezialklassen und frühe Sprachförderung für Schulerfolg
- Aargau: Anteil fremdsprachiger Kinder oft bei über 50 Prozent
Jedes dritte Kind kann vor der Einschulung nicht genügend gut Deutsch. Das zeigt eine neue Studie aus dem Baselbiet, durchgeführt eineinhalb Jahre vor der Einschulung. Dabei ist klar: Gute Sprachfähigkeiten sind für Kinder eine zentrale Grundlage für den Schulerfolg.
Die Problematik mangelnder Deutschkenntnisse beschäftigen die Chefinnen und Chefs in den kantonalen Bildungsdepartementen. «Das ist auch im Kanton Aargau ein Thema, auf das Bildung Aargau seit längerer Zeit hinweist», bestätigt etwa Colette Basler, oberste Aargauer Lehrerin und SP-Grossrätin, auf Anfrage von Blick.
«Ideologische Diskussionen nicht zielführend»
Ihr politisch gegenüber steht SVP-Regierungsrätin und Bildungsdirektorin Martina Bircher, die bereits im grossen Schulstart-Interview mit Blick im August Alarm schlug und die Idee einer Art Deutsch-Bootcamps thematisierte. Bircher bezieht sich auf ein Beispiel aus der Zeit, als der Ukraine-Krieg losging. 2022 kamen von einem Tag auf den anderen zwanzig ukrainische Kinder ohne Deutschkenntnisse in die Schule in Aarburg AG, und Spezialklassen wurden eingeführt. «Wir haben eine separate Klasse gemacht für ein halbes Jahr. Das hat super funktioniert», so die SVP-Politikerin.
Auf aktuelle Anfrage bestätigt Bircher, an der Idee dranzubleiben: «Im Aargau liegt der Anteil fremdsprachiger Kinder oft bei über 50 Prozent. Wenn dann zusätzlich Kinder gänzlich ohne Deutschkenntnisse eintreten, sind vor der Einteilung in eine Regelklasse intensive Deutschkurse wichtig.»
Schon heute können solche Kurse eingeführt werden. Weil die separativen Angebote teilweise aus ideologischen Gründen verpönt sind, wird dies in den Gemeinden sehr unterschiedlich umgesetzt. «Doch ideologische Diskussionen sind nicht zielführend, und als Bildungsdirektorin trage ich letztlich die Verantwortung für die Unterrichtsqualität», sagt Bircher. Daher solle es solche Intensivkurse in Zukunft überall da im Kanton Aargau geben, wo es aufgrund der Schülerzusammensetzung sinnvoll sei.
«Soziale Integration verbessern»
Laut Grossrätin Basler sind Spezialklassen ab der Primarschule nicht zielführend. Die SP-Politikerin plädiert dafür, früher anzusetzen, und verweist auf das Aargauer Projekt «Deutsch vor dem Kindergarten», das aufgrund eines politischen Vorstosses zustande kam. In einer Pilotphase von 2021 bis 2024 führte der Kanton in ausgewählten Gemeinden eine Sprachstanderhebung durch. Diese Erhebungen hätten laut Basler gezeigt, «dass gezielte Sprachförderung in Spielgruppen und Kitas vor dem Kindergarten für Kinder mit ungenügenden Deutschkenntnissen deutliche Fortschritte bringt».
Die oberste Aargauer Lehrerin ist überzeugt, dass Sprachprobleme alle betreffen können, nicht nur Kinder mit Migrationshintergrund. Auch die Eltern will das Projekt miteinbeziehen, um die Problematik vollumfänglich anzugehen.
Baslers Ziel ist es, «allen Kindern gleiche Bildungschancen zu ermöglichen und die soziale Integration zu verbessern». Dafür müsse das Personal in den Spielgruppen und Kitas gezielt weitergebildet werden. Das Projekt zur frühen Sprachstanderhebung soll in den Gemeinden ab 2026 flächendeckend ausgebaut werden. «Können die Lücken im Deutsch geschlossen werden, würden sich Spezialklassen ab der Primarschule erübrigen», meint die Präsidentin von Bildung Aargau.
Drei Jahre in den Kindergarten
Auch Martina Bircher begrüsst dieses Projekt, es reiche alleine aber nicht: «Mit der sprachlichen Frühförderung erreichen wir lediglich die 3-jährigen Kinder. Heute ist es aber Normalität, dass Kinder jeglichen Alters einwandern.» Sie erwähnt zudem, dass die Migrationsbevölkerung über die Wichtigkeit der deutschen Sprache für die Zukunft des Kindes aufgeklärt werden solle und: «Ob sie bereit sind, diese zu tragen, sollte auch als Integrationskriterium gelten.»
Bei einem Punkt sind sich die Bildungspolitikerinnen einig: Dass der Kindergarten neu auch in drei Jahren absolviert werden kann, helfe zusätzlich, wenn Kinder nach Ende des zweiten Kindergartens noch nicht fit sind für die Schule.