Massive Probleme bei Einschulung
Jedes dritte Kind kann nicht richtig Deutsch!

Eine neue Studie zeigt: Im Baselbiet kann jedes dritte Kind anderthalb Jahre vor der Einschulung nicht genügend gut Deutsch. Andernorts ist die Lage ähnlich. Was sagt die oberste Lehrerin dazu? Und sind Deutsch-Bootcamps die Lösung?
Publiziert: 00:00 Uhr
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Nicht alle fremdsprachigen Kinder lernen in der Kita Deutsch: Rund ein Drittel spricht nicht genügend gut Deutsch für den Schulalltag.
Foto: imago images/Shotshop

Darum gehts

  • Neue Zahlen: Viele Kinder haben Deutsch-Defizite vor dem Kindergarten
  • Frühe Sprachförderung variiert stark zwischen Kantonen und Gemeinden
  • Politik überlegt sich Lösungen für das Problem
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Lucien FluriCo-Ressortleiter Politik

Längst nicht alle Kinder können gut genug Deutsch, wenn sie in den Kindergarten kommen. Im Gegenteil: Fast jedes dritte Kind hat Deutsch-Defizite und bräuchte eine Förderung. Das zeigt eine Erhebung der Baselbieter Behörden, durchgeführt eineinhalb Jahre vor Kindergartenbeginn.

Ähnliche Resultate brachte 2024 eine Stadtzürcher Erhebung: Dort hatten 27 Prozent der Kinder einen Förderbedarf. Im ländlicheren Thurgau war es jedes vierte Kind, das anderthalb Jahre vor dem Kindergarteneintritt nicht genügend gut Deutsch konnte.

«Grosse Auswirkungen für Unterricht»

Dagmar Rösler (53) ist oberste Lehrerin der Schweiz. Die Präsidentin des Lehrer-Dachverbandes LCH sagt: Wenn Kinder nicht schon von klein auf lernen, sich auszudrücken und zu kommunizieren, «dann wird es im Schulalltag schwierig, auf etwas aufzubauen».

Im Kindergarten und in der Schule werde sehr viel kommuniziert. «Wenn man sich nicht oder nur sehr ungenügend ausdrücken und verständigen kann, dann hat das für das Wohlbefinden der Kinder als auch für den Unterricht unter Umständen grosse Auswirkungen.» 

Chancengleichheit versus Gemeindeautonomie

Klar ist: Kinder, die eine Spielgruppe oder Kinderkrippe besuchen, reden besser Deutsch. Doch gerade die Thurgauer Studie zeigte, dass Kinder mit Förderbedarf seltener eine solche Einrichtung besuchen als Kinder, die von Haus aus Deutsch reden. Gründe können finanzielle Hürden sein – oder dass fremdsprachige Eltern ihren Kindern bewusst zuerst die Familiensprache beibringen wollen.

Eine weitere Hürde: Oft sind die Gemeinden für die frühe Sprachförderung zuständig. Damit wird die Schweiz zum Flickenteppich: Inwieweit es die frühe Sprachförderung gibt und ob die Gemeinden Beiträge zahlen, ist von Ort zu Ort unterschiedlich.

Röstigraben auch bei der Bildung

«Einige Kantone und Gemeinden zeigen einen grossen Einsatz, wieder andere reduzieren das Angebot auf das Minimum», sagt Dagmar Rösler. Sie stellt «deutliche Unterschiede» fest. Rösler nennt etwa die Romandie, in der sich die Politik «viel stärker als in der Deutschschweiz» für eine breite aufgestellte frühkindliche Bildung einsetze. 

Als positives Beispiel nennt Rösler auch das Tessin, das einen eigenen Weg geht: Es kombiniert Massnahmen wie Mutter-Kind-Sprachkurse mit Unterstützungsmassnahmen für Familien und Kinder. 70 Prozent der Dreijährigen besuchen die «Scuola d’infanzia». Wer nicht Italienisch spricht, wird dort von speziell ausgebildeten Personen gefördert. 

Die Familien seien zentral, damit Kinder Deutsch lernten, sagt Dagmar Rösler.«Deshalb sind Angebote wirksam, die auch die Eltern ansprechen.» Dazu gehören schon Gratis-Bilderbücher. Helfen könnten etwa Familienzentren oder auch Hausbesuchsprogramme. Und Kinder sollten auch in der Erstsprache sicher sein. «Es braucht eine Wertschätzung der Sprachenvielfalt, denn Mehrsprachigkeit ist eine Chance», so Rösler.

Deutsch-Bootcamps als Lösung?

«Wir haben immer mehr Kinder, die kein Deutsch können, wenn sie in den Kindergarten kommen», sagte die Aargauer Bildungsdirektorin Martina Bircher (41) im Sommer beim grossen Schulstart-Interview zu Blick. Zwei Probleme machte die Regierungsrätin aus: Einerseits würden ausländische Eltern oft denken, es reiche, wenn Kinder in der Schule Deutsch lernen.

Andererseits gibt es laut Bircher in einigen Spielgruppen so viele ausländische Kinder, dass das Lernen von Deutsch erschwert ist. Die SVP-Politikerin überlegt sich deshalb Spezialklassen für die Kinder, eine Art Deutsch-Bootcamps. Im Aargau können Kinder auch ein Kindergartenjahr wiederholen. 

Die Erhebungen aus den Kantonen zeigen auch, wie sehr die Schweiz zum Einwanderungsland geworden ist. In vielen Haushalten wird mehr als eine Sprache gesprochen. Nur Deutsch sprechen im Baselbiet zu Hause weniger als die Hälfte der Kinder, nämlich 46 Prozent. In Zürich sind es 36 Prozent, im Thurgau 55 Prozent.

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