Darum gehts
Wie blicken Schweizerinnen und Schweizer in die Zukunft, wenn sie an ihr Land denken? Pünktlich zum Nationalfeiertag zeigt eine repräsentative Umfrage der Universität Zürich im Auftrag der Denkfabrik Pro Futuris: Die Schweiz ist geeint – zumindest auf den ersten Blick.
Wird es konkret, gehen die Meinungen jedoch plötzlich deutlich auseinander. Soll die Schweiz Mehrheitsinteressen wahren oder lieber Minderheiten schützen? Ist die Unabhängigkeit das wichtigste Schweizer Gut oder doch eher die internationale Zusammenarbeit? In den Fragen öffnen sich nicht nur zwischen linkem und bürgerlichem Lager Gräben, sondern auch zwischen den Geschlechtern.
Die Wirtschaft ist der wichtigste Pfeiler
Bereits vor zwei Jahren untersuchte Pro Futuris, welche Erzählungen der Schweiz die politischen Akteure – Bundesrat, Parteien und Verbände – benutzen und wie. Dazu hatte ein Team der Universität Zürich 14'000 Reden, Medienmitteilungen, Parteiprogramme, Parlamentsdebatten und weitere Dokumente seit 1980 ausgewertet.
Dabei zeigte sich: Vor allem die rechten Parteien beherrschen das Narrativ. So punktete in den vergangenen vier Jahrzehnten vor allem die SVP mit dem Bild einer freiheitsliebenden, wehrhaften Schweiz.
Doch gilt dasselbe für die Zukunft? Ausgehend von den historischen Gesichtern der Schweiz entwickelte das Forscherteam fünf zukunftsgerichtete Erzählungen:
- die kompromiss- und reformfähige Schweiz
- die internationale und neutrale Schweiz
- die naturnahe Schweiz
- die solidarische Schweiz
- das Wirtschaftsmodell Schweiz
Polarisierung? Fehlanzeige! Alle fünf Erzählungen werden in der anschliessenden Bevölkerungsumfrage von einer Mehrheit eher oder vollumfänglich unterstützt.
Eine schwingt jedoch obenauf: das Wirtschaftsmodell Schweiz. Beinahe 90 Prozent der Befragten reagieren darauf positiv. Am anderen Ende liegt mit nur zwei Dritteln Zuspruch die solidarische Schweiz.
Mehrheit will weltoffene Schweiz
Erzählungen sind schön und gut. Doch die Frage bleibt, wie sie schlussendlich interpretiert werden. Für die Mehrheit der Gesamtschweiz ist beispielsweise klar: Eine internationale und neutrale Schweiz wird durch internationale Zusammenarbeit erreicht – und nicht durch Abschottung. Das ist auch im Hinblick auf den anstehenden EU-Deal ein positives Zeichen.
Werden die Befragten aber nach Parteizugehörigkeit aufgeteilt, spalten sich die Lager in vielen Fragen deutlich auf. Vor allem eine Gruppierung hebt sich vom Rest der Bevölkerung ab: die SVP-Wählenden. Sie wollen etwa nationale Unabhängigkeit statt internationaler Zusammenarbeit – und setzen deutlich auf Landschaftsschutz statt Klimaschutz.
Es sind Positionen, die die Rechtswähler vor allem mit der Gruppe der Nichtwählenden teilen. Damit stellt sich die Frage: Hat die SVP bei ihrem Wähleranteil etwa noch Potenzial nach oben – jedenfalls, wenn sie diese Erzählungen künftig geschickter einsetzt?
Die restlichen politischen Lager positionieren sich meist auch so, wie es ihre Parteien tun. Bürgerliche Parteien setzen vor allem oder eher auf Mehrheitsinteressen und Eigenverantwortung, bei Links zählt dagegen besonders die staatliche Unterstützung.
Beim Klima- und Landschaftsschutz zeigt sich aber Sprengpotenzial: Selbst die Links-Wähler sind in der Frage gespalten. Nur bei der GLP ziehen die Befragten den Klimaschutz deutlich vor.
Gräben bei Geschlecht, Einkommen und Wohnort
Es ist wenig überraschend, dass eine SP-Wählerin nicht dieselbe Meinung hat wie ein SVP-Wähler. Die Konfliktlinien verlaufen jedoch nicht nur entlang der politischen Einstellung, auch der Wohnort hat das Potenzial, Widerstände zu nähren.
Der Stadt-Land-Graben ist deutlich: Städter wollen Klimamassnahmen und mehr Staat. Menschen aus der Agglomeration und ländlichen Gebieten setzen dagegen eher auf Landschaftsschutz und liberale Werte.
Bei den Geschlechtern ist es ähnlich. Frauen bevorzugen die naturnahe und solidarische Schweiz, Männer mögen dagegen Eigenverantwortung und freie Marktwirtschaft.
Auch Schweizerinnen und Schweizer mit tiefem Einkommen fordern mehr staatliche Intervention in der Wirtschaft als ihre besser verdienenden Landsleute. Zudem bevorzugen die Tieflöhner deutlich den Landschaftsschutz gegenüber dem Klimaschutz – wohl auch aus Angst vor Preiserhöhungen bei Strom und Lebensmitteln.
Die repräsentative Umfrage basiert auf Antworten von 2013 Teilnehmenden aus der Schweiz (1144 aus der Deutschschweiz, 545 aus der Romandie und 324 aus dem Tessin). Sie lief vom 4. bis zum 30. April 2025.