SP-Chef Levrat will Landesregierung aufstocken
«Sieben Bundesräte sind nicht mehr zeitgemäss»

Der Chef der Sozialdemokraten nimmt Stellung zur historischen Niederlage seiner Partei und der Zusammensetzung des Bundesrates.
Publiziert: 27.10.2019 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 27.10.2019 um 21:20 Uhr
Christian Levrat muss nach dem Wahlsonntag über die Bücher.
Foto: keystone
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Simon Marti und Nico Menzato

Herr Levrat, die SP hat das schlechteste Wahlergebnis ihrer Geschichte eingefahren. Was haben Sie falsch gemacht?
Christian Levrat: Das trifft auf alle grossen Parteien zu. Wir alle wurden von der grünen Welle überrollt. Wir werden das Ergebnis schonungslos analysieren, jetzt aber konzentrieren wir uns auf die zweiten Wahlgänge für den Ständerat.

Aber etwas muss grundsätzlich falsch gelaufen sein bei Ihnen.
Es gibt zwei Erklärungen: Ein Teil der linken Wählerschaft setzte ein Zeichen und wählte die Grünen. Und die Grünen konnten die ­Neuwähler besser mobilisieren als wir. Aber sicher haben wir Fehler gemacht.

Welche?
In der Umweltpolitik haben wir zu wenig betont, dass wir Reformen nur mittragen, wenn sie sozial­verträglich sind und tragbar für die Randregionen. Das ist der ­Beitrag der SP: forsche Umweltpolitik, aber mit sozialem Ausgleich. Ein Beispiel: Abgaben auf Benzin oder Flugtickets müssen zurück­erstattet werden.

Ziehen Sie als Präsident die Konsequenzen aus dem Wahl­debakel und treten Sie zurück?
Diskussionen über Personen und die Kampagne führen wir nach den zweiten Wahlgängen für den Ständerat.

Parteiintern sollen Sie Ihren Abgang schon angekündigt haben!
Das besprechen wir ohne Zeitdruck, wenn es so weit ist. Mehr gibt es nicht zu sagen.

Sie haben die letzten vier Jahre damit verbracht, die Mehrheit aus FDP und SVP im Nationalrat zu attackieren. Diese Mehrheit ist gebrochen, wie geht die SP jetzt in die neue Legislatur?
Jetzt sind Lösungen möglich. Das CO2-Gesetz muss schnell und ohne zusätzliche Forderungen fertig beraten werden. Es darf trotz grünem Wahlsieg nicht überladen werden, sonst scheitert es. Dann brauchen wir ein staatliches Investitions­programm für die erneuerbaren Energien. Mit der Hälfte der CVP hat Mitte-links nun eine Mehrheit. Davon konnten wir bislang nur träumen. Die neue ­Dynamik spielt auch bei anderen Themen: Ehe für alle, Transparenz in der Politik­finanzierung – vieles kann nun rasch Realität werden.

In dieser Allianz beansprucht die SP noch immer die Führung. Dabei sind die Grünen praktisch auf Augenhöhe.
Jede Verstärkung ist willkommen. Ich sehe das partnerschaftlich. Das Erstarken der Grünen hilft bei der Sammlung von ­Unterschriften und der Finanzierung von Kampagnen.

Ihr erstarkter Partner hat rechnerisch Anrecht auf einen Sitz in der Regierung. Helfen Sie im Dezember mit, einen grünen Bundesrat zu wählen?
Der Ball liegt nicht bei uns. Zuerst müssen die Grünen entscheiden, ob sie antreten und mit wem. ­Sicher ist: Der jetzige ­Bundesrat bildet das parteipolitische Kräfteverhältnis im Parlament nicht ab. Es gibt keinen Grund, dass der Bundesrat so viel weiter rechts steht. Dazu kommt: Ignazio Cassis und auch Karin Keller-Sutter gehören zum rechten Rand der FDP.

Also unterstützen Sie die Grünen, wenn sie mit einem valablen Kandidaten antreten?
Das müssen wir mit den Grünen und der CVP besprechen. Ich möchte aber auch Gespräche mit FDP und SVP führen, denn ihnen muss ihre Übervertretung klar sein. Sie sollen aufzeigen, wie wir dieses Problem lösen. Ob wir es im Dezember oder bei der nächsten Vakanz angehen, ist offen.

Die beiden FDP-Bundesräte Keller-Sutter und Cassis sind beide noch nicht lange im Amt. Sie sind bereit, einen Bundesrat abzuwählen?
Das ist offen – und hängt auch davon ab, wie sich FDP und SVP verhalten. Es genügt mir nicht, wenn sie ihre Mehrheit einzig mit dem Hinweis auf den Status quo verteidigen. Dann wird es krachen. Die Zauberformel hat zum Ziel, dass alle grossen Parteien im Bundesrat vertreten sind. Ein Ungleichgewicht ist nicht gut für die Schweiz. Es lähmt die Institutionen. Es braucht eine Anpassung diesen Dezember oder im Verlaufe der nächsten Legislatur.

Ein FDP-Sitz wird nächstens kaum frei, womöglich aber ­jener von SVP-Bundesrat Ueli Maurer.
Das wäre interessant. Ich bin gespannt, was SVP und FDP zu diesem Szenario sagen.

Jede Partei legt die Zauber­formel nach ihren Interessen aus. Auch Sie! Denn die angemessenste Formel wäre 2-1-1-1-1-1. Zwei Sitze für die SVP und für die fünf nächstgrössten Parteien je einen. So gäbe es nicht nur einen grünen, sondern auch einen grünliberalen Sitz. Und Sie müssten einen Sitz abgeben.
Die GLP erreichte sieben Prozent Wähleranteil. Sie hat keinen Sitz im Ständerat und keinen einzigen Regierungsrat. Die GLP hat null Anspruch auf einen Bundesrat.

Müsste man den Bundesrat auf neun Mitglieder aufstocken?
Ich bin für einen Ausbau auf neun Mitglieder. Tatsächlich gäbe dies mehr Spielraum, um die grossen Parteien angemessen in der Regierung zu integrieren. Und es würde kurzfristig das ­Problem der fehlenden grünen Beteiligung lösen. Für mich sind aber andere Gründe entscheidend: Die Regionen wären besser vertreten und die Bundesräte würden entlastet. Es gibt weltweit kaum ein Land mit nur sieben Ministern, das ist nicht mehr zeitgemäss. Wenn die Wahlen vom letzten Sonntag zu einem Neuner-Bundesrat führen, bin ich froh.

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