Showdown für die Schweiz in Washington
Kann Seco-Chefin Budliger Artieda das Ruder herumreissen?

Helene Budliger Artieda versucht gerade, die Schweiz nach dem Zollhammer aus dem Sumpf zu ziehen. Gleichzeitig soll die Seco-Direktorin in einen Konkurrenzkampf mit der Bundespräsidentin verstrickt sein. Wer ist diese Frau? Und ist sie die Richtige für den Job?
Publiziert: 10:05 Uhr
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Aktualisiert: 11:07 Uhr
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Helene Budliger Artieda ist seit drei Jahren Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco). Derzeit ist sie im Fokus. Sie soll helfen, die Zölle mit den USA herunterzuverhandeln.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Seco-Chefin Helene Budliger Artieda ist diese Woche in die USA gereist
  • Sie hat sich von der Sekretärin zur Staatssekretärin hochgearbeitet
  • Ihre Auskunftsfreude könnte sie nun in Schwierigkeiten gebracht haben
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Rebecca WyssRedaktorin SonntagsBlick

Und plötzlich tritt sie durch die Tür. Helene Budliger Artieda ist eingetroffen, blondes langes Haar, dunkelblaues Kleid, unauffällige Schminke in Herbsttönen, gerade die richtige Menge Goldschmuck. Und am Arm baumelt eine beige Lederhandtasche. Alles an ihr wirkt dezent. Die 60-Jährige geht fast unter im Journalistentross, der sich in den kargen Sitzungsraum gequetscht hat. Doch der erste Eindruck täuscht. Es verschiebt sich etwas, atmosphärisch, als sie zu ihrem Platz schreitet, sich setzt, Laugensandwich, Smartphone und Brillenetui neben sich platziert und das Mäppchen auf dem Tisch öffnet, darin blättert und hörbar seufzt. Sofort ruft sie ihren Presseverantwortlichen zu sich, der beim Eingang steht. Sie ist unzufrieden, in ihren Unterlagen fehlt das Papier, auf dem sie sieht, wann wer spricht.

Helene Budliger Artieda ist seit drei Jahren Staatssekretärin und Direktorin des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), verantwortlich für 700 Vollzeit-Angestellte und ein Budget von 1,14 Milliarden Franken. An diesem Tag hat sie die Medien zum Hintergrundgespräch mit ihr und ihrem Team nach Bern geladen. Dies tut sie regelmässig: vertraulich erklären, was im Seco läuft, und kritische Fragen abholen. Normalerweise tauchen ein paar Wirtschaftsjournalisten auf. Nun sind es über dreissig Medienschaffende, sogar aus Deutschland sind sie angereist.

Budliger Artieda ist eine der derzeit mächtigsten Frauen in Bundesbern. Ihre Aufgabe: die US-Strafzölle senken. Nachdem im April Donald Trump im Garten des Weissen Hauses seine Zolltafeln hochgehalten hatte, flog sie sieben Mal für Verhandlungen in die USA, traf Minister, Wirtschaftsleute. Tat, was sie am besten kann: netzwerken, reden, zuhören. Doch dann hat US-Präsident Donald Trump (78) per 1. August für die Schweiz plötzlich 39 Prozent Zoll verhängt.

Nun stieg sie diese Woche am Dienstag wieder für Gespräche in den Flieger Richtung USA, wie ein Seco-Sprecher gegenüber Blick bestätigt. Bundesrat Guy Parmelin (65) flog in der Nacht auf Freitag nach. Seit Samstag sind beide zurück in der Schweiz. Parmelin redet von «konstruktiven Gesprächen».

Die Frau der Stunde: Helene Budliger Artieda.
Foto: Annick Ramp

Eine Mischung aus Bünzli und Punk

Das Schicksal der Schweiz, unser Wohl – es liegt auch in der Hand dieser Frau. Gleichzeitig steht sie derzeit wegen eines angeblichen Machtkampfs mit Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter (61) im Fokus. Wer ist Helene Budliger Artieda? Wie hat sie es so weit gebracht? Und ist sie die richtige Person, um die Schweiz in der Strafzoll-Sache aus der Misere herauszumanövrieren? Blick hat mit Parlamentariern, Verwaltungsangestellten und Wirtschaftsleuten gesprochen. Es kristallisiert sich ein Bild heraus, das sie selbst einmal so auf den Punkt brachte: eine Mischung aus Bünzli und Punk.

Budliger Artieda arbeitet viel, allein 17 Mal reiste sie 2024 für Missionen ins Ausland. Gleichzeitig ist sie bescheiden. Kaum ein Interview zu ihren Erfolgen, in denen sie nicht auch die Arbeit ihrer Leute, ihres Chefs, Bundesrat Guy Parmelin, oder eines Unterhändlers herausstreicht. Dazu passt ihre Vorliebe für geregelte Verhältnisse, sie kontrolliere ihre Spesenabrechnungen bis ins Detail, um ja keinen Franken zu viel abzurechnen, sagt sie selbst. Andererseits schert sie gerne mal aus, sträubt sich, sich an die Spielregeln zu halten. Bricht bei Verhandlungen Tabus, wie man hört, macht Vorschläge, die bis dahin eine rote Linie waren – und schaut, wie das Gegenüber reagiert.

All das ist nicht selbstverständlich. Helene Budliger Artieda fing ganz woanders an.

Sie wuchs als eine von zwei Töchtern in Dübendorf am Zürcher Stadtrand auf. Schloss die Handelsmittelschule ab, wollte eigentlich Hotelière werden. Doch dann sah sie zufälligerweise eine Zeitungsanzeige: Das Aussendepartement suchte Botschaftsangestellte für das Ausland. Helene Budliger fing in Nigeria als Sekretärin an, servierte dem Schweizer Botschafter Kaffee. Nach weiteren Stationen in den USA und Südamerika studierte sie mit 30 Jahren in Kolumbien noch Betriebswirtschaft und legte den Boden für einen wichtigen Schritt im Jahr 2008: Die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey (80) beförderte sie zur Direktorin für Ressourcen, zur Personalchefin aller Botschafter. Als erste Frau auf dem Posten. Später war sie Botschafterin in Südafrika, zuletzt in Thailand.

Ihre Aufstiegsgeschichte ist exemplarisch für die Schweiz, wo man anders als im Ausland auch ohne Doktortitel sehr weit nach oben kommen kann. Doch der Weg war steinig. Und eine Person spielte dabei eine wichtige Rolle: ihr Mann Alex Artieda de la Sotta (61).

«Ohne ihn wäre das alles gar nicht möglich», sagte sie einmal der «Handelszeitung» («HZ»). Mit ihm lebt sie in Eich LU am Sempachersee. Sie haben sich in den Neunzigerjahren in Peru kennengelernt, beim Gleitschirmfliegen, als Budliger auf der Schweizer Botschaft angestellt war. Artieda arbeitete viele Jahre lang als IT-Spezialist und kümmert sich heute um den Haushalt, macht die Zahlungen, kocht das Abendessen. Und widmet sich ganz und gar seiner Leidenschaft: dem Amateurfunken. Dafür baut er auch Geräte. Die Funkerpassion teile er mit seiner Frau, schreibt er auf seiner Website.

Alex Artieda stützt sie. Das sei für Frauen ganz wichtig, sagte sie der «HZ»: «Er hat immer an mich geglaubt.» Gerade dann, wenn es viele nicht taten.

2018 als Botschafterin in Südafrika: Helene Budliger Artieda mit Gatte Alex Artieda (l.) und Gästen einer Benefizveranstaltung.
Foto: Olivia Pulver

Vom «Betriebsunfall» zum «Glücksfall»

Als der Bundesrat die Quereinsteigerin Budliger Artieda 2022 zur Seco-Chefin wählte, rümpften manche Journalisten und Wirtschaftsvertreter in der Politik die Nase. Es hiess: zu wenig Erfahrung in der Wirtschaft. Mehr noch: ein «Betriebsunfall». Schwierig war das, wie sie der «Hotelrevue» gegenüber durchblicken liess: «Ich war ja überall immer das ‹dark horse›.» Das unbekannte Rennpferd, das niemand auf dem Zettel hat. Unterschätzt.

Johannes Matyassy (68) arbeitete eng mit ihr zusammen, war bis zu seiner Pension 2023 Direktor der konsularischen Direktion und stellvertretender Staatssekretär im Aussendepartement. Matyassy weiss: Diese Aussenseiterrolle hat auch einen Vorteil. Budliger Artieda sei es gewohnt, dass ihr nichts geschenkt werde. Sie habe sich alles selbst erkämpfen müssen. «Deshalb ist Helene so gut.»

Damit steht er nicht allein.

Franz Grüter (62) ist Unternehmer und sitzt für die SVP in der Aussenpolitischen Kommission (APK) des Nationalrats. Er wohnt wie Budliger Artieda in Eich und erlebt sie, wenn sie in der APK Fragen zu Freihandelsabkommen wie Indien oder Mercosur erläutert oder zu den US-Strafzöllen. Er sagt, er habe seit der Kritik damals nie wieder etwas Negatives über sie gehört, eher das Gegenteil. «Die kritischen Stimmen sind verstummt.»

Budliger Artieda hat Grüter überzeugt. Sie habe innenpolitisch ein gutes Gespür, wisse genau, welche Punkte bei einem Freihandelsabkommen politisch heikel seien. Er sagt: «Sie ist ein Glücksfall für das Seco.»

So klingt es auch aus der Wirtschaft. Ihr hat sie sich bewiesen. Stichwort: EU-Deal.

Lange gab es keine Einigkeit zwischen den Arbeitgebern und den Gewerkschaften in Bezug auf den Lohnschutz. Bis Budliger Artieda kam und aufräumte. Sie hörte beide Seiten an, spürte heraus, wo es Gemeinsamkeiten gibt und sich Kompromisse finden lassen. Gleichzeitig war sie laut jemandem, der bei den Gesprächen dabei war, hemdsärmelig, machte Witze im einen Moment und sagte im nächsten den Männern am Tisch knallhart die Meinung. Ihre Art, das sagen alle: sehr direkt und jovial.

Durchsetzungsstark wie Maggie Thatcher

Was man auch rasch zu spüren bekommt: Will Helene Budliger Artieda etwas, lässt sie nicht locker.

Johannes Matyassy hat mit ihr zusammen heikle Konsularfälle gelöst, als sie in Thailand Botschafterin war. Ein Fall sticht heraus: Ein junger Schweizer kam wegen Drogenvorwürfen ins Gefängnis. Budliger Artieda und er hätten das Dossier gelesen und sofort gemerkt: Der Junge war hereingelegt worden. In der Folge habe sie sich «bis zum Gehtnichtmehr» für diesen eingesetzt. Sie habe alle Register gezogen, bis in die höchsten Regierungskreise hinauf. Matyassy sagt: «Das ging weit über ‹Dienst nach Vorschrift› hinaus.»

Der Schweizer kam frei. Beim EU-Deal schaffte sie die Einigung der beiden zerstrittenen Parteien. Und das Freihandelsabkommen mit Indien gäbe es ohne sie nicht. Ihr Erfolgsprinzip: einfach mal probieren und schauen, wie weit man kommt.

Was dabei hilft, so Matyassy: «Sie kann die Ellbogen ausfahren, wenn nötig.» SVP-Nationalrat Grüter erinnert sie an die ehemalige britische Premierministerin Maggie Thatcher – die «Iron Lady». «Auch Budliger hat immer ein Handtäschchen dabei.»

Und eine vergleichbare Präsenz.

Bei Auftritten oder Sitzungen zusammen mit Guy Parmelin spüre man manchmal nicht, dass er der Chef ist, heisst es aus der Verwaltung. Sie reisse den Lead an sich. Ähnlich auf einem Podium der UBS zum Thema Strafzölle im April. Die Moderatorin setzte zu einer Zwischenfrage an und scheiterte. Helene Budliger Artieda hob den Finger und übertönte sie einfach: «Moment! Lassen Sie mich fertig machen.» Sie setzt sich durch, ohne Wut, allein mit der Stärke ihrer Stimme, mit deren Wucht.

Doch das hat auch eine Schattenseite.

Helene Budliger Artieda spricht gerne, spricht mit Substanz, spricht oft aber ungebremst, wie ein Zug, der – einmal in Fahrt – nicht zu stoppen ist. Und ungefiltert: Sie redet mit allen über viel – unter Medienschaffenden ein offenes Geheimnis. Ende Juni sagte sie den Medien freimütig, dass man sich «auf den letzten Metern» der Unterzeichnung mit der Trump-Regierung befinde. Die Auskunftsfreude macht sie sympathisch, weil nahbar. Andererseits macht es angreifbar. Vor allem eine Frau mit ihrem Posten.

Sie weiss, wie man mit den US-Amerikanern dealt.
Foto: Annick Ramp

Nach Leaks hagelt es Kritik

Vielleicht ist das der Grund, weshalb sie nun unter Druck geraten ist. Wohl deshalb gibt sie derzeit auch keine Interviews mehr.

Jüngst hat die «NZZ am Sonntag» ihre Nähe zum Ex-Botschafter und Lobbyisten Thomas Borer (68) publik gemacht. Beide arbeiteten in den Achtzigerjahren in der Schweizer Botschaft in Nigeria. Bis heute sollen sie in regelmässigem Kontakt stehen, schreibt die Zeitung. Der Seco-Sprecher hat den Kontakt bestätigt.

Als Anfang August der Zollschock die Schweiz erfasste, fiel Borer mit Statements in den Medien auf. Er plauderte Dinge aus, die er nur aus dem inneren Zirkel haben kann. Brisante Dinge wie die Zugeständnisse, die der Bundesrat Trump für einen besseren Deal anbieten wolle – etwa Milliardeninvestitionen der Pharma sowie Rindfleisch-, Flüssiggas- und Waffenimporte aus den USA. Der Bundesrat sagt bis heute kein Wort dazu.

Ähnliches kurz nach dem missglückten Telefonat von Bundespräsidentin Keller-Sutter mit Trump. Budliger Artieda hatte anlässlich des Gesprächs ein SMS aus Washington bekommen: Keller-Sutter solle das Telefonat sofort beenden. Auch das landete in der Zeitung.

Die Story hat mittlerweile weitergedreht. Von einem «Machtkampf» zwischen der Bundespräsidentin und der Seco-Chefin ist die Rede.

Der ehemalige Konsulardirektor Johannes Matyassy sagt, er kenne beide Frauen. Er glaubt, der Kampf ist medial konstruiert. «Ich nehme Helene Budliger Artieda als sehr loyal wahr.»

Und was sagt sie selbst dazu?

Auf Anfrage schreibt das Seco: Budliger Artieda sei «eine vom Bundesrat gewählte Angestellte des Bundes und hält sich ans Amtsgeheimnis». Die Zusammenarbeit zwischen Keller-Sutters Finanzdepartement sowie dem Seco und deren Spitzen funktioniere «sehr gut». «Anonyme Vorwürfe und haltlose Unterstellungen» kommentiere man nicht.

Helene Budliger Artieda ist nun wieder in die USA gereist. Das Vertrauen in sie scheint ungebrochen. Viele sind sich einig: Sie und ihr Team haben bis zum Zollhammer im August gut verhandelt. Und: Wenn jemand mit den Amerikanern dealen kann, dann diese Frau.


 

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