Psychiater warnen
SBB-Durchsage könnte Suizidrate erhöhen

Zehn Jahre verzichteten die SBB auf offene Kommunikation zu Schienensuiziden. Jetzt verwenden sie den Begriff «Personenunfall» wieder. Das sorgt für Kritik – und löst Besorgnis aus.
Publiziert: 13:30 Uhr
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Aktualisiert: 16:56 Uhr
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Die SBB verzichteten auf den Begriff «Personenunfall», um Nachahmungstäter zu verhindern.
Foto: Keystone

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Andrea M. Haefely
Beobachter

Ertönt im Zug die Durchsage «Verzögerungen wegen eines Personenunfalls», weiss jeder Fahrgast: Vermutlich ist jemand vor den Zug gesprungen.

Das passiert erschreckend häufig. Durchschnittlich jeden zweiten bis dritten Tag nimmt sich jemand mithilfe eines Zugs das Leben – oder versucht es zumindest. Das zeigen die Zahlen des Bundesamts für Verkehr.

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Gegen Nachahmungstaten

2013 implementierten die SBB deshalb ein Präventionsprogramm. Eine der Massnahmen: Die Bundesbahnen verzichteten ab 2014 in ihren Durchsagen auf den Begriff «Personenunfall», ausser in den direkt betroffenen Bahnhöfen und Zügen. Damit wollte man dem sogenannten Werther-Effekt entgegenwirken.

Der Begriff geht auf eine «Suizidwelle» zurück, die nach der Veröffentlichung von Goethes Roman «Die Leiden des jungen Werthers» im Jahr 1774 auftrat. Darin begeht ein junger Mann wegen unerfüllter Liebe Suizid, viele taten es ihm nach der Lektüre des Romans angeblich gleich.

Heute verwenden die Sozialpsychologie und die Medienwirkungsforschung den Begriff. Er besagt, dass Suizide zunehmen, wenn gross darüber berichtet wird.

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Diese Stellen sind rund um die Uhr für Menschen in Krisen und für ihr Umfeld da:

Adressen für Menschen, die jemanden durch Suizid verloren haben

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Es funktionierte – doch dann die Kehrtwende

Die Massnahmen der SBB wirkten. Bis 2023 sank die Zahl der Schienensuizide deutlich. Das zeigt eine aktuelle Studie vom Frühling 2025. «Wir führen diesen Rückgang vor allem auf das Suizidpräventionsprogramm der SBB und die veränderte Kommunikationsstrategie zurück», sagt Studienautor Urs Hepp.

Trotzdem sind die SBB zur alten Praxis zurückgekehrt. Seit Mitte Jahr verwenden sie in den Durchsagen wieder «Personenunfall».

Mitarbeitende hätten wegen der mangelnden Kommunikation vermehrt Aggressionen erlebt. «Und auch den Begriff ‹Fremdereignis›, den wir deshalb 2024 eingeführt hatten, verstanden die Reisenden nicht», sagt SBB-Sprecher Reto Schärli auf Anfrage. Der Wechsel von «Fremdereignis» zu «Personenunfall» habe sich hingegen bislang bewährt.

Rückschritt in der Suizidprävention

Die Schweizerische Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP) zeigt sich besorgt, dass die SBB zu ihrer früheren Praxis zurückkehren. «Sie stellt einen klaren und aus fachlicher Sicht nicht nachvollziehbaren Rückschritt in der Suizidprävention dar», schreibt sie in einem offenen Brief an das Unternehmen.

Man rechne damit, dass die Suizide im Schienenverkehr wieder zunehmen. Die SGPP empfehle daher dringend, den Entscheid zu revidieren und in solchen Unglücksfällen erneut auf sachlichere und weniger verdeutlichende Wortwahl zu setzen.

Derzeit laufen diesbezüglich Gespräche zwischen der SGPP und den SBB, ein Ergebnis steht noch aus.

Quellen
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