Darum gehts
- Der Bundesrat plant die Übernahme des elektronischen Patientendossiers als Gesundheitsdossier in fünf Jahren
- Die Westschweizer Kantone kritisieren die Kommunikation und wollen das EPD weiterführen
- Die Cara-Kantone investierten in den letzten sieben Jahren 35 Millionen Franken
Das elektronische Patientendossier (EPD) ist ein Auslaufmodell. So sieht es jedenfalls der Bundesrat – und will beim einstigen Prestigeprojekt bald die Zügel selbst in die Hand nehmen. In fünf Jahren soll es als elektronisches Gesundheitsdossier (EGD) wiedergeboren werden.
Auch die Kantone, die bisher die digitalen Krankenakten pflegen, begrüssen den Entscheid. Trotzdem fühlen sie sich durch die Ankündigung aus Bern gehörig vor den Kopf gestossen. Der Grund: ungelenke Aussagen von Gesundheitsministerin Elisabeth Baume-Schneider (61, SP).
Grosse Hoffnungen, viele Probleme
In das E-Dossier steckte der Bund lange grosse Hoffnung, denn er hatte es ja selbst initiiert: Das Fundament legte der ehemalige Gesundheitsminister Pascal Couchepin (83, FDP). Auch für seine beiden Nachfolger Didier Burkhalter (65, FDP) und Alain Berset (53, SP) galt es als Aushängeschild für ein modernes und effizienteres Gesundheitssystem.
Statt der digitalen Revolution folgte eine Schotterpiste: Die Entwicklung des E-Dossiers zeigte sich komplizierter als gedacht. Mit grosser Verzögerung konnten sich 2021 endlich die ersten Patientinnen und Patienten registrieren. Seither taten dies nur wenige Tausend – ein ernüchternder Wert.
Anfang November präsentierte Baume-Schneider die flächendeckende Nachfolgelösung – und fiel mit einer Bemerkung auf: Bis zur Bundeslösung sollen besser keine weiteren Dossiers mehr eröffnet werden. Man werde das «mühsame» Produkt EPD auch nicht weiter bewerben. Das sorgt für Zoff: Besonders in der Westschweiz ist man nicht erfreut, dass der Bund das EPD nur noch auf Sparflamme halten möchte.
Die Westschweizer sind wütend
«Wir waren bestürzt über die Art und Weise, wie diese Information kommuniziert wurde», sagt der Freiburger Staatsrat Philippe Demierre (57, Mitte) zu Blick. Der Regierungsrat ist gleichzeitig auch oberster Gesundheitsdirektor der Westschweiz – und präsidiert die EPD-Stammgemeinschaft Cara, die von den Kantonen Genf, Wallis, Waadt und Jura getragen wird.
Während sich die nationale Gesundheitsdirektorenkonferenz zurückhält, lassen die Cara-Kantone ihre Wut sprudeln: Mit der Ankündigung des Bundes würde das aktuelle System «diskreditiert», halten sie in einer Stellungnahme fest.
Von einem EPD-Stopp wollen die fünf Kantone nichts wissen: Über ihre Stammgemeinschaft Cara sollen sich auch zukünftig neue Patientinnen und Patienten registrieren können – «im Gegensatz zu dem, was der Bund behauptet». Ab nächstem Jahr solle dies sogar schweizweit möglich sein.
Die Kantone sehen das EPD weiterhin zukunftsfähig
Auch Präsident Demierre stellt klar: «Wir erwarten, dass der Bund seine Aussagen korrigiert. Es ist nicht möglich, bis zum EGD im Jahr 2030 alles auf Eis zu legen.» Der angestaute Frust lässt sich einfach erklären: Besonders die Westschweizer Kantone haben viel Geld in das E-Dossier investiert – mit bescheidenem Resultat. Allein die Cara-Kantone hätten in den letzten sieben Jahren 35 Millionen Franken aufgewendet, so Demierre.
Die Kantone wehren sich jedoch gegen den Vorwurf eines Millionen-Grabes. «Die bisherigen Investitionen sind nicht verloren», teilt die Gesundheitsdirektorenkonferenz Blick mit.
«Es ist falsch, zu sagen, es gebe keine nennenswerten Ergebnisse», sagt auch Demierre. Das EPD habe in zahlreichen Fällen dazu geführt, dass unnötige Eingriffe verhindert werden konnten oder Krankenhausaufenthalte verkürzt wurden. «Die Auswirkungen auf die Gesundheitskosten sind unbestreitbar», so der Cara-Präsident.
Der Bund will beruhigen
Beim Bund sieht man derweil ein Missverständnis: «Die freiwillige Eröffnung eines EPD ist weiterhin jederzeit möglich», teilt das Bundesamt für Gesundheit (BAG) mit. Bis das neue Bundesgesetz zum elektronischen Gesundheitsdossier in Kraft tritt, würden die bisherigen Regelungen gelten.
Weshalb Bundesrätin Baume-Schneider vor den Medien dennoch scharf gegen die Kantone schoss, will das BAG nicht beantworten. Eine Vermutung: Der Bund wird sich voraussichtlich auch in den nächsten fünf Jahren am EPD beteiligen. Für jedes eröffnete Dossier zahlt er 30 Franken – je mehr es sind, desto stärker wird der Bundeshaushalt belastet.
Von schlechter Kommunikation will das BAG aber nichts wissen: Man stehe in engem Austausch mit den Kantonen, teilt es mit. Sowieso hätten besonders die Kantone ja gefordert, das System zu zentralisieren. «Wir sind zufrieden, dass der Bundesrat heute unseren Forderungen folgt und seine Verantwortung übernimmt», sagt auch Demierre. Dennoch: In der digitalen Krankenakte scheinen weiterhin einige Stolpersteine zu stecken.