Hans Rudolf Hösli steht vor seinem Haus und deutet lächelnd auf ein Birnbaumspalier, das schon pralle Früchte trägt. «Ein kleines Zeichen der Hoffnung», sagt er und blickt auf das schlammverspritzte Gebäude, das bis am 12. August 2024 sein Daheim war.
An jenem Augustabend entlud sich ein äusserst heftiges Gewitter über Brienz. Der Milibach schwoll an und riss tonnenweise Geröll und Schlamm mit sich. Gegen 18.30 Uhr trat er über die Ufer und schlug eine Schneise der Verwüstung durch den Ortsteil Aenderdorf.
«Meine Frau und ich waren zu dieser Zeit zu Hause», erinnert sich Hösli. Alles sei sehr schnell gegangen, Zeit zur Flucht blieb den beiden nicht. Und so mussten sie im Gebäude ausharren, während die dreckig-braunen Fluten bedrohlich höher stiegen.
Nach etwa einer halben Stunde sei es dann möglich geworden, auf der bachabgewandten Seite aus dem Haus zu kommen. Bei einem Nebengebäude auf dem Grundstück habe die Feuerwehr sie dann bemerkt und in Sicherheit bringen können, berichtet Hösli.
«Die heimelige Stube von früher gibts nicht mehr»
Seit jenem Abend ist das beschädigte Haus nicht mehr bewohnbar. Das Paar kam zunächst bei Freunden unter, dann für vier Monate in einer Ferienwohnung. Schliesslich konnten die beiden in eine Liegenschaft der Gemeinde umziehen.
Das Walliser Dorf Blatten wurde verschüttet. Auch in anderen Gemeinden in den Alpen spitzt sich die Situation zu. Weiterbauen, umsiedeln oder aufgeben – was denkst du? Mach jetzt mit bei unserer Umfrage und sag uns, wie du zur Zukunft der Bergregionen stehst! >>> Jetzt mitmachen <<<
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Hans Rudolf Hösli gehört zu jenen Unwetterbetroffenen, für die sich mittlerweile eine neue Perspektive abzeichnet. Dort, wo sich heute ein Nebengebäude auf seinem Grundstück befindet, kann der Pensionär und ehemalige Leiter der Brienzer Geigenbauschule einen Neubau planen. Er will dieses Projekt mit einem seiner Söhne gemeinsam angehen. Und er hofft, dereinst auch sein altes Daheim wieder instand setzen zu können.
In Höslis Nachbarschaft konnten bereits verschiedene Häuser repariert werden. Er sei erst vor zwei Wochen wieder eingezogen, sagt ein älterer Mann vor einem der Häuser im Aenderdorf.
Es sei schön gewesen, wieder heimzukommen. «Aber eben: Die alte, heimelige Stube von früher, die gibt es nicht mehr», sagt er nachdenklich. Finanziell werde die Sache für ihn wohl gerade so aufgehen. Die Versicherung habe gezahlt und sich auch kulant gezeigt.
Auch Hösli lobt die Hilfe, die er nach dem Unwetter erfahren hat, sei es von Seiten der Behörden, der Versicherungen oder von Freiwilligen und Freunden.
Die Zukunft des Milibachs
Nicht alle Betroffenen am Milibach haben wie Höslis bereits eine Perspektive. Manche müssen aufgrund der Lage ihrer Häuser weiter mit der Ungewissheit leben, ob sie je wieder aufbauen können oder endgültig umsiedeln müssen.
Nach dem Unwetter hat die Gemeinde umgehend eine zwei Jahre gültige Planungszone für das Gebiet erlassen, um den Raum für Wasserbaumassnahmen und die Umsetzung der Gefahrenkarte zu sichern. In dieser Zone dürfen keine Vorhaben realisiert werden, die diese Planung infrage stellen könnten.
Die Schwellenkorporation liess das Unwetterereignis analysieren und entwickelte darauf basierend zusammen mit Fachleuten Ideen für die Zukunft des Milibachs.
Konkret soll nun der Unterlauf des Bachs nach Westen in weniger bebautes Gebiet verlegt werden. Ein Millionenvorhaben, das wohl gut und gerne zehn Jahre in Anspruch nehmen dürfte.
Aktuell wird das entsprechende Vorprojekt erarbeitet, wie Andrea Andreoli, Präsident der Schwellenkorporation Brienz, der Nachrichtenagentur Keystone-SDA bei einem Lokaltermin sagt.
Erst wenn das Vorprojekt im kommenden Sommer/Herbst vorliegt, werde man klarer sagen können, wer wieder aufbauen könne und wer nicht, führt Andreoli aus.
Offene Fragen bei der Planung
Die Gemeinde Brienz hat den verbleibenden Betroffenen anerboten, das Land zu kaufen, um Umsiedlungen zu ermöglichen. Es gebe Interesse an dem Angebot, erklärt Gemeinderatspräsident Bernhard Fuchs. Ob und wie es letztlich genutzt werde, sei aber noch offen. Über Baulandreserven verfügt die Gemeinde gemäss Fuchs aber nicht.
Für das neue Bachbett wurde planerisch bereits ein 50 Meter breiter Korridor ausgeschieden. Wie viel Land es am Ende braucht, bleibt abzuwarten.
Angepasst werden müsste auch der erst 2017 erstellte Geschiebesammler. Eine weitere Frage ist, wie das Gebiet strassenmässig erschlossen werden soll, wie Fuchs weiter erläutert. Ein sensibles Thema ist auch der Friedhof, von dem ein Teil tangiert würde.
Das Walliser Dorf Blatten wurde Ende Mai vom Berg verschluckt – und steht für eine grosse Frage: Was tun mit gefährdeten Gemeinden in den Alpen? Blick und das Forschungsinstitut Sotomo möchten von dir wissen, was du über die Bedrohung durch Naturgefahren, den Klimawandel und über die Zukunft unserer Bergregionen denkst. Hier gehts zur Umfrage.