Mit Albert Rösti im Zug nach London
«In Paris war ich froh um meine Mitarbeiterin»

Der Verkehrsminister unterzeichnete in London eine Absichtserklärung für einen Direktzug zwischen Grossbritannien und der Schweiz. Er fuhr gleich selbst mit der Bahn dorthin. Die Reise wurde in Zeiten des Dealmakings zur politischen Pilgerfahrt.
Publiziert: 09:17 Uhr
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In Paris steigt der Bundesrat in den Zug nach London.
Foto: zVg
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Für ein paar Stunden hat Uvek-Vorsteher Albert Rösti (57), der Bundesrat mit dem Monsterdepartement, Pause. Pause von all den Interessenvertretern, die ihn sonst behelligen: die Klimaschützer, die Autobranche, die Wolfsfreunde, die Autogegner, die ÖV-Lobby, die Kantone und Städte, die AKW-Gegner, die Biologen und die Strassenbauer und die Alpenschützer und Aviatiker und Pöstler und Strahlengegner und Jäger und Verleger.

Es ist Donnerstagmorgen, der Verkehrsminister sitzt im TGV von Basel in die französische Hauptstadt. Dort wird er den Eurostar-Zug nach London besteigen und im Vereinigten Königreich zusammen mit seiner britischen Amtskollegin Heidi Alexander (50) eine Absichtserklärung für eine direkte Bahnverbindung zwischen den beiden Ländern unterzeichnen. In Genf oder Basel einsteigen, nach fünf Stunden im Londoner Bahnhof St. Pancras aussteigen: Das soll bald Realität sein. «Ich wäre schon recht happy, wenn wir eine Linie irgendwann Anfang der 30er-Jahre einweihen könnten», sagt Rösti. Wichtig sei, dass dies «ein rentabler Fall» sein.

Für die Eidgenossenschaft mag die Angelegenheit nicht das dringlichste Dossier sein, angesichts des aktuellen Weltgeschehens befinden wir uns auf einem Nebengleise. Doch hat der Akt in diesen Tagen einen gewissen Symbolwert: In der Amtszeit von US-Präsident Donald Trump (78) rückt der Rest der Welt näher aneinander, die Zeichen in Europa stehen auf Vernetzung. Da ist Grossbritannien als abtrünniges EU-Mitglied, wo Europakritiker Nigel Farage (61) mit seiner UK Independence Party soeben die Kommunalwahlen gewonnen hat, ein Sehnsuchtsort für bürgerliche Schweizer Politiker.

Zwei Millionen Flüge pro Jahr

«Mit diesem Land haben wir am meisten Flugverbindungen in Europa», betont Rösti, «zwei Millionen Mal pro Jahr fliegen die Leute von Genf oder Zürich nach London.» Schliesslich sei die Metropole nicht nur ein Tourismusstandort, «sondern auch ein Wirtschafts- und Forschungsstandort, ein wichtiger Handelspartner für die Schweiz. Gerade im Handelskrieg muss man sicherstellen, dass man mit allen Partnern gute Beziehungen hat.» Da gehöre die Mobilität dazu. Und soeben hat der britische Premier Keir Starmer (62) soeben als erster Staatsvertreter einen Deal mit Washington abgeschlossen. Was spricht da gegen eine weitere Annäherung an Switzerland?

Der Ärmelkanal ist hierbei längst kein Hindernis mehr. 1066 kam Wilhelm der Eroberer. 2025 kommt Albert Rösti – und dies mit allerbesten Absichten. In einer kleinen, hoch spezialisierten und vernetzten Nation wie der Schweiz sind Direktzüge die Nervenverbindung in die weite Welt. Paris, Wien, Mailand, Venedig, Hamburg und Berlin. Und wohl bald London – wirkliche Vertrautheit verspüren die Schweizer nur zu jenen Orten, die sie auf Schienen erreichen. Schliesslich ist Zugfahren Teil der helvetischen DNA. Von einem südamerikanischen Politiker stammt ein kluger Satz, der geradezu auf die Schweiz zugeschnitten scheint: «Ein entwickeltes Land ist kein Ort, wo die Armen Autos haben. Es ist ein Ort, wo die Reichen öffentliche Verkehrsmittel benutzen.»

So fahren wir mit Albert Rösti durch den 50 Kilometer langen Eurotunnel. Der Magistrat ist in der Landesregierung so etwas wie die Lokomotive, zusammen mit seiner freisinnigen Kollegin Karin Keller-Sutter (61). Und vielleicht nimmt der Berner Oberländer auch deswegen die Medien mit, weil er sich mit dem Projekt einer Zugverbindung vielleicht bei jenen Applaus erhält, die ihn sonst kritisieren – Rösti, der Erdölvertreter. Rösti, der Autolobbyist. Rösti, der AKW-Befürworter.

Dass er aufgrund seiner Parteizugehörigkeit die Reise zum Nicht-EU-Mitglied besonders feiert, streitet er ab: «Ich würde das als Bundesrat nicht gegeneinander ausspielen. Grossbritannien ist ein wichtiger Wirtschaftsraum, den wir pflegen müssen – genauso wie die EU, mit der man jetzt einen Vertrag ratifiziert. Da stellt sich nicht die Entweder-oder-Frage. Die Schweiz ist gut gefahren, mit allen Handelspartnern gute Beziehungen zu pflegen. Darum ist Herr Cassis nach China und Japan gereist, während die Bundespräsidentin nach Amerika ging – und ich gehe jetzt nach London.»

Ein positives Fazit

Und weshalb nimmt Rösti die Bahn für eine Unterschrift in England? «Ich wollte selber wissen, wie viel Zeit es braucht, was für einen Aufwand es braucht.» Sein Fazit sei «positiv»: «Die Botschaft hat uns in Paris noch eine Begleitung organisiert. Das war speziell und natürlich zuvorkommend, aber das hat ja der Durchschnittspassagier nicht. Und in Paris war ich beim Bahnhofswechsel froh um meine Mitarbeiterin, die genau wusste, welche Metro wir nehmen müssen. Spätestens in dem Moment hätte ich mir wahrscheinlich gesagt: Nächstes Mal nehmen wir wieder den Flieger.»

Er sei aber persönlich ein begeisterter Bahnbenutzer. Ihn fasziniere das Bahnfahren seit jeher. «Ich nahm schon den Zug, um von Kandersteg nach Frutigen in die Sekundarschule zu kommen. Später ins Gymnasium und dann zur ETH Zürich.» Auch der technische Fortschritt würde ihn beeindrucken.

Der Handshake mit Ministerin Heidi Alexander folgt, kurz nachdem Albert Rösti am Bahnhof London St. Pancras angekommen ist. Der Termin sei gut verlaufen, betont er danach. Das Interesse an einer Direktverbindung sei gegenseitig vorhanden.

Es ist ihm anzusehen: Das ist einer der angenehmeren Tage. Fernab vom Bundeshaus, wo er sich bald wieder in den Energie-, Verkehrs- und Mediendossiers mit seinen Gegnern herumschlagen muss.

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