Darum gehts
- Anarchisten in Bremgarten AG kämpfen um ihr Kulturzentrum
- Hausbesetzerszene bröckelt, obwohl Wohnpolitik in der Schweiz wieder wichtiger wird
- Parlament verschärft Gesetz: Hauseigentümer können Besetzer leichter vertreiben
In Bremgarten AG stecken Anarchistinnen und Antikapitalisten in einem Dilemma. Das autonome Kulturzentrum, kurz Kuzeb, überlebt in der Kleinstadt bereits seit mehr als dreissig Jahren. Nun bangt es um seine Existenz. Denn der mittlerweile 90-jährige Eigentümer will die Liegenschaft, die das Kollektiv teilweise mietet und teilweise besetzt, noch vor seinem Tod verkaufen. Kostenpunkt: vier Millionen Franken.
Entweder müssen die Aktivistinnen und Aktivisten gehen – oder sie werden zu dem, was sie eigentlich ablehnen: zu Hauseigentümern! Die Übernahme der ehemaligen Kleiderfabrik steht gegen alles, dem sich die Aktivistinnen und Aktivisten verschrieben haben: kein Staat, kein Geld, kein Eigentum. Das Aargauer Kulturhaus steht beispielhaft dafür, dass die Szene der Hausbesetzer langsam auseinanderbröckelt.
Überleben dank Grossspende
Dank eines Crowdfundings und einer privaten Grossspende über 3,25 Millionen Franken scheint das Kuzeb überleben zu können. Zumindest haben die Verantwortlichen den Kaufvertrag bereits unterzeichnet.
Die Hausbesetzerszene verliert ausgerechnet jetzt an Kraft, wo die Wohnpolitik in der Schweiz wieder stärker in den Fokus rückt. Der Wohnraum wird knapp, gebaut wird nur stockend, und die Mietpreise sind hoch. Das Tauziehen um Immobilien hat sich jedoch vorwiegend in die Politik verlagert. Der Kampf findet höchstens noch an der Urne statt.
Gleich in mehreren Schweizer Städten befinden sich Hausbesetzerinnen und Hausbesetzer deshalb aktuell am Scheideweg. So etwa auch in Winterthur: Dort gilt das besetzte Kulturhaus Gisi quasi als Wahrzeichen der Szene. Nun droht das Aus – auch weil sich die Gruppierung längst wieder dem Markt unterworfen hat, dem sie eigentlich entfliehen wollte.
In Winterthur ist ein Urgestein unter Druck
Das Haus an der Winterthurer General-Guisan-Strasse ist eines der zahlreichen Gebäude, die der mittlerweile verstorbene Immobilien- und Kunstsammler Bruno Stefanini (1924-2018) zu Lebzeiten zusammenkaufte und verlottern liess. Viele seiner Liegenschaften wurden folglich besetzt – oder sind es weiterhin.
Das Gisi gehört zu den Urgesteinen: Bereits seit 1997 ist es in den Händen der Antikapitalisten. Nur zwei Jahre später entstand für das Untergeschoss jedoch ein Mietvertrag zwischen ihnen und Stefaninis Stiftung für Kunst, Kultur und Geschichte. Der Keller wurde fortan zum regulären Kulturlokal – während der Rest des Hauses besetzt blieb.
In den Fällen des Kuzeb und Gisi zeigt sich: Oftmals sind die Eigentümerinnen und Eigentümer bereit, den Wohnraum zu legalisieren – und die Aktivistinnen und Aktivisten genauso.
Die goldenen Zeiten sind vorbei
Damit bröckelt nicht nur ein Teil des politischen Statements. Der Eintritt in den rechtskonformen Mietermarkt hat seine eigenen Folgen. Denn nun hat Stefaninis Stiftung den Vertrag mit dem Gisi gekündigt. Sie will das Gebäude sanieren. Damit bringt die Stiftung die Szene in eine Zwickmühle: Für den Keller darf sie in die Mietschlichtung, der Rest des Hauses bleibt jedoch Räumungsgrund.
Hat man die Kraft, sich nochmals zu wehren? Die goldenen Zeiten der Hausbesetzer sind längst vorbei. Die aus den Jugendunruhen von 1968 entstammenden Protestbewegung florierte besonders in den 20 Jahren vor der Jahrtausendwende. Grossbesetzungen und Krawalle beschäftigten Polizei und Medien gleichermassen – insbesondere in Zürich.
Bundesbern greift härter durch
Heute ist nicht mehr viel davon übrig – die Szene zeigt sich gegen aussen eher verschwiegen als laut. In der Limmatstadt kommt es zwar weiterhin jährlich zu rund zwei Dutzend Besetzungen – die meisten werden jedoch innert Jahresfrist durch die Behörden aufgelöst. Und auch das mit viel Aufmerksamkeit behaftete Kochareal ist längst geräumt. Bis 2026 entstehen darauf 300 Genossenschaftswohnungen.
In Bern will man den Druck dennoch erhöhen: Sowohl der Bundesrat als auch das Parlament sehen die Hausbesetzungen weiterhin als grosses Problem an. Entgegen den Interessen der Städte entschied das Parlament im Juli, das Gesetz weiter zu verschärfen. Hauseigentümerinnen und Hauseigentümer sollen Besetzer künftig noch leichter von ihrem Grundstück vertreiben können. Die Antikapitalistinnen und Anarchisten geraten damit weiter in Bedrängnis.