Darum gehts
- Personalmangel auf Alpen: Wolf vertreibt Hirten, Landschaft verwildert
- Bundesrat bewusst: Mehr Geld für Herdenschutz und Forschungsprojekt
- Bis zu 200 Franken pro Tag verdient erfahrener Senn
Giusep Venzin (56) geht jährlich mit 900 Schafen auf die Alp Gannaretsch. Doch in der idyllischen Landschaft wird es für die Bauern immer schwieriger, Älpler zu finden. «Schweizer Hirten finde ich schon gar nicht mehr.» Stattdessen helfen ihm Leute aus Frankreich, Österreich oder Deutschland. «Aber auch das wird jedes Jahr schwieriger.»
Auf der Alp sei man praktisch 24 Stunden gefordert – körperlich und mental. «Wenn es regnet und kalt ist, kann man nicht einfach eine halbe Stunde in die Hütte.» Venzin macht den Wolf als Grund für den Personalmangel aus. «Es braucht einen riesigen Aufwand, um unsere Tiere zu schützen. Die Alpen werden nicht mehr richtig abgeweidet, darunter leidet die Biodiversität. Wir können nicht überall Zäune aufstellen.»
Bis zu 200 Franken pro Tag verdient ein Senn mit viel Erfahrung. «Wir müssen die Hirten wie Familienmitglieder behandeln, um genügend Leute zu finden», sagt Venzin.
«Es ist harte Arbeit»
Auch Christa Buchli (50) kennt das Problem des Personalmangels auf der Alp. Sie ist Präsidentin des Bündner Älplerinnenvereins. Seit 13 Jahren geht sie mit ihren Tieren von Ende Mai bis in den September ins Safiental auf die Alp. «Viele glauben, das Leben auf der Alp sei romantisch und entspannend. Aber es ist harte Arbeit.» Wer Kühe hütet, müsse frühmorgens aufstehen, um zu melken. Wer Schafe oder Jungvieh hütet, ist stundenlang und bei jedem Wetter unterwegs.
Für Buchli ist klar: Es müssten mehr Wölfe reguliert werden. «Sonst finden wir irgendwann gar keine Hirten mehr. Der Wolf vertreibt uns von den Alpen.» Das hätte sichtbare Folgen, warnt sie. «Fehlen die Älpler, verwildert die Landschaft.» Auch die Tiere würden leiden. «Für Kühe und Schafe ist es sehr wichtig, auf die Alp zu können. Sie sind danach gesünder und robuster.»
«Der Wolf ist nicht schuld»
Der Bundesrat sei sich der kritischen Lage bewusst, schreibt das Wirtschaftsdepartement von Guy Parmelin (66). Er verweist auf ein mitfinanziertes Forschungsprojekt. Zudem hat der Bund mehr Geld für den Herdenschutz gesprochen. «Damit können die Alpbetriebe die Personalkosten besser decken oder Hilfspersonal einstellen.»
Mitte-Nationalrat Martin Candinas (45) genügt das nicht. Zwar begrüsst er die Herdenschutzmassnahmen. «Aber es darf nicht immer mehr Wölfe geben. Wir müssen dieses Wachstum rasch stoppen und mehr Abschüsse erlauben.» Dann würden sich auch mehr Leute finden lassen, ist er überzeugt. «Wir sind uns in den Bergen hartes Arbeiten gewohnt.»
Doch genügt es wirklich, mehr Wölfe zu schiessen? David Gerke (40) ist der oberste Wolfsschützer. Er war selbst zehn Jahre lang auf der Alp. «2006 gab es viel weniger Wölfe, doch schon damals fehlte das Personal. Der Wolf ist also nicht schuld.»
Natürlich müsse man die Schafe wegen des Wolfs besser schützen. «Aber ein grosser Teil der Alpfläche wird von Kühen genutzt. Die müssen keine Angst vor dem Wolf haben.» Der Bund habe zudem bereits viel investiert, etwa in die Hirten-Ausbildung.