Darum gehts
- FDP-Frauen-Präsidentin Bettina Balmer spricht über bürgerliche Frauenpolitik
- Balmer betont die Wichtigkeit von Gleichberechtigung und Vielfalt in der Politik
- 50 % der Bevölkerung profitieren von der Individualbesteuerung, 14 % verlieren dadurch
Nationalrätin Bettina Balmer (59) ist Präsidentin der FDP-Frauen Schweiz. Die Kinderchirurgin arbeitet im Notfall des Kinderspitals Zürich und ist Mutter von drei erwachsenen Kindern. Im Interview mit Blick spricht die Zürcherin über bürgerliche Frauenpolitik.
Frau Balmer, sind Sie Feministin?
Bettina Balmer: Eigentlich ja.
… eigentlich?
Weil ich es wichtig finde, dass Gerechtigkeit unabhängig vom Geschlecht stattfindet. Wir von den FDP-Frauen haben nachgeschlagen, was die Definition von «Feministin» ist: Im Grunde erfüllen wir die Kriterien dieser Definition – auch wenn das Wort gemeinhin eher mit linken Politikerinnen assoziiert wird.
Sie sind Präsidentin der FDP-Frauen Schweiz. Warum braucht es heutzutage noch Frauenparteien?
Einerseits darf es die Gleichung «Frau gleich links» nicht geben. Das hat sich so eingeschlichen, weil man auf der bürgerlichen Seite den Eindruck hatte, man sei heute bereits gleichberechtigt. Aber es gibt noch Bereiche, bei denen es nicht ganz zutrifft. Als Ärztin ist mir Gender Health zum Beispiel ein Anliegen. Ein anderer Bereich ist die Lohnungleichheit. Oder das Thema Altersarmut. Dies würde ich gerne adressieren und auf eine freisinnig-liberale Art verbessern. Es ist mir ein grosses Anliegen aufzuzeigen, dass es auch bei den Frauen eine Vielfalt gibt.
Diese Punkte erinnern eher an linke Anliegen, Sie sprechen von «freisinnig-liberaler Art». Was ist da der Unterschied?
In erster Linie ist es mir ein grosses Anliegen, dass Frauen an sich selber glauben; dass sie nicht das Gefühl haben, «ich kann das eh nicht» oder «ich bin sowieso nichts wert». Ich habe es lieber, wenn man es selber versucht. Und das sehe ich als eine freisinnig-liberale Art an.
Frauenpolitik galt lange als links. Was haben die Linken besser gemacht?
Als Präsidentin der FDP-Frauen habe ich vor allem das Problem, dass Frauen an der Basis der FDP untervertreten sind. Die Gefässe gab es lange nur auf linker Seite. Als Frau hatte man in dem Sinn keine Wahlmöglichkeiten oder ist unter dem Eindruck gestanden, dass Frauenpolitik linke Politik sei.
Sie haben das Gefühl, dass Frauen in die linke Politik getrieben worden sind?
Ja. Ich glaube, ein Faktor ist, dass die politischen Frauenbewegungen auf der linken Seite weiterhin wahrgenommen wurden. Man konnte in der Zeitung davon lesen und sehen, was sie tun. Rechts hörte man eine gewisse Zeit lang nicht allzu viel. Es sind eine Doris Fiala oder eine Susanne Vincenz-Stauffacher, die gerade mit der Individualbesteuerung wieder gezeigt haben, dass auch mit den bürgerlichen Frauen durchaus zu rechnen ist.
Wäre es ein Ansatz, dass 50 Prozent der Führungspositionen in der FDP von Frauen besetzt werden müssten?
Nein, da käme ich mir als Quotenfrau vor. Ich will auf Basis meiner Qualifikationen in einer Position sein – und nicht, weil es noch Frauen gebraucht hat. Aber ich würde mir wünschen, dass Frauen bessere Bedingungen bekommen, damit sich die Quoten erübrigen – das Problem bei der Wurzel lösen.
Sie sind grundsätzlich gegen eine Frauenquote?
Ich bin gegen sture Frauenquoten. Wenn es wirklich so wäre, dass die FDP keine einzige Frau in einer Führungsposition hätte, könnten wir die Diskussion noch einmal führen. Bei der FDP haben wir aber im Moment die Nationalratspräsidentin, wir haben die Bundespräsidentin. Ich denke, wir beweisen ein Stück weit, dass es auch ohne Quote geht, wenn man sich des Problems bewusst ist.
Einer Ihrer politischen Schwerpunkte ist die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Sie sind selbst dreifache Mutter, Kinderchirurgin und Politikerin. Wie haben Sie diese Vereinbarkeit erlebt?
Ich habe auch damit gekämpft, obwohl ich vermutlich aus einer relativ privilegierten Situation gestartet war. Vor über 30 Jahren hat mich eine Patientin im Studium gefragt, wieso ich als Frau Medizin studiere. Ich würde einem Mann den Platz wegnehmen. Das fand ich ziemlich hart, aber es hat mich nicht abgehalten.
Die Frage, wie man alles unter einen Hut bekommt, wird meist nur Frauen gestellt. Nervt Sie das?
Ja, das finde ich eigentlich falsch. Das ist, glaube ich, auch für Männer nicht so einfach. Es ist ein Trugschluss der konservativen Parteien, wenn sie das Gefühl haben, der Mann gehe arbeiten und die Frau bleibe zu Hause bei den Kindern. Wenn man so ein Bild aufrechterhalten will, muss man sich in aller Konsequenz überlegen, wieso man Frauen überhaupt noch ausbildet.
Muss eine Frau in Ihren Augen arbeiten?
Nein, das muss sie nicht. Ich finde ganz klar, dass jeder und jede selber wählen soll, was für ein Familienmodell er oder sie will. Es muss aber bei allen Modellen ungefähr gleich viele Vor- und Nachteile geben. Das dünkt mich im Moment nicht ganz so ausgewogen.
Welche Familienmodelle meinen Sie?
Verheiratet, nicht verheiratet, Kinder, keine Kinder. Gerade in den Städten gibt es viele Singles. Sie zahlen hohe Steuern und verursachen weniger Kosten. Auf der anderen Seite ist viele Kinder haben auch ein Investment in die nächste Generation. Es kann nicht sein, dass gewisse Familien, nur weil sie Kinder haben wollen, unter dieser Last zusammenbrechen.
Kinderbetreuung könnte Familien entlasten. Sie ist aber teuer und ungleich geregelt. Eine Mehrheit der FDP-Fraktion stimmte gegen die Verlängerung der Kita-Bundesbeiträge.
Ich sehe den Punkt, dass es in den Kantonen extrem unterschiedlich vorwärtsgegangen ist. Aber ich habe nicht gerne Pauschallösungen, die man allem überstülpt und die in gewissen Fällen sogar zu Verschlechterungen führen. Die Individualbesteuerung setzt da an, weil sie dafür sorgt, dass die Familien mehr Geld haben, wenn beide arbeiten. So können sie selbst entscheiden, wie sie ihr Geld für die Kinderbetreuung ausgeben wollen.
Die FDP-Frauen haben die Individualbesteuerung erfolgreich lanciert, im Juni ist die Volksinitiative vom Parlament verabschiedet worden. Was nützt die Individualbesteuerung der Schweizer Frau?
Die Zahlen sprechen da eine klare Sprache. 50 Prozent der Bevölkerung profitieren, für 36 Prozent macht es keinen Unterschied, und 14 Prozent verlieren tatsächlich. Die 14 Prozent sind reiche Alleinverdiener. Man redet da über Einkommen von beispielsweise 400’000 Franken pro Jahr, und da könnte man salopp sagen, spendet doch bitte an die Frauen, die gerne berufstätig wären.
Welches Familienmodell profitiert vor allem von der Individualsteuer?
Das sind Doppelverdiener, bei denen die Frau mindestens 30 Prozent und der Mann 80 bis 100 Prozent arbeitet.