Was für ein Theater!
Die EU-Frage droht die FDP zu zerreissen – diese Köpfe spielen mit im Drama

Ausgerechnet die FDP, Partei von Aussenminister Ignazio Cassis und Stimme der Wirtschaft, findet im EU-Dossier keinen Kurs. Nun soll bald ein Entscheid fallen. Das sind die Protagonisten, die die Debatte prägen.
Publiziert: 00:05 Uhr
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Thierry Burkart tritt als Parteipräsident der FDP ab – am selben Tag entscheiden die Delegierten über die EU-Verträge.
Foto: Keystone

Darum gehts

  • Die FDP-Delegiertenversammlung entscheidet über EU-Verträge, die Partei ist tief gespalten
  • Zwei separate Positionspapiere von EU-Befürwortern und -Skeptikern erarbeitet
  • Sechs EU-Skeptiker und sechs EU-Befürworter in der Arbeitsgruppe
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Céline ZahnoRedaktorin Politik

Der 18. Oktober wird zum Schicksalstag für die FDP. In der EU-Frage ist die Wirtschaftspartei tief gespalten. Fast ein halbes Jahr lang haben Parteimitglieder über die neuen Verträge diskutiert, sie intern beraten und öffentlich Spitzen gegeneinander ausgeteilt. Im finalen Akt dieses Schauspiels wird nun endlich eine Parole gefasst – an der Delegiertenversammlung.

Hauptdarsteller im Stück: zwölf Mitglieder einer eigens eingesetzten Arbeitsgruppe, die eine gemeinsame Position erarbeiten sollte. Die sechs EU-Skeptiker und sechs EU-Befürworter konnten sich allerdings nicht einigen. Statt eines Konsenspapiers wurden nun zwei separate Entwürfe erarbeitet. Beide liegen Blick vor.

So läuft die Delegiertenversammlung ab

Die Delegierten der FDP sollen am 18. Oktober nicht nur über eine, sondern über vier verschiedene Fragen abstimmen, heisst es dem Vernehmen nach. Zuerst soll es um die grundsätzliche Unterstützung der EU-Verträge gehen – beide Seiten der EU-Arbeitsgruppe werden dazu ein Plädoyer halten. Danach soll die Frage nach dem obligatorischen Ständemehr geklärt werden. Hier dürfte es besonders spannend werden: Es ist kaum absehbar, ob sich die Delegierten für ein Ja oder ein Nein aussprechen.

Als Drittes und Viertes stehen wohl Migration und der liberale Arbeitsmarkt auf der Tagesordnung. Hier soll vor allem entschieden werden, dass die Partei bei der innenpolitischen Umsetzung besonders genau hinschauen will. Bei diesen beiden Fragen dürfte sich die Delegation am ehesten einig sein – und so zumindest hier ein geschlossenes Bild abgeben.

Die Delegierten der FDP sollen am 18. Oktober nicht nur über eine, sondern über vier verschiedene Fragen abstimmen, heisst es dem Vernehmen nach. Zuerst soll es um die grundsätzliche Unterstützung der EU-Verträge gehen – beide Seiten der EU-Arbeitsgruppe werden dazu ein Plädoyer halten. Danach soll die Frage nach dem obligatorischen Ständemehr geklärt werden. Hier dürfte es besonders spannend werden: Es ist kaum absehbar, ob sich die Delegierten für ein Ja oder ein Nein aussprechen.

Als Drittes und Viertes stehen wohl Migration und der liberale Arbeitsmarkt auf der Tagesordnung. Hier soll vor allem entschieden werden, dass die Partei bei der innenpolitischen Umsetzung besonders genau hinschauen will. Bei diesen beiden Fragen dürfte sich die Delegation am ehesten einig sein – und so zumindest hier ein geschlossenes Bild abgeben.

Der Graben in diesem «Rat der Weisen» steht exemplarisch für den Richtungsstreit, der in der Partei um die Verträge schwelt. Das sind die Protagonisten im freisinnigen EU-Drama.

Der «Mr. Bilaterale» und die EU-Enthusiasten

Auf der einen Seite des Spektrums stehen die EU-Enthusiasten. An vorderster Front: der Solothurner Nationalrat Simon Michel (48), der «Mr. Bilaterale» der Partei. Er tingelt durchs Land und hält an Podien flammende Plädoyers für die neuen Abkommen. An seiner Seite weibeln etwa auch der Luzerner Ständerat Damian Müller (40) oder Fraktionschef Damien Cottier (50, NE) für die Abkommen. Zusammen verkörpern sie den EU-freundlichen Teil der FDP.

Foto: Philippe Rossier

Fast ebenso deutlich argumentieren die sechs EU-Enthusiasten um Michel in ihrem erarbeiteten Positionspapier für ein Ja zu den Verträgen. Die Gruppe bilanziert: «Die Bilateralen III sind kein Risiko – sie sind eine Chance und Investition in unsere Zukunft. Eine Zukunft, die wir als FDP mitgestalten wollen.» 

Die Spaltpilze und Störenfriede

Auf der Gegenseite: FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen (44, BE), der sich als Antipode Michels profiliert hat. Er gab wiederholt mit medialen Sololäufen zu reden. Etwa als er die Lohnschutzmassnahmen kritisierte, auf die sich Arbeitgeber und Gewerkschaften nach Dutzenden Verhandlungsrunden geeinigt haben. 

Foto: Keystone

Auch der Zürcher Kantonalpräsident Filippo Leutenegger (72) und Vize Matthias Müller (33) haben sich als Spaltpilze hervorgetan. Kürzlich griff die frühere FDP-Nationalrätin Christa Markwalder (49, BE) Leutenegger und Müller gar öffentlich an: Woher er und sein Vize die Legitimation hätten, die Verträge «derart zu torpedieren», wollte Markwalder wissen. 

Wasserfallen und Leutenegger sitzen zusammen im skeptischen Teil der FDP-Arbeitsgruppe. In ihrem Dokument – betitelt «Contra EU-Verträge» – heisst es: «In den neuen Abkommen zeigt sich nach Ansicht der Arbeitsgruppe ein unausgewogenes Verhältnis zwischen Souveränitätsverzicht und realem Nutzen.»

Dem Vernehmen nach wollte die Befürworter-Gruppe die Hand reichen für ein Ja zu den EU-Verträgen, gekoppelt mit der Forderung nach einem Ständemehr. Doch die Skeptiker blieben stur und beharrten auf einem Nein. Bei einigen Freisinnigen hat dies für Unmut gesorgt: Die Gruppe sei nicht kompromissbereit und würde die Partei so absichtlich schwächen. 

Die Zweifler

Für zusätzlichen Wirbel in der zerstrittenen Truppe sorgte kürzlich noch der Tessiner Nationalrat Simone Gianini (49). Eigentlich Teil des skeptischen Teils der Gruppe, war er mit dem scharf formulierten Nein-Papier seiner Mitstreiter nicht einverstanden, wie CH Media kürzlich berichtete. «Ich hätte mir eine gemeinsame Position der gesamten Arbeitsgruppe gewünscht, hinter die sich die Partei stellen könnte.» Das Nein-Papier hat auch bei anderen für Missfallen gesorgt. Es enthalte reine SVP-Positionen und argumentiere schlecht oder gar fehlerhaft.

Foto: keystone-sda.ch

Die Zögerer

Neben den FDPlern, die ihre Meinung freudig öffentlich kundtun, gibt es auch solche, die sich strikt an die Parteilinie halten. So wird etwa FDP-Vizepräsident Andri Silberschmidt (31) nicht müde zu betonen, dass er der Delegation nicht vorgreifen wolle. Es ist allerdings ein offenes Geheimnis, dass er bei den Verträgen zu einem Ja tendiert. Auch Bettina Balmer (58), Präsidentin der FDP-Frauen, wird nachgesagt, eine EU-Freundin zu sein – sie hält sich allerdings bis zur offiziellen Positionierung der Partei bedeckt.

Foto: Keystone

Die «lahme Ente» und die Unentschlossenen

Symbolisch aufgeladen ist der Zeitpunkt der Parolenfassung: Just am Tag der Delegiertenversammlung tritt Thierry Burkart (50, AG) als FDP-Präsident ab. Stattdessen betreten zwei neue Figuren die Bühne: Susanne Vincenz-Stauffacher (58) und Benjamin Mühlemann (46) übernehmen als Doppelspitze.

Foto: Keystone

Wegen des absehbaren Wechsels wurde die Europa-Debatte sicher nicht einfacher. Es gab Zweifel, ob Burkart schwierige Diskussionen unter Parteimitgliedern weiterhin moderieren könne. Und das neue Führungsduo wirkt bisher eher richtungslos. Während Vincenz-Stauffacher die Verträge klar befürwortet, ist Mühlemann noch unentschlossen, sagte er in der «Samstagsrundschau» von Radio SRF.

Der letzte Akt

Für die Wirtschaftspartei steht am 18. Oktober viel auf dem Spiel. Entweder es gelingt ihr, einen gemeinsamen Kurs zu finden, hinter dem die verschiedenen Lager stehen können – oder die internen Grabenkämpfe zeichnen weiterhin das Bild einer zerstrittenen Partei. 

Ist der EU-Deal ein Fortschritt oder chancenlos?
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