Fachleute warnen vor offener Drogenszene
Immer mehr Cracksüchtige – und der Bund spart bei der Suchthilfe

Eine Crack-Welle erfasst die Schweiz. Fachleute sprechen von einer Lage, wie sie das Land seit den 90er-Jahren nicht mehr erlebt hat. Ausgerechnet jetzt muss das Bundesamt für Gesundheit sparen.
Publiziert: 15:02 Uhr
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Aus Kokain abgekocht und in Würfel abgepresst: Crack.
Foto: Getty Images
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Robin BäniRedaktor

In Chur im Stadtgarten, in Zürich bei der Bäckeranlage, in Genf rund um den Bahnhof. Überall zeigt sich dasselbe Bild: Verwahrloste Menschen sitzen auf Parkbänken, im Delirium, oder sie irren umher, auf der Suche nach Crack. Aus Kokain abgekocht und in Würfel abgepresst, erobert das Rauschgift die Schweizer Strassen. Mancherorts hat sich der Konsum verdreifacht, wie die letzten Abwasserdaten gezeigt haben. 

Fachleute sprechen von einer Crack-Krise und fordern den Bund dazu auf, rasch zu handeln. Doch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) muss sparen. Im Februar verkündete das BAG, ab 2026 jährlich 11 Millionen Franken zu streichen. 19,5 Vollzeitstellen baut die Behörde ab. Betroffen sind verschiedene Bereiche, darunter der Strahlenschutz oder die Überprüfung von Medikamenten. 

Bereits 800'000 Franken weg

Was bislang unter dem Radar der Öffentlichkeit geblieben ist: Vom Abbau sind auch die Suchthilfe und die Suchtprävention betroffen. Auf Anfrage bestätigt das BAG, dass bereits im laufenden Jahr 800’000 Franken gestrichen wurden. Nun betrage das Budget für «suchtspezifische Aufgaben» noch 4 Millionen Franken. Und der Abbau geht weiter. 2026 sollen im Suchtbereich weitere 900’000 Franken wegfallen. Darin eingerechnet ist die Streichung einer Vollzeitstelle.

Die Behörde begründet den Schritt mit Sparvorgaben von Bundesrat und Parlament. Zudem seien befristete Ressourcen ausgelaufen, ohne verlängert zu werden. Und zuletzt habe das BAG neue Aufgaben übernehmen müssen, «ohne dass alle dafür notwendigen Ressourcen gesprochen wurden». 

In der Schweiz sind in erster Linie die Kantone und Gemeinden dafür zuständig, die Drogenpolitik umzusetzen. Der Bund spielt allerdings eine wichtige Rolle im Hintergrund. So legt er strategische Ziele fest, organisiert runde Tische, erstellt Grundlagenforschung und sammelt Daten zur Entwicklung des Drogenkonsums. 

Die angespannte Budgetsituation hat erste Folgen. Seit Monaten analysiert der Bund das Abwasser nicht mehr auf Drogenrückstände. Auf Anfrage schreibt das BAG, ein neuer Vertrag werde derzeit finalisiert. In der Zwischenzeit entnehme man weiterhin Wasserproben. Sobald der neue Vertrag abgeschlossen sei, sollen die Proben analysiert werden. 

Die Suchtpolitik werde «ein wichtiges Thema» bleiben, heisst es weiter. «Der steigende Kokain- und Crackkonsum macht uns Sorgen», so das BAG. Daher würden die Kürzungen im Suchtbereich dieses Feld nicht betreffen. Das BAG engagiere sich im Kokain- und Crackbereich «vielmehr entsprechend stark». Offen bleibt, wie die Behörde mit weniger Mitteln mehr leisten möchte. 

Angst vor offener Drogenszene

Fachleute warnen vor dem Abbau. «Der Bund spart im ungünstigsten Moment», sagt Jonas Wenger, Co-Generalsekretär des Fachverbands Sucht. Seit den 90er-Jahren sei die Situation im Drogenbereich nicht mehr so angespannt wie heute. Zwar begrüsst Wenger, dass die Abwasseranalysen fortgeführt werden. Aber auch so sei das Schweizer Suchtmonitoring «im europäischen Vergleich auf ein Minimum reduziert». Mit den neuen Kürzungen verliere das BAG weiter Know-how – «und das in einer Phase, in der wir alles daransetzen müssten, dass eine offene Drogenszene nicht wiederkehrt».

Der Fachverband Sucht und weitere NGOs wehren sich gegen die Kürzungen. Mitte September reichten sie eine Petition mit knapp 10’000 Unterschriften ein. Zudem hat SP-Nationalrätin Ursula Zybach (58) in einer Subkommission einen Antrag gestellt, der fordert, das Budget im Suchtbereich für 2026 um 1 Million Franken aufzustocken. Am Montag befasst sich die Finanzkommission des Nationalrats damit. Doch die Chancen, dass der Antrag durchkommt, stehen schlecht. Das Parlament ist bürgerlich dominiert, und dessen Linie ist klar: Der Bund muss sparen.

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