Darum gehts
- Botschafter in der Schweiz dürfen nur vier Kantone pro Jahr offiziell besuchen
- Bund bearbeitet jährlich 50 bis 70 Anfragen für Botschafterbesuche in Kantonen
- Botschafterbesuche sind beliebt bei Kantonen, Bund gibt sich zurückhaltender
Der Mann ist nicht zu beneiden. Andreas Künne (59) ist neuer EU-Botschafter in der Schweiz. Seit kurzem in Bern stationiert, möchte er auch den Rest des Landes kennenlernen. Möglichst viele Kantone wolle er sehen, sagte der Deutsche kürzlich zu CH Media. «Für offizielle Besuche gibt es aber Regeln, so darf ich nur vier Kantone pro Jahr offiziell besuchen», bedauerte er. «Und als guter Europäer halte ich mich an die Regeln.»
Die Welt der Diplomatie ist für Aussenstehende oft ein Rätsel. Die Botschafterinnen und Botschafter geniessen viele Privilegien. In manchen Bereichen gelten für sie aber auch strenge Regeln – knallharte Reisebeschränkungen etwa! Wie kommt das?
Zahl der Besuche ist «zu begrenzen»
Will eine Botschafterin einem Kanton einen offiziellen Besuch abstatten, muss sie das vorgängig mit der Protokollabteilung des Aussendepartements (EDA) von Bundesrat Ignazio Cassis (64) absprechen. In einer sogenannten Verbalnote wird ein entsprechendes Gesuch eingereicht.
Zwar dürfen die Kantone «nach ihren eigenen Kriterien Gäste empfangen». Die Spitzendiplomaten sind jedoch verpflichtet, «die Anzahl der Besuche im Jahr zu begrenzen». In Rundschreiben des EDA wurde diese Zahl zuletzt auf vier beschränkt. Ausnahmen gelten nur für Bern und Genf, wo viele diplomatische Vertretungen ansässig sind.
Die offiziellen Besuche sollten sich auf Kantone konzentrieren, mit denen die jeweiligen Länder enge Beziehungen pflegen. Dabei treffen sich die Botschafter in der Regel mit Vertretern der Kantonsregierung. Solche Besuche ermöglichten es ausländischen Missionschefs, «sich mit den politischen Realitäten unseres Bundesstaates vertraut zu machen und dessen Besonderheiten besser zu verstehen», erklärt das EDA.
Probleme habe es in letzter Zeit keine gegeben. «Gemäss den vorliegenden Informationen war dies nicht der Fall», so ein EDA-Sprecher. Laut gut informierten Quellen gab es in der Vergangenheit aber immer wieder reisefreudige Botschafter, die in Bern für Unmut sorgten. Vor einigen Jahren wies das EDA gegenüber der NZZ noch darauf hin, dass manche Kantone mehr Besuchsanfragen erhielten, als sie hätten bewältigen können.
Das EDA bearbeitet jährlich 50 bis 70 Anfragen für Botschafterbesuche. 2024 waren es 64, im laufenden Jahr bereits 66. «Die Kantone stimmen der Mehrheit der Anfragen zu», betont der EDA-Sprecher. Das System funktioniere zufriedenstellend.
Kantone «an der kurze Leine»
Was bringen die Besuche? «Was das Interesse der Kantone an solchen Besuchen betrifft, so bitten wir Sie, sich direkt an diese zu wenden», antwortet das EDA zurückhaltend. Die Kantone betonen vor allem die Förderung der Zusammenarbeit, gerade mit Wirtschaftspartnern.
In Luzern heisst es etwa selbstbewusst, die Repräsentanten ausländischer Staaten «pflegen ihre Beziehungen zur Schweiz nicht nur auf Bundes-, sondern verstärkt auch auf Kantonsebene». Der Luzerner Regierungsrat empfange regelmässig Botschafterinnen und Botschafter. Und der Kanton St. Gallen hält fest, dass der Besuch einer diplomatischen Vertretung «das Interesse an St. Gallen und der Region wecken und bestenfalls im Nachgang neue Kontakte ermöglichen» könne.
Hinter vorgehaltener Hand berichten Kantonsvertreter: In der Praxis gebe es praktisch keine Probleme. «Im Gegenteil, der Aufwand lohnt sich», sagt ein für Aussenbeziehungen zuständiger Beamter. «Die Botschaftsbesucher sind eine Bereicherung, auch für hier ansässige Firmen.» Ein anderer verweist darauf, dass man in Bern grossen Wert darauf lege, dass Aussenpolitik in die Kompetenz des Bundes fällt. «Da will Bern uns lieber nicht im Vordergrund haben.» Die Kantone seien auf dem diplomatischen Parkett «eher an der kurzen Leine».
Immerhin: Privat muss sich auch EU-Botschafter Künne nicht einschränken. In seiner Freizeit darf er so viele Kantone besuchen, wie er will.