«Ich war richtig enttäuscht»
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Kein CH-Pass wegen Bagatelle:«Ich war richtig enttäuscht»

Er spricht perfekt Deutsch und hat den Einbürgerungstest bestanden
Wegen Lappalie darf Café-Besitzer nicht Schweizer werden

Café-Besitzer Schuan Tahir ist in der Schweiz bestens integriert. Er lebt seit 28 Jahren in Solothurn, arbeitet sechs Tage die Woche und spricht hervorragend Deutsch. Dennoch wurde sein Einbürgerungsgesuch abgelehnt – einzig und allein wegen eines kleinen Missgeschicks.
Publiziert: 00:36 Uhr
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Aktualisiert: vor 53 Minuten
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Schuan Tahir hatte die Autoschilder zu spät zurückgegeben. Das verhinderte seine Einbürgerung.
Foto: Kim Niederhauser

Alles kam wieder hoch, Erinnerungen kamen zurück. Um ein Haar wäre Schuan Tahir (56) 2023 Schweizer Bürger geworden. Der Einbürgerungstest war bestanden, sein Deutsch: einwandfrei. Gemeinde, Bund und Kanton hatten ihr Okay gegeben. Doch auf dem letzten Meter zogen die Behörden die Notbremse. Wegen einer Bagatelle! Tahir hatte die Nummernschilder für sein verkauftes Auto zu spät zur Motorfahrzeugkontrolle zurückgebracht.

Mitten in der belebten Solothurner Altstadt ist das Café von Schuan Tahir. Der Gastgeber sitzt an einem kleinen Tisch vor der grossen Glasscheibe. Ständig winkt er Passanten zu, die vorbeilaufen. Er kennt die halbe Stadt, und fast die ganze Stadt kennt ihn. «Wenn ich wirklich etwas Unrechtes getan hätte, wüsste es sofort ganz Solothurn», lacht er.

Er hat bisher zu seinem Fall geschwiegen. Doch dann las er in der Zeitung von einem Gastronomen aus der Innerschweiz und die Erinnerungen kamen hoch. Ein türkischer Wirt aus Goldau SZ hatte um den Pass gekämpft. Er war übermüdet am Steuer gesessen und hatte im Sekundenschlaf einen Unfall gebaut. Deshalb sollte ihm – trotz hervorragender Integration und 31 Jahren in der Schweiz – das Bürgerrecht der Eidgenossenschaft verwehrt bleiben.

«Ich war wahnsinnig enttäuscht»

Tahir schüttelt den Kopf. Er verdiente sich sein Leben selbst, chrampfte dafür. Er baute keinen Unfall, bezog nie Sozialhilfe, beging kein Kriminaldelikt. Nur ein Autoschild blieb auf seinem Küchentisch liegen, als er das Auto verkaufte. SO 71885 lautete das Kennzeichen. «Ich arbeite von morgens bis abends im Betrieb, sechs Tage die Woche», sagt er.

Um 7.30 Uhr beginnen die Vorbereitungen, um 18 Uhr schliesst er, im Sommer wird es auch mal später. Freizeit? Die ist beschränkt. Und so versäumte er es, die Schilder abzugeben.

Die Folgen waren drastisch: eine Busse, ein Eintrag im Strafregister und der Abbruch des Einbürgerungsverfahrens. Am 4. Juli 2023 erhielt Tahir den Strafbefehl, in dem er las: «Der Beschuldigte hat sich wie folgt schuldig gemacht: Nichtabgabe von Ausweisen und Kontrollschildern. Tatzeit: 11.04.2023 bis 05.05.2023». Die Strafe: 5 Tagessätze zu je 60 Franken, bedingt und 400 Franken Verfahrenskosten.

Kurze Zeit später kam Post von der Bürgergemeinde Solothurn. Die Einbürgerung war kein Thema mehr. «Ich war wahnsinnig enttäuscht und traurig», sagt er. «Klar: Ich habe einen Fehler gemacht. Und deshalb bezahlte ich die Busse anstandslos.» Aber deswegen gleich das ganze Einbürgerungsverfahren abbrechen? «Das verstehe ich nicht. Ein Krimineller bin ich nicht. Was mir passiert ist, kann allen passieren.»

«Ich habe immer gearbeitet»

Mehr als die Hälfte seines Lebens hat Tahir inzwischen in und um Solothurn verbracht. Er kam 1998 als Flüchtling, den Irak von Diktator Saddam Hussein (1937–2006) musste er aus politischen Gründen verlassen. In der Schweiz arbeitete er sich hoch. «Ich habe immer gearbeitet», sagt der Café-Inhaber.

Er war in der Uhrenfabrik ETA angestellt, half in der Küche eines Berggasthofs. Dann gründete er einen Kebab-Laden, den es noch heute gibt. Und betrieb lange eine Bar, die rasch stadtbekannt wurde. Ganz Solothurn verkehrt(e) dort. Dann entschied er sich vor zehn Jahren, sein Stadtcafé zu eröffnen. Er wollte vermehrt tagsüber arbeiten.

Bundesgericht sieht Änderungsbedarf

Hoffnung gibt Tahir das Urteil des Bundesgerichts im Falle des türkischen Wirts, auch wenn ihm selbst das nichts mehr nützt. Das höchste Gericht entschied nämlich, dass der Unfall als Straftat zu stark gewichtet worden war. Künftig könnten Behörden allenfalls mehr Spielraum haben. Anders als etwa bei der Beurteilung der Integration sind ihnen heute die Hände gebunden, wenn eine Straftat vorliegt. Eine Einbürgerung ist dann nicht mehr möglich.

Tahir selbst hat seinen Fall nie weitergezogen. Doch sein Strafregistereintrag wird in wenigen Monaten gelöscht. Er wird wieder einen Einbürgerungsantrag stellen können. Und nochmals von vorne beginnen. Dass er diesen Weg gehen wird, ist für ihn klar. Denn er hat nur eine Heimat: Solothurn. Draussen laufen Bekannte vorbei, er winkt.

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